Männer stoßen auf der Wiesn mit einer Maß Bier zusammen an.
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Oktoberfest, Bierfest. Aber ist Bier eine Droge?

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"Offene Drogenszene" Wiesn? Warum wir Alkohol anders "bewerten"

Nach Protest der Wiesn-Wirte hat Vizebürgermeister Krause seinen Satz zur Wiesn als "weltweit größter offener Drogenszene" relativiert. Forscher erklären, warum Alkohol gesellschaftlich anders gewertet wird als etwa Haschisch oder Kokain.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Dominik Krause, der neue Vize-Bürgermeister der bayerischen Landeshauptstadt, hat in einem Instagram-Interview das Münchner Oktoberfest als die "weltweit größte offene Drogenszene" bezeichnet. Wirte der Wiesn sehen sich dadurch beinahe zu Dealern diskreditiert. Sie sagen, zwischen Cannabis-rauchenden Personen und feiernden Biertrinkern bestehe ein "himmelweiter Unterschied". Für sie ist Bier keine Droge.

Experte: Alkohol macht häufiger aggressiv

Eine derartige Unterscheidung zwischen "guten, legalen" und "bösen, illegalen Drogen" ist der Forschung jedoch seit Langem suspekt. "Alkohol macht in einem ganz großen Stil oder viel häufiger aggressiv als Cannabis, sorgt viel häufiger für Schlägereien, für soziale Unordnung und Unruhen als Kiffen", sagt Robert Feustel, Soziologe an der Universität Jena und Herausgeber des "Handbuch Drogen". Daher sei er – wie Vize-Bürgermeister Krause – geneigt, zu sagen: Das Oktoberfest ist eine "große, offene Drogenszene".

Wenn die Wiesn-Wirte sich diskriminiert fühlten, dann deshalb, weil sie möglicherweise ein falsches, stereotypes, von Vorurteilen getragenes Dealer-Bild hätten, so Feustel. Ein Bild von Dealern, die als die Bösen gelten, die Menschen angeblich verführen und süchtig machen. "Wir haben uns in den letzten Jahrzehnten angewöhnt, sehr stereotyp, sehr vereinfacht und an ganz vielen Stellen grundsätzlich falsch über Drogen, Drogenkonsum und illegale Handelswege zu denken und zu sprechen." Und das provoziere, so Feustel, wenn man das sozusagen wieder ein bisschen ins Verhältnis rücken wolle.

"Es gibt keine harten und weichen Drogen"

Dass Alkohol jedoch die "physiologisch schädlichste Droge von allen" ist, ein Nervengift mit hohem Suchtpotenzial, das gehe – so Feustel – aus der Forschung der vergangenen Jahrzehnte und Tausenden von Büchern hervor. "Nur die Öffentlichkeit will es nicht wahrhaben." Ihn ärgere schon lange, dass die Leute immer von Alkohol und Drogen sprechen. "Alkohol ist eine Droge. Es gibt keine harten und weichen Drogen. Es gibt nur harte und weiche Konsumformen".

Dabei will Feustel Alkohol ausdrücklich nicht verteufeln und hält auch nichts von Überlegungen, ihn zu verbieten oder zu reglementieren. Denn: "Kulturgeschichtlich wurde schon immer getrunken - und es wird auch immer getrunken". Die Phase der Alkoholprohibition in den USA, von 1923 bis 1933, sei "brutal schiefgegangen und das würde es hier auch", meint er im BR-Interview.

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Nachgewiesenermaßen und ganz offenkundig: Alkohol ist ein Nervengift, wie andere Drogen auch.

Genussmittel vs. Heilmittel

Warum in unserer Gesellschaft Alkohol nicht nüchtern als Droge erkannt wird und umgekehrt Drogen oft verteufelt werden, damit hat sich auch die Freiburger Historikerin Helena Barop in einem Buch auseinandergesetzt. Alkohol habe als das von uns am häufigsten verwendete Suchtmittel ursprünglich in einer ganz anderen Ecke in der Gesellschaft seinen Platz gehabt als "harte" Drogen.

Drogen seien ursprünglich Medikamente gewesen, so Barop im BR-Interview: "Was wir unter Drogen verstehen, sind Substanzen, die ursprünglich mal als Medikamente oder als Heilmittel entwickelt worden und dann eben auf unterschiedlichen Wegen in Verruf geraten sind, im Lauf des neunzehnten Jahrhunderts".

