Szene aus dem Theaterstück "Im Menschen muss alles herrlich sein"
Bildrechte: Armin Smailovic

Szene aus dem Theaterstück "Im Menschen muss alles herrlich sein" an den Münchner Kammerspielen

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Premiere an den Kammerspielen: Die Kneipe als Erinnerungsraum

Im Theaterstück "Im Menschen muss alles herrlich sein" an den Münchner Kammerspielen spielt sich ein bravouröses Ensemble durch die Hoffnungen und Ängste verschiedener Generationen – und bewahrt noch in der Lächerlichkeit Würde. Die Premierenkritik.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Mütter und Töchter, Töchter und Mütter – wie wenig sie sich verstehen, wie wenig sie voneinander wissen und wie sehr sie sich trotzdem nacheinander sehnen und voneinander abhängig sind. Das alles zeigt Sasha Marianna Salzmann anhand eines Traumbilds, von dem sie Nina erzählen lässt. Eine der beiden Töchter, die zusammen mit ihren beiden Müttern im Mittelpunkt des Geschehens von "Im Menschen muss alles herrlich sein" stehen.

Nina, die Autistin, die es unter den Menschen nicht aushält, die Gamerin, die immer wieder von einer erdumschlingenden Schlange von Müttern und Töchtern träumt, die hintereinanderstehen, der Nächsten am Rücken kratzen, immer der nächsten Mutter, die wiederum Tochter ist der nächsten Mutter.

Generationen- und Geschichtspanorama

Das groß angelegte Generationen- und Geschichtspanorama von "Im Menschen muss alles herrlich sein" blickt in der Sowjetunion zurück bis hin zum sogenannten Holodomor, dem Hunger-Genozid durch den stalinistischen Terror gegen die ukrainischen Autonomiebestrebungen in den 1930er-Jahren, bei dem mehrere Millionen Menschen starben.

In die Gegenwart reicht es dann über den Zusammenbruch des Sowjetreiches, bis nach Deutschland im Jahr 2017 als Krim und Donbass schon besetzt sind. Eine der Figuren, die dabei im Mittelpunkt stehen, ist Lena. Ihr Aufwachsen als Oktoberkind und Pionierin, ihr Studium der Medizin, ihre Arbeit als Dermatologin nach dem Zusammenbruch und schließlich ihre Immigration nach Deutschland.

Die Kneipe als Erinnerungsraum

Zu ihrem 50. Geburtstag treffen sich alle in Jena in einer Kneipe. Alle prallen aufeinander, die Mütter und Töchter, die Väter und Großväter, die, die noch immer mit ihrer Geschichte in einer sozialistischen Vergangenheit festhängen und die, die ebenfalls, wenn auch ohne ihr Wissen dort verfangen sind. Auch wenn sie im Westen aufwuchsen.

In den Münchner Kammerspielen hat Regisseur Jan Bosse sich für seine Theaterversion von "Im Menschen muss alles herrlich sein" diese Kneipe als eine Art Einheitsraum entwerfen lassen, in dem er den ganzen Abend spielen lässt. Eine Kneipe, wie sie früher einmal war, mit Bar und Jukebox und Kleiderhaken zum Kostüm- und Rollenwechsel sowie eine Musikbühne, auf der sich das Ensemble dann und wann auch musikalisch zusammenfindet. In diesem Erinnerungsraum sind immer auch Menschen präsent, die vielleicht schon tot sind oder weit fort. Oder die ihren Müttern als Töchter bei der Vergangenheit zuschauen.

Menschen im Umbruch

In diesem Erinnerungsraum kann man über Tausende von Kilometern hinweg telefonieren und dabei zugleich gemeinsam an einem Tisch sitzen. Man kann einfach nur da sein oder hinter der Jukebox aus der Wand kommen. Man kann das Milchglas des Fensters zertrümmern, weil man es nicht mehr aushält. Oder man kann singen, wenn man sonst keinen Ausweg aus seinen Gefühlen weiß.

Es ist ein sehr poetischer Raum, der es ermöglicht, den ebenso poetischen wie zeitlich sehr komplex gebauten Roman von Sasha Marianna Salzmann auf frappierend einfacher und dabei theatral faszinierende Weise auf die Bühne zu bringen. Dabei kann man einem bravourösen Ensemble dabei zuschauen, wie es sich durch die Hoffnungen, Ängste, Lebenslügen und Bewältigungsstrategien der verschiedenen Generationen spielt und dabei noch in der Lächerlichkeit Würde bewahrt. Man erfährt dabei etwas über Menschen im Umbruch.

Und das sollte uns auf eine ganz besondere Weise heute und hier und jetzt interessieren.

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