Das neue Gaskraftwerk Leipheim soll in besonderen Notfällen das Stromnetz stabilisieren.
Bildrechte: BR

Das neue Gaskraftwerk Leipheim soll in besonderen Notfällen das Stromnetz stabilisieren.

Per Mail sharen
Artikel mit Video-InhaltenVideobeitrag

Neues Notkraftwerk: 300 Millionen Watt gegen den Blackout

Auf dem Gelände des ehemaligen Fliegerhorsts in Leipheim hat ein Gasturbinenkraftwerk den Betrieb aufgenommen. Es wird aber nicht dauerhaft Strom erzeugen. Die Turbine soll nur bei Notlagen, wie zum Beispiel bei Netzproblemen, anspringen.

Über dieses Thema berichtet: Mittags in Schwaben am .

Noch von Weitem kann man sie sehen: Die 161 Meter hohen Kühltürme des Atomkraftwerks Gundremmingen. Doch die Anlage ist nur noch ein Scheinriese. Seit mehr als eineinhalb Jahren ist sie abgeschaltet. Der Niedergang des einen Giganten ließ nur wenige Kilometer entfernt einen neuen entstehen. In Leipheim hat Bayerns Ministerpräsident Markus Söder (CSU) am Montag ein Gaskraftwerk eingeweiht, dessen Turbine es allein schon auf ein Gewicht von mehr als 300 Tonnen bringt. Die Lücke, die der eine Koloss riss, soll der neue nun in besonderen Notfällen ausgleichen.

Söder fordert Bau neuer Kraftwerke

Söder nannte das Gaskraftwerk einen "Sicherheitsfaktor", um die Stromversorgung zu garantieren. Durch den Ausstieg aus der Kernenergie, den er angesichts der Energiekrise als „verfrüht“ kritisierte, habe sich die generelle Lage verschlechtert. „Nicht nur im medizinischen Bereich können wir uns Stromausfälle nicht leisten, sondern auch bei Hochtechnologieunternehmen, wo ganze Produktionsreihen aussortiert werden müssen“, so Söder. Der Ministerpräsident plädierte grundsätzlich dafür, mehr Kraftwerke zu bauen.

Anlage läuft ein paar Tage im Jahr

Insgesamt 300 Megawatt kann es produzieren. Das entspricht etwa einem Viertel der Leistung eines Blocks des AKW Gundremmingen. Allerdings geht die Anlage nicht in den Dauerbetrieb und nimmt am freien Strommarkt teil. Netzbetreiber Amprion wird sie vielmehr gezielt hochfahren, an ein paar Tagen im Jahr.

Das "besondere netztechnische Betriebsmittel", wie es im Fachjargon heißt, lässt sich digital aus der Ferne hochfahren. Es soll nur als letzte Maßnahme das Netz stabilisieren und im schlimmsten Fall einen größeren Stromausfall vermeiden.

Mehrere neue Kraftwerke für Süddeutschland

Vier solcher Kraftwerke entstehen derzeit im süddeutschen Raum. Das Gaskraftwerk im hessischen Biblis wurde bereits im März in Betrieb genommen. "Irsching 6" bei Ingolstadt und Marbach in Baden-Württemberg, das mit leichtem Heizöl betrieben wird, sollen folgen.

Die Übertragungsnetzbetreiber Amprion, TenneT und TransnetBW hatten europaweit 1.200 Megawatt an Kapazität ausgeschrieben. Die neuen Anlagen sind "schwarzstartfähig", können also auch dabei helfen, ein Stromnetz nach einem möglichen Blackout wiederaufzubauen.

Wann kommen Notkraftwerke zum Einsatz?

