Vladimir Jurowski diskutiert mit Klimaklebern
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Debatte auf dem Orchesterpodium in Luzern

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Reden lassen? Klimakleber-Eklat beim Bayerischen Staatsorchester

Heftiger Unmut des Publikums, aber ein überaus verständnisvoller Dirigent: Beim Gastauftritt des Orchesters der Bayerischen Staatsoper im schweizerischen Luzern stürmten Klimakleber aufs Podium. Sie durften sprechen - was manche Zuschauer empörte.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Hitzewelle tötet – Überschwemmungen: Es ist jetzt Zeit!": Mitten im dritten Satz von Anton Bruckners "Romantischer" Sinfonie enterten zwei Klimaaktivisten von "Renovate Switzerland", die sich im Netz als "Selina und Anthony" zu erkennen gaben, das Podium im Luzerner Kultur- und Kongresszentrum (KKL) und störten den Auftritt des Bayerischen Staatsorchesters, das gerade auf Europa-Tour ist. Dabei legte das Lucerne Festival Wert darauf, dass die Protestierer nicht von außen in den Saal eindrangen, sondern zwei "gekaufte Tickets" besessen, sich also zunächst auf ihren Sitzplätzen befunden hätten.

Generalmusikdirektor Vladimir Jurowski, der seinen persönlichen CO2-Abdruck nach eigenen Angaben reduzieren will und seit sechs Jahren innerhalb Europas nur noch den Zug benutzt, reagierte betont gelassen und dirigierte zunächst einfach weiter, doch als die "Klimakleber" während der Aufführung immer wieder Parolen in den Saal brüllten und vor dem "Kohlendioxid-Kollaps" warnten, antworteten Zuhörer mit teils aggressiven Gegenrufen wie "Maul halten" oder "Raus hier". Jurowski beendete den dritten Satz und wandte sich dann ans Publikum, er habe den Aktivisten "sein Wort gegeben", sie dürften ihr Anliegen vortragen, dafür würden sie im Gegenzug danach den Saal verlassen.

Als die beiden Protestierer sprechen wollten, setzte sich Jurowski auf den Boden, um ihnen zuzuhören, er deutete sogar Beifall an. Wütende Einzelstimmen aus dem Publikum unterbrachen die Aktivisten jedoch, manch einer verließ demonstrativ den Saal. Jurowski griff ein und drohte, das Konzert abzubrechen, wenn ihn die Konzertbesucher daran hinderten, sein Wort zu halten. Nach wenigen, kaum verständlichen Sätzen, verließen die Klimakleber dann tatsächlich das KKL, am Podium hinterließen sie lediglich Handabdrücke: Offenbar hatte der eingesetzte Kleber in diesem Fall versagt oder war nicht sachgerecht verwendet worden.

"Wir sind alle zutiefst schockiert"

"Wie kann ein Dirigent sich so instrumentalisieren lassen, dass er sich neben Klimaklebern auf den Boden setzt, wir sind alle zutiefst schockiert", schimpfte eine aus Deutschland angereiste Besucherin gegenüber dem BR. Ein weiterer Besucher regte sich darüber auf, dass sich Jurowski "als Gast in der Schweiz" so repräsentiere: "Das verstehe ich überhaupt nicht." Festspielchef Michael Haefliger äußerte sich ebenfalls sehr ungehalten: "Wir bedauern sehr, dass das Konzert durch zwei Klimaaktivisten überraschend unterbrochen wurde. Grundsätzlich verstehen wir, dass man sich für die Anliegen der Natur einsetzt. Für die Art und Weise allerdings, wie die Aktivisten agierten, haben wir überhaupt kein Verständnis. Sie haben unsere Besuchenden sowie die Künstlerinnen und Künstler gestört." Um eine "Eskalation" zu vermeiden, sei darauf verzichtet worden, die Aktivisten "gewaltsam aus dem Saal" zu befördern. Auf diese Weise sei es gelungen, das Konzert "nach vier Minuten fortzusetzen".

Staatsopernintendant Serge Dorny lobte Dirigent Jurowski, er habe "wahrscheinlich richtig" reagiert, womöglich hätte er das Konzert allerdings sofort unterbrechen sollen, nachdem die Aktivisten in den Saal "gestürmt" waren, was übrigens fast lautlos geschah, um ihnen die Möglichkeit zu geben, ein paar Worte zu sagen.

"Unglaubliche Konzentration gefordert"

"Ich war sehr erstaunt, dass das Orchester so konzentriert blieb", sagte Dorny dem BR. "Das ist ja eigentlich interessant und kommt schon mal vor, aber man muss sich vorstellen, da sitzen Musiker auf der Bühne bei einem Werk, das unglaubliche Konzentration erfordert. Es geht also darum, wie man sie in so einer Situation dabei unterstützen kann." Dorny erinnerte daran, dass Aktivisten auch schon auf Filmfestivals und bei anderen Anlässen für ihre jeweiligen Anliegen, ob Klima, Genderfragen oder MeToo, Veranstaltungen gestört hatten.

Möglicherweise, vermutete Dorny, sei es zu dem Vorfall gekommen, weil Jurowski in einer Veröffentlichung der Festspiele betont hatte, wie wichtig ihm das Engagement für den Klimaschutz sei: "Keiner kann ohne intakte Natur leben." Der Dirigent wurde von der Neuen Zürcher Zeitung bereits im Februar 2022 mit der Schlagzeile gelobt: "So führt man, ohne zu herrschen." Er stehe für einen "neuen" Führungsstil.

Die Bayerische Staatsoper hatte dem Vernehmen nach eigentlich bei den Münchner Vorstellungen von Sergej Prokofjews umstrittener, teilweise als "stalinistisch" bezeichneter "Propaganda"-Oper "Krieg und Frieden" nach dem Roman von Lew Tolstoi mit möglichen Protesten gerechnet, etwa von Seiten ukrainischer Aktivisten. Doch das erwies sich als unbegründete Sorge. Der in Moskau geborene Jurowski, der seit 20 Jahren die deutsche Staatsbürgerschaft besitzt, sagte BR Klassik bereits vor Putins Angriffskrieg: "Mich verbindet mit dem Regime gar nichts. Ich kenne ein paar Repräsentanten. Herrn Putin habe ich persönlich nie getroffen. Aber ich habe zum Beispiel inzwischen schon drei Kulturminister kennengelernt." Der Dirigent ließ sich seitdem mit einem Anstecker in den ukrainischen Nationalfarben fotografieren und gilt als überzeugter Kämpfer für Zivilcourage und gegen jede Form von Militarismus.

Die Schweizer Presse berichtete nur Minuten nach dem Eklat im Luzerner KKL über die umstrittene Störaktion.

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