André Jung (hinten) und Katharina Bach in "Liebe (Amour)" bei den Salzburger Festspielen
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André Jung (hinten) und Katharina Bach in "Liebe (Amour)" bei den Salzburger Festspielen

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Salzburger Festspiele: Karin Henkel adaptiert Hanekes "Liebe"

Mit "Liebe" gewann Michael Haneke 2012 unter anderem einen Oscar. Karin Henkel adaptiert den Stoff bei den Salzburger Festspielen nun erstmals für die Bühne – und hält sich dabei nur lose an die filmische Vorlage. Dem Abend schadet das nicht.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Eine Bühne wie ein Todeskanal, der sich gleißend weiß nach hinten verjüngt und sich in die Schwärze öffnet: Nichts erinnert hier an das bildungsbürgerliche Ambiente, in dem Michael Haneke in dem Film "Liebe" seinen schonungslosen Blick auf die kaum erträgliche Not eines Paares gelenkt hat, das sich mit Krankheit und Siechtum auseinandersetzen muss.

Hanekes Film - eine lose Vorlage

Von Beginn an macht die Regisseurin Karin Henkel in ihrer sehr freien Theaterbearbeitung bei den Salzburger Festspielen deutlich, dass sie den erfolgreichen Film nicht nur nachspielen will. Und doch erzählt sie die ganze Geschichte: Auch hier gibt es den Sterbehilfemord mit dem Kissen gleich zu Beginn, auch hier gibt es all die Stationen auf dem Weg zur völligen Hilflosigkeit auf der einen und die Stationen der schweren Überforderung auf der anderen Seite. Und all die anderen schonungslosen Details, die Henkel allerdings eher in Worte als in Bilder fasst.

Zugleich geht Karin Henkel mit ihrer Version von "Liebe" auch über die Geschichte hinaus: So fügt sie etwa Recherchedetails aus der teilweise brutalen Welt der Pflegeindustrie hinzu: brutal für Gepflegte wie Pflegepersonal gleichermaßen. Und vor allem erzählt sie das alles ohne jeden Naturalismus. Da gibt es gleichzeitig zwei oder sogar drei Annes, denen George in ihrer Lähmung aus dem Stuhl helfen muss. Da stehen Todestag und Ort und Name an der Wand, da stürzt gleich ein ganzer Grabhügel von der Decke, während sich der Bühnenraum mehr und mehr weitet und zu einem Installationsraum wird, in dem die Themen Krankheit und Tod, Pflege und Überforderung performt und zugleich infrage gestellt werden.

Glänzend: André Jung und Katharina Bach

Im Zentrum der Aufführung: der Schauspieler André Jung, der seiner Figur eine Mischung aus trotzigem Pragmatismus und störrischer Überforderung verleiht, während sie sich nicht nur der nicht zu bewältigenden Anforderung der Pflege stellt, sondern auch der emotionalen Zumutung, einen geliebten Menschen beim Leiden und Sterben zu begleiten. Anne, sein Gegenüber, dagegen ist auf verschiedene Spielerinnen und Spieler verteilt, die das Wort "Hilfe" an die Wand malen, die in Pflegebetten hereinrollen oder die wie Statuen des Leidens im Raum stehen, während ihnen Flüssigkeit unter dem Kleid heraustropft. Doch nur eine der Annes spricht auch: die in ihrer sensiblen Härte sehr überzeugende Katharina Bach.

Außerdem hat Karin Henkel ihrer ebenso herausfordernden wie überzeugend eigenständigen Version von "Liebe" einen Laienchor hinzugefügt, der aus Menschen besteht, die tatsächlich entweder von einer schweren Krankheit selbst betroffen sind, oder die so eine Krankheit bis hin zum Tod im unmittelbaren Familien- oder Bekanntenkreis erlebt haben. Diesen Menschen, die von Beginn an immer mal wieder auftauchen, schenkt Henkel eine ganz eigene Szene in der Mitte des Stückes, in der sie von der eigenen Krankheit und vom eigenen Schicksal erzählen. Und so dringt hier die tatsächliche Gegenwart in die sonst sehr hermetische Welt der Geschichte von Michael Haneke ein: beeindruckend und berührend, ohne je kitschig zu sein.

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