Alfred Riepertinger im Sektionssaal im Klinikum Schwabing.
Bildrechte: Bayerischer Rundfunk

Will die medizinhistorische Sammlung retten: Alfred Riepertinger im Sektionssaal.

Per Mail sharen
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Von Leichen lernen: Ein medizinhistorisches Museum für München?

Leber, Lunge, linke Hand: Über 3.000 Päparate lagern im Keller des Schwabinger Klinikums. Doch der medizinhistorische Schatz ist bedroht: Die Sammlung soll aufgelöst werden. Ein eigenes Museum wäre die Rettung. Doch die Stadt München zögert.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Es sind ein paar wenige, enge Stufen, die hinabführen in den Bauch der Pathologie des Schwabinger Klinikums. Über der Kellertür prangt ein Sinnspruch auf Latein: "Hic gaudet mors succurrere vitae. Hier freut sich der Tod, dem Leben zu helfen", zitiert Alfred Riepertinger im Vorübergehen. Der Tod als Lehrmeister - und Riepertinger, langjähriger Oberpräparator der Pathologie, als sein erster Gehilfe. Eigentlich ist Riepertinger schon in Rente; das sieht man dem vitalen Mann aber kaum an, trotz seines schütteren, grauen Haares.

  • Zum Artikel: Mumien-Fund in München - Unterwegs mit einem Pathologen

Über 3.000 Präparate - auch Krebslebern und Staublungen

Riepertinger kämpft für die Zukunft eines medizinhistorischen Schatzes, der hier verlorenzugehen droht. Im Stechschritt führt er vorbei an den knapp 3.000 Präparaten, die in Glasvitrinen zu sehen sind. Erster Stopp: ein gewaltiges, plastiniertes Organ – fußballgroß, beige, übersät mit dutzenden Pocken: "Das ist eine Zehn-Kilo-Metastasenleber eines anderen Primärtumors", erklärt Riepertinger. "Da wird der Körper so monströs groß." Die Leber stammt von einer Frau Mitte 30.

Direkt daneben eine weitere präparierte Leber: zwei, graue, hohle Höcker, von Metastasen zerfressen. Der verstorbene Patient - schwerer Raucher mit Lungenkrebs - war erst 29 Jahre alt. "Die Mutter hat mich dann mit Tränen in den Augen gebeten, diese Leber so zu präparieren, dass ich sie quasi als Warnung für junge Leute habe, dass sie nicht mit dem Rauchen anfangen."

Die Präparate: kein "Gruselkabinett"

Pathologie, das ist die Lehre vom Leiden. Die Präparate im Keller der Schwabinger Pathologie erzählen viel davon. Seit über hundert Jahren werden hier besondere medizinische Fälle gesammelt. Sie berichten von persönlichen Tragödien, reflektieren aber auch die jeweiligen Lebensbedingungen einer Gesellschaft.

Etwa der Querschnitt einer Lunge eines westdeutschen Bergarbeiters: staubschwarz wie ein verkohltes Steak; der Preis der Arbeiter für das bundesrepublikanische Wirtschaftswunder. Auch seltene Anomalien finden sich in der Sammlung: In einem Glaszylinder schwimmt ein Zyklopenfötus mit nur einem Auge in der Mitte der Stirn. Fotografieren darf man diesen nicht, zur Wahrung der Persönlichkeitsrechte. Überhaupt betont Riepertinger: Die Sammlung sei kein Gruselkabinett, sondern eher eine Horizonterweiterung zur anatomischen Norm.

Bildrechte: Bayerischer Rundfunk
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Querschnitt einer Bergarbeiterlunge: Präparat aus der Pathologischen Sammlung im Klinikum Schwabing

"Unser berühmtestes Skelett ist wahrscheinlich das hier, Josef Huber, genannt 'Finessensepperl'", erklärt Riepertinger. "Das war der damalige Postillon D’Amour in München. Er war nur 1,50 Meter groß, ein Mikrozephalit. Das heißt 'Kleinhirn'. Er hat die Liebesbriefe verteilt in München. Also wenn das kein Original ist und wert, in einem Museum ausgestellt zu werden."

Ein medizinhistorischer Schatz droht zu verschwinden

Nun wird das pathologische Institut aber aufgelöst und die Sammlung droht zu verschwinden. Sein Herz würde bluten, käme es soweit, sagt Riepertinger. Man verlöre damit auch ein Stück Geschichte. "Aber es gibt wirklich Leute, die sagen, das ist altes Zeug."

Auch Thomas Schmidt sieht diese Gefahr. Der Stadtrats-Abgeordnete der Münchner CSU will die Sammlung retten. Seine Idee: die Sammlung als Grundstock für ein medizinhistorisches Museum zu nehmen - und zwar hier, in ihrer jetzigen Heimat. "Uns wäre es am liebsten, wenn dieses medizinhistorische Museum in dieser alten Pathologie im Areal des Krankenhauses bestehen bleiben würde", sagt der Politiker.

Wird die Sammlung zum Museum? Stadt München zögert

Die Nachfrage der Öffentlichkeit nach medizinhistorischen Museen ist groß. In Ingolstadt musste man zuletzt sogar anbauen. Doch die Stadt München zögert. Zunächst äußerte das Kulturreferat Zweifel am Wert der Sammlung und schob das Thema dann an das Gesundheitsreferat weiter. Auch hier hat man Bedenken: "Die Haupt-Herausforderungen bei einem medizinhistorischen Museum sind tatsächlich die Trägerschaften. Das Klinikum selbst kann das Museum schwer führen", erklärt Referentin Beatrix Zurek. "Da muss man schauen, wie es dann zu finanzieren ist. Das ist auch eine politische Entscheidung, die obliegt nicht nur einem Gesundheitsreferat."

Museum könnte auch an den Gründer der Pathologie erinnern

Ein Umbau des alten Pathologiegebäudes in ein Museum wäre teuer. Doch für Alfred Riepertinger spricht noch ein weiterer Grund dafür: Professor Siegfried Oberndorfer, der Gründer des Instituts, war zu Beginn des 20. Jahrhunderts einer der renommiertesten Pathologen des Landes; er hat unter anderem den Soziologen Max Weber seziert. Doch da Oberndorfer Jude war, wurde er 1933 von den Nazis aus dem Amt gejagt. "Das ist wirklich ein Anlass, Oberndorfers Erbe aufzugreifen und seinen Namen in ein Museum zu integrieren", sagt Riepertinger.

Eine Pathologie zeigt, wie eine Gesellschaft ihre Körper behandelt. Ein Museum zeigt, wie eine Gesellschaft ihre Geschichte behandelt. Hier wie dort gilt der Satz: Die Toten lehren die Lebenden.

Verpassen war gestern, der BR Kultur-Newsletter ist heute: Einmal die Woche mit Kultur-Sendungen und -Podcasts, aktuellen Debatten und großen Kulturdokumentationen. Hier geht's zur Anmeldung!