Die Stromnetzbetreiber müssen grundsätzlich so viel Strom bereitstellen, wie gerade gebraucht wird. Gibt es zu viel Strom, wird er ins Ausland exportiert, Deutschland wiederum bezieht ihn aber auch von seinen Nachbarn. Wird aber unerwartet mehr Energie aus dem Netz entzogen, als ankommt, kann das zu einer Störung führen. In der Regel greifen Sicherungsmaßnahmen, um das Netz zu stabilisieren. Andere Kraftwerke fahren ihre Leistung hoch oder zusätzliche Reservekraftwerke gleichen den Mangel aus.

Die neuen Notkraftwerke werden hingegen vor allem dann eingesetzt, wenn beispielsweise Stromleitungen, Transformatoren oder Generatoren ausgefallen sind und es dadurch zu einem kritischen Zustand im Stromnetz gekommen ist.

Schon 2011 hatten die Stadtwerke Ulm/Neu-Ulm geplant, ein Gaskraftwerk in Leipheim zu errichten. Es folgten ein Bürgerbegehren, mehrere Ausschreibungen und neue Planungen. Zwischenzeitlich stand das Projekt schon fast auf der Kippe. Die LEAG, die Lausitzer Energie AG, genauer gesagt eine ihrer Tochterfirmen, setzte das Projekt schließlich um. Im September 2021 war der Spatenstich, knappe zwei Jahre später ist das Kraftwerk nun fertig. 260 Millionen Euro hat es gekostet.

Bildrechte: BR / Allgaier
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Bayerns Ministerpräsident Markus Söder gibt den Startschuss für das neue Gaskraftwerk in Leipheim.

Wandel am Strommarkt

Für die Erzeugerseite hat sich gerade in Süddeutschland in den vergangenen Jahren viel verändert. Durch den Ausstieg aus der Kernenergie stand plötzlich weniger gesicherte Leistung zur Verfügung, die weitgehend unabhängig von äußeren Einflüssen verfügbar ist. Zwar liefern erneuerbare Energien inzwischen rund die Hälfte des Strombedarfs, allerdings schwankt je nach Wetterlage die Ausbeute gerade bei Wind und Sonne erheblich.

Windenergie wird überwiegend im Norden Deutschlands erzeugt, doch es fehlt noch an entsprechenden Trassen, die den Strom in den Süden bringen. Die zusätzlichen Notkraftwerke sichern die Versorgung, weil sie binnen einer halben Stunde ihre volle Leistung erreicht haben und sich flexibel anschalten lassen. Die vorhandene Netzreserve besteht dagegen überwiegend aus älteren, langsameren Anlagen.

VBEW-Chef drängt auf mehr Versorgungssicherheit

Der Verband der Bayerischen Energie- und Wasserwirtschaft VBEW hat erneut betont, dass Photovoltaik und Wasserkraft allein die Stromversorgung nicht sicherstellen könnten. Im Interview mit BR24 TV sagte Hauptgeschäftsführer Detlef Fischer, es brauche "weitere Betriebsmittel", die diese Aufgabe übernehmen könnten.

Wasserstoff etwa müsse spätestens dann zuverlässig zur Verfügung stehen, wenn aus Kohle und Erdgas ausgestiegen werden solle. Dann müssten auch die Stromtrassen stehen. Dass das noch nicht der Fall sei, liege an Fehlern in der Vergangenheit. "Die bayerische Staatsregierung hat sehr lange damit gefremdelt", so der VBEW-Chef, die Trassen könnten demnach längst fertig sein. Derzeit koste dieses Versäumnis den Freistaat viele Millionen Euro pro Jahr, weil Windkraft abgeriegelt und Reservekraftwerke hochgefahren werden müssten. "Das zahlen auch die Stromkunden", betonte er.

Im Audio: Gaskraftwerk Leipheim soll Engpässe abfedern

Gaskraftwerk Leipheim
Bildrechte: BR/Peter Allgaier
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Das neue Gaskraftwerk Leipheim soll in besonderen Notfällen das Stromnetz stabilisieren.

Dieser Artikel ist erstmals am 31. Juli 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!