Bildrechte: Arno Declair

Szene aus Taboris "Mein Kampf" am Münchner Volkstheater

Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Taboris "Mein Kampf" am Münchner Volkstheater

Wien 1910: Im Keller eines Obdachlosenheims begegnet der Jude Schlomo Herzl dem Möchtegernkünstler Adolf Hitler. Christian Stückl hat das Stück von Tabori schön und stimmig inszeniert - verdienter langanhaltender Beifall. Von Kirsten Martins

Ein karges Bühnenbild: ein holzverschaltes fensterloses Kellerzimmer, eine lange Treppe, ein Bettgestell, und im Zentrum ein großer Ofen, dessen Form deutlich auf Konzentrationslager verweist. Vor diesem Ofen spielt das ganze Geschehen. Konzentriert auf die Personen und ihre Beziehungen inszenierte Christian Stückl, eine Ungeheuerlichkeit, einen grotesken bösen Witz, fast schon eine Liebesgeschichte zwischen Opfer und Täter.

Nächstenliebe zu Hitler

Im Keller eines Obdachlosenheims begegnet der Jude Schlomo Herzl - schwarzer Anzug, dunkele Schläfenlocken - dem Möchtegernkünstler Adolf Hitler –Lederhose, Janker, Lockenkopf. Der am Talmud geschulte Schlomo macht sich anfangs lustig über diesen ungelenken Hypochonder, der an Verstopfung leidet und zwischen Größenwahn und Selbstmitleid schwankt. Erklärt dem monologisierenden Antisemiten sogar , dass er jüdische Verwandte habe. Die beiden werden zu einem seltsamen Paar, streiten, prügeln und beschimpfen sie sich. Schlomo hofft seinen verlorenen Glauben wiederzufinden, wenn er sich in Nächstenliebe übt. Und so hilft er Hitler in die Lederhose, rasiert ihm sogar den langen Schnauzer zum bekannten Oberlippenbart, und klebt ihm die Stirnlocke mit Wasser an die bleiche Stirn - kreiert so das Antlitz des Bösen. Hitler ist ein Psychopath, der auf Macht, Mord und Weltherrschaft sinnt, doch Schlomo Herzl mag ihn, liebt ihn sogar.

Das Böse: dumm –und doch gefährlich

Christian Stückl untermalt die schnellen Dialoge, die oft sehr körperlichen Interaktionen zwischen Schlomo und Hitler manchmal mit kurzen Musikeinsätzen. Einmal tanzt Schlomo Herzl traumverloren, während er Hitlers Schuhe putzt, dafür erhielt der Darsteller Pascal Figg gestern Abend spontanen Applaus. Dieser Schauspieler zeigt überzeugend die inneren Zweifel und tiefen Auseinandersetzungen des Schlomo Herzl. Jakob Immervoll gibt dem jungen Hitler schon die pathetischen Gesten und das schäumend Wutverspritzende des Originals. Schnell ist diese Inszenierung und temporeich, ohne parodistische Einlagen oder schrille, vordergründige Gags. Manchmal inszeniert Christian Stückl ein wenig zu pädagogisch, ist eher ernst und nachdenklich als auf den leichten tiefen Witz bedacht, nur manchmal betont er das komische, absurde des Geschehens. Stattdessen geht diese Inszenierung nach innen, befragt und bespiegelt die vielschichtige Beziehung zwischen Schlomo und Hitler, zeichnet ein Psychogramm der widersprüchlichen Beziehung zwischen Opfer und Täter - wohltuend nah an dem klugen Text, der voller Verweise, Anspielungen und Zitate steckt. Die Schauspieler begeisterten, brachten mit Verve, Energie und großem Einsatz den Zuschauer zum Lachen, Nachdenken und und Erschrecken. Immer ist ein hintergründiger Schmerz zu spüren, ein Grauen, ein Schrecken. „Mein Kampf“ ist hier kein offen tagespolitisches Stück, die Bezüge zum Heute sind nicht überdeutlich, doch kann sie jeder lesen, wenn über Fremdheit und Fremde gesprochen wird. George Tabori wie auch Christian Stückl erzählen von Menschen, die voller Toleranz sind und nach Gott suchen und von Menschen, die sich über ein Feindbild selbst vergrößern und erhöhen. Das Böse kann lachhaft, blöd und dumm sein, und dennoch gefährlich. Eine schöne, stimmige Inszenierung und eine große Verbeugung vor George Tabori - verdienter langanhaltender Beifall.