Tiere suchen auf einer endlosen Müllkippe nach Nahrung:  Szene aus "Plastic Fantastic"
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Müllkippe: Szene aus "Plastic Fantastic"

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"Plastic Fantastic": Was die Doku so aufschlussreich macht

Es gibt gut fünfhundertmal mehr Kunststoffpartikel in den Ozeanen als Sterne in unserer Galaxie. Die Dokumentation von Isa Willinger liefert verstörende Erkenntnisse. Sie zeigt aber auch, wie das globale Problem Plastik in den Griff zu bekommen wäre.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Die Kamera schwenkt über Supermarktregale, zeigt Süßigkeiten in Plastikverpackung, eingeschweißte Haushaltsartikel, Billigspielzeug aus Kunststoff. Davor: Aufnahmen anrollender Meereswellen, auf denen der Müll tanzt. Plastikflaschen und -tüten vor allem. Aber auch an vermeintlichen Traumstränden sind die Überreste unübersehbar, wenn man seine Augen nicht völlig vor dem Problem verschließt.

"40 Prozent des produzierten Plastiks sind Einwegartikel", erklärt im Film die Meeresforscherin Sarah-Jeanne Royer, während sie kleine Kunststoffteile aus dem Sand an der Bilderbuch-Küste Hawaiis aufliest. Zahlen und Fakten wie diese finden sich fast so zahlreich über den ganzen Film verteilt wie Plastikpartikel in der Natur. Jede dritte Plastikverpackung, so ist zum Beispiel noch zu erfahren, endet im Ozean. Aber nicht nur die mehr oder minder sichtbare Plastik-Vermüllung der Welt ist ein massives Problem.

Mikroplastik – die unsichtbare Gefahr

Fast noch größer: Die Bedrohung durch Mikroplastik, wie Michael Braungart, Professor für Öko-Design in Leipzig, erklärt. Man nehme zum Beispiel die Elbe. "Die Hälfte von allem Mikroplastik, das im Fluss zu finden ist, stammt vom Reifenabrieb unserer Autos." So gerät Plastik in Fische und schließlich in die Körper der Menschen, wenn sie Fisch essen. Was Mikroplastik im menschlichen Körper anrichtet? Das ist noch nicht vollumfänglich erforscht. Was aber schon bekannt ist: Weichmacher verringern die Fruchtbarkeit. Und bei Tieren führt Mikroplastik im Gehirn zu Verhaltensänderungen.

"Ich hatte ich das Gefühl, es gibt da noch ein riesiges Defizit an Aufklärung", sagt Isa Willinger. Anderthalb Jahrzehnte nach Werner Bothes aufsehenerregender Kino-Doku "Plastic Planet" hat die Münchner Regisseurin daher nun also einen weiteren Film über das Problem Plastik gedreht.

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Regisseurin Isa Willinger

Plastikproduktion nimmt zu statt ab

Auslöser für die Dreharbeiten, berichtet sie, sei eine ebenso aufschlusseiche wie verstörende Erkenntnis gewesen: "Vor drei Jahren, als ich den Film begonnen haben, hatte ich an der New York Times einen Artikel gelesen über das Wachstum des Plastikmarktes. Der Mark für Plastik schrumpft nicht etwa, wie man vielleicht vermuten würde, weil wir immer mehr Plastikverbote sehen. Sondern er wächst sogar rasant!"

In der Tat, in den letzten 15 Jahre, also seit Werner Bothes "Plastic Planet", ist mehr Kunststoff produziert worden als in den 40 Jahren davor. Der Grund dafür: Plastik-Produktion ist die Wachstumsstrategie schlechthin für die Öl- und Gasindustrie. Die perfide Logik dahinter: Durch den allmählichen Ausstieg aus fossilen Brennstoffen in der Mobilität und Wärmeenergie, expandiert die Branche auf anderen Geschäftsfelder. Die Lösung eines Problems erzeugt eine neues an anderer Stelle.

Zu Wort kommen Aktivisten, aber auch Lobbyisten

Für ihren höchst sehenswerten Film hat Isa Willinger Wissenschaftler und Aktivisten auf verschiedenen Erdteilen getroffen. Vom kleine Start-Up in Hamburg, das Öko-Kunststoff aus Abfallprodukten der Getreideverwertung entwickelt, bis zur Initiative in Kenia, die für ein Verbot von Einwegplastik kämpft.

Die Filmemacherin hat aber auch Lobbyisten vor die Kamera geholt. Kunststoffe würden "diskriminiert", klagt da zum Beispiel Ingemar Bühler vom Europäischen Wirtschaftsverband der Kunststoffindustrie, und führt dagegen die Vorzüge des Materials ins Feld: "Corona-Schutzmasken etwa oder auch die Behälter und Deckel für die Impfstoffe, die uns vor Covid schützen, werden in den meisten Fällen aus Kunststoffen hergestellt."

Und Joshua Baca, in ähnlicher Funktion wie Bühler in den USA tätig, ergänzt, der Einbau von Kunststoff mache Pkw leichter, das spare Sprit; Plastikverpackungen würden Lebensmittel haltbarerer machen, das beuge der Verschwendung vor; und dergleichen Argumente mehr.

Profitstreben der Industrie

Alles nur Greenwashing – so die mehrheitliche Meinung der Plastikgegner, die sich davon nicht einwickeln lassen wollen. Und übrigens: Recycling, so ist im Film zu erfahren, ist auch nicht wirklich eine Lösung. Denn es ist energieaufwendig und ineffizient. Hilft nur für den Verbraucher: Vermeiden wo es geht. Und – noch entscheidender – für die Hersteller und Verarbeiter: Umsatteln auf nachhaltigere Alternativ-Materialen, die es ja schon gibt. Nur dass der Ölindustrie nicht an deren Erfolg gelegen ist.

Dieser Industrie gilt das besondere Augenmerk von Willinger Film: "Tatsächlich ist es so, dass wir im Film nicht die Konsumenten als die Hauptverantwortlichen darstellen wollten, wie die Industrie das so gerne tut, um sich selbst rauszuziehen." Es handle sich um einen profit-getriebener Wirtschaftszweig, der kein Interesse habe, seine Gewinne zu schmälern.

Die Fakten sagen: "Plastic Not Fantastic"

Isa Willingers eindrucksvoll recherchierter Dokumentarfilm „Plastic Fantastic“ kommt ohne Stimme aus dem Off aus. Sie habe bewusst auf Kommentierung verzichtet, so die Regisseurin, da ihr Film "den Zuschauern Raum zum Denken lassen soll. Umso stärker wirkt er dann auch nach". Willingers Haltung zu den wachsenden Plastikmüllbergen wird freilich auch ohne Kommentar deutlich. Sie türmt haufenweise Fakten auf, die nur einen Schluss zulassen: Plastik ist alles andere als fantastisch. Der gewünscht intensiven Nachwirkung von "Plastic Fantastic" tut diese Eindeutigkeit aber keinen Abbruch.

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