Blick in die Ausstellung mit vielen Kleidungsstücken und Schuhen aus der Nachkriegszeit
Bildrechte: BR/Barbara Leinfelder

Die Schau "Kleider.Geschichten. - Arno Schmidts textiler Nachlass" zeigt viele Exponate, die jeder kennt.

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Morgenmäntel aus Wolldecken und Blusen aus Zuckersäcken

Warum Jacken, Schuhe und Hosen aus der Nachkriegszeit mehr als alter Plunder sein können, zeigt das Augsburger Textil- und Industriemuseum mit dem Nachlass des Schriftstellers Arno Schmidt. Dieser nahm einst eine Auszeichnung ohne Hemd entgegen.

Über dieses Thema berichtet: Regionalnachrichten aus Schwaben am .

Eine Bluse