Alkohol aber habe nie als Medikament eine Hauptrolle gespielt, sondern sei seit vielen Jahrhunderten und Jahrtausenden als Genussmittel verwendet worden. "Und es gab eben nie eine Expertenkommission, die sich mal hingesetzt und gesagt hätte, 'okay, jetzt gucken wir mal, was ist denn wie gefährlich'?", so Barop.

Heilmittel seien im Unterschied dazu auf ihre Wirkungen und Nebenwirkungen untersucht worden: Im Laufe des 19. Jahrhunderts seien viele neue Substanzen in der Pharmaindustrie entwickelt worden, die deutlich andere und kräftigere Wirkung hatten als Heilmittel früher – und zum Teil eben rauschhafte Nebenwirkungen.

Das habe insbesondere im puritanischen USA des 19. und 20. Jahrhunderts dazu geführt, dass diese Drogen verboten wurden, die Liste der verbotenen Substanzen sei "immer länger geworden". "Es fing an mit dem Opium. Dann kam später das Kokain dazu und so weiter". So seien ursprünglich als Medikamente entwickelte Drogen sukzessive als "böse Rauschmittel" verschrien und aus der Forschung verbannt worden.

Historikerin: Verkappter Rassismus bei der Drogenpolitik

Im Kampf gegen Rauschmittel wie Opium, Haschisch und Kokain war, so die Freiburger Historikerin, auch häufig ein verkappter Rassismus am Werk. So erfuhren chinesische Einwanderer in den USA des 19. Jahrhunderts immer mehr Ablehnung, eine Ablehnung, die 1882 in die totale Einwanderungssperre mündete. Einerseits hatte man Angst, dass diese "billigen" Arbeitskräfte "die Arbeitsplätze in der Mine oder im Eisenbahnbau wegnehmen könnten". Andererseits habe man die Angst vor diesen Einwanderern dann ganz häufig am Opium festgemacht, so Barop im BR.

Die Droge der Einwanderer aus China war ihnen fremd, es "entstand dieser Mythos der Opiumhöhle, der zu einem ganz großen Teil eben eine Gruselgeschichte ist, die gar nicht so viel mit der Realität zu tun hatte. Da stellte man sich vor, das sind irgendwelche total berauschten Männer, die auf ihren verlotterten Matratzen im Keller liegen und völlig weggetreten sind und die aber dann eben vor allem die Frauen verführen und die Unschuld der jungen Amerikanerin bedrohen...." Manche Leute hätten damals tatsächlich Angst gehabt, so die Historikerin, dass sie, wenn sie genug Opium geraucht hätten, chinesische Gesichtszüge entwickeln würden. "Dieser Rassismus und die Angst vor dieser 'gelben Gefahr' war sehr weit verbreitet in den USA", so Barup.

Drogenverbote zur Gängelung von Minderheiten

Ein vergleichbares Diskriminierungsmuster konstatiert Barop auch für den Anfang des 20. Jahrhunderts im Verhältnis zu Schwarzen: Über Afroamerikaner habe das Gerücht kursiert, dass sie extrem gewalttätig würden, wenn sie Kokain genommen hätten, was sie immun gegen Schusswaffen mache, - so hieß es etwa in einem Artikel der "New York Times" im Jahr 1914. "Auch da passiert genau das Gleiche, dass eben dann, mithilfe dieser Drogengesetze, diese Menschen ausgegrenzt werden". Auch werde das Argument immer wieder eingesetzt, dass gesagt werde, diese Menschen seien "'Gesellschaftsschädlinge' oder sowas, weil sie eben diese Droge konsumieren".

Diese Verbindungslinie von Drogenpolitik und Rassismus werde auch in der zweiten - 2024 erscheinenden - Auflage von Feustels "Handbuch Drogen" einige Kapitel füllen, so der Jenaer Soziologe. Die Verbindung sei bei uns tatsächlich eine leider unterrepräsentierte, aber sehr wichtige Geschichte: "Dass man seit Mitte des 19. Jahrhunderts nachvollziehen kann, dass die Drogenverbotspolitik – ich würde sogar sagen – in erster Linie zur Gängelung von Minderheiten und zur Diskriminierung von Minderheiten gedacht war oder zumindest so genutzt wurde. Gedacht war, ist schwierig, aber es wurde so genutzt."

Helena Barop: "Der große Rausch. Warum Drogen kriminalisiert werden. Eine globale Geschichte vom 19. Jahrhundert bis heute" ist im Siedler-Verlag erschienen.

Robert Feustel, Henning Schmidt-Semisch, Ulrich Bröckling (Hrsg): "Handbuch Drogen in sozial- und kulturwissenschaftlicher Perspektive" erschienen bei Springer VS

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