Die Staatschefs hinter einer roten Absperrung
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Zwei Herrscher auf dem Weltraumbahnhof: Putin und Jong-un

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"Vogelscheuche mit Atomwaffen": So höhnen Russen über Nordkorea

Das fernöstliche Treffen von Wladimir Putin und dem nordkoreanischen Diktator Kim Jong-un provoziert viele Russen zu boshaften Bemerkungen, sarkastischen Witzen und Galgenhumor: "Endlich fanden sie einen Politiker, der kleiner ist als Putin."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Die sexuelle Orientierung auf Eisenbahnen, speziell Lokomotiven, heißt hierzulande "Ferrophilie", und daran leidet nach Meinung der auflagenstarken russischen Zeitung "Moskowski Komsomolez" der nordkoreanische Diktator Kim Jong-un: "Es gibt Grund zur Annahme, dass die Leidenschaft für den Schienenverkehr ein Familienmerkmal nordkoreanischer Führer ist. Und vielleicht sogar besonderes Kennzeichen ihrer Psyche. Es ist uns gelungen, einen Begriff zu finden, mit dem manche Experten solche besonderen Fans des 'Lebens auf Schienen' bezeichnen: Siderodromophilie." Frei übersetzt bedeutet das nichts anders als Liebe zum Schienenverkehr, allerdings ist die entsprechende Phobie, also die Angst vor Zugreisen, eigentlich weiter verbreitet.

Immerhin habe es Kim Jong-uns Vater Kim Jong-il (1941 - 2011) sogar ins Guinness-Buch der Rekorde geschafft, als er 2001 per Zug von seiner Hauptstadt Pjöngjang in 24 Tagen nach Moskau reiste - eine Entfernung von rund 20.000 Kilometern. Das soll die längste Zugfahrt eines Staatsoberhaupts aller Zeiten gewesen sein, vermutlich auch die langsamste, denn die kugelsicheren Waggons sind so schwer, dass sie nur für Tempo 60 ausgelegt sind. Wahrscheinlich stecke kein Geringerer als Stalin hinter dieser Marotte, vermutete das russische Blatt, weil der einst dem "Urvater" der nordkoreanischen Diktatorenfamilie einen Panzerzug "für den persönlichen Bedarf" geschenkt habe.

"Nur Polytechnologen haben noch Humor"

Wer auf seriösen russischen Websites oder gar bei den Kriegsbloggern nach Infos über das Treffen zwischen Wladimir Putin und Kim Jong-un sucht, wird enttäuscht sein: Sie ignorieren den skurrilen Staatsbesuch im Fernen Osten weitgehend. Dagegen laufen die Humoristen und Spötter zu großer Form auf. "Die Intensivierung der militärisch-technischen Zusammenarbeit mit Nordkorea zeigt, wie gut jetzt alles sein wird und wie schlecht alles ausgeht", meinte Politologe Michail Winogradow. Blogger Konstantin Kalaschew schrieb: "Optimisten kommentieren die Freundschaft zwischen Nordkorea und Russland mit dem Sprichwort 'Der Feind meines Feindes ist mein Freund', Pessimisten mit dem Wort 'Zeige mir deine Freunde und ich sage dir, wer du bist', und Realisten sind bereit, sich sogar in einem Nordkorea 2.0 über Wasser zu halten."

Der Propagandist Sergej Markow behauptete, fast alle Gegner des Kremls hätten seit Kriegsbeginn ihren Humor verloren: "Denn wer eindeutig das Gefühl hat, auf der Seite des Bösen zu stehen, verliert ihn. Viele Leuten ist das Scherzen vergangen. Nur die Gruppe der schlauen Polytechnologen hat ihren Sinn für Humor bewahrt. Warum? Wahrscheinlich hilft ihnen ihre totale Skepsis." Wie auch immer: Zahlreiche Russen scheinen selbst in Kriegszeiten nicht auf Hohn und Spott verzichten zu wollen. In den Blogs heißt es zum Beispiel erleichtert: "Endlich fanden sie einen Politiker, der kleiner ist als Putin."

"Ähnlich groß und ähnlich hübsch"

Manche setzen ihre ganze "Hoffnung" auf Kim Jong-un: "Die Liberalen träumen davon, dass in Russland alles wie in Nordkorea wird. Dann können sie zur US-Botschaft eilen und darum betteln, aus Mordor [das böse Reich aus der "Herr der Ringe"-Saga] herausgebracht zu werden, wobei sie sich an die Autos der Botschaft klammern." Offenbar habe Russland wirklich nur unter den "wahren Sozialisten" echte Freunde, hieß es, was allerdings den Moskauer Kadern gehörig Angst einjage, schließlich seien die allesamt Milliardäre.

"Ich denke, das ist der Beginn einer wunderbaren Freundschaft: Sie sind sogar ähnlich groß und ähnlich hübsch", war zu lesen. Auch originell diese Analyse: "Entweder niedriger Lebensstandard, kümmerliche Medizin und ewige Angst um sich selbst und Ihre Lieben unter dem nordkoreanischen Regime oder hoher Lebensstandard, medizinische Versorgung, Bildung und Arbeitssklaverei in Südkorea? Vielleicht ist es besser, Südkorea als Freund zu wählen, die Bürger dort arbeiten zwar höllisch hart für den Chef, leben aber nach der Pensionierung lange und reich, reisen um die Welt und verzichten auf nichts."

"Ich vermute, sie sprechen Deutsch"

Rückblickend meinte ein Netzkommentator: "Wer hätte sich beispielsweise im Jahr 2012 einen solchen Surrealismus vorstellen können? Unter den afrikanischen Stämmen haben wir übrigens immer noch die engsten Freunde!" Sehr ironisch auch der Hinweis, Putin und Kim Jong-un hätten wohl den "Sextourismus" zwischen beiden Ländern eröffnet: "Aber deutlich lieber wäre es uns, wenn wir zu ihnen, nicht sie zu uns kämen." Ernsthafter formulierte ein Leser: "Wenn Nordkorea zum engsten Freund des russischen Volkes geworden ist, dann ist das die totale Katastrophe. Tiefer und schlimmer geht es nicht mehr."

Viele Menschen hätten "auf unbewusster Ebene das Bedürfnis, in dem Anführer einen solchen Übermenschen zu sehen, eine Gottheit, die ihr Volk in eine glänzende Zukunft führt", meinte jemand desillusioniert. Ein weiterer Blogger deutete an, dass sowohl Putin, als auch Kim Jong-un Erfahrungen mit dem deutschen Sprachraum haben: "In welcher Sprache kommunizieren die beiden großen Führer? Ich vermute, auf Deutsch. Jong-un spricht es fließend, allerdings mit Schweizer Akzent." Eine Anspielung darauf, dass der nordkoreanische Diktator in einem Schweizer Internat unterrichtet worden sein soll. Putin war ja in Dresden als KGB-Agent tätig.

"Waffen mit mysteriösem Beinamen"

"Unsere Freunde sind jetzt afrikanische Diktatoren und Nordkorea? Nun, es ist hart. Wie konnte es passieren, dass wir dafür die Freundschaften mit dem zivilisierten Europa und den führenden Ländern der Welt beendet haben und sogar stolz darauf sein sollen?" wurde gefragt. China habe in seinem Osten bisher eine "Vogelscheuche mit Atomwaffen" gehabt, jetzt werde es bald auch im Westen Pekings so eine "Vogelscheuche" geben, vermutete ein russischer Blogger. Zwei "einsame Gestalten" zündelten irgendwo an der Straße, schrieb ein weiterer: "Aber ich möchte nicht, dass das Feuer auflodert."

Schön böse wirkt auch diese Passage: "Sie haben Sozialforschung betrieben. Über 90 % der Nordkoreaner glauben, dass sie das reichste Land und den weisesten Führer haben, während alle anderen Länder in Armut und Hunger dahinsiechen. Genau wie bei uns [in Russland]." Deutlich düsterer folgender Kommentar: "Es ist überraschend, dass ein Land, das bei jeder Militärparade erklärt, es besitze Waffen mit dem erschreckend mysteriösen Beinamen 'das ist unerreicht' in Nordkorea um alte Granaten betteln muss." Das bezieht sich auf Putins geheimnisvolles Geraune, Russland forsche an Waffen nach ganz neuen "physikalischen Prinzipien". Das hatte zu allerlei Spekulationen geführt.

"Sie werden wahrscheinlich alles verhängen"

Als "Ferrophilem" droht Kim Jong-un laut einem russischen Experten übrigens Ungemach im Fernen Osten: "Ich kann mir vorstellen, welche Schwerarbeit dem Gouverneur von Chabarowsk bevorsteht. Vielleicht werden sie Kim Jong-uns Zug nur nachts fahren lassen, damit er diese Stationen aus den 80er Jahren des letzten Jahrhunderts zwischen Chabarowsk und Komsomolsk nicht zu sehen bekommt. Der Bahnhof Komsomolsk und die angrenzenden fünfstöckigen Gebäude machen einen deprimierenden Eindruck, sind die Fenster dort doch mit Sperrholz vernagelt. Sie werden wahrscheinlich alles entlang Kims Route verhängen."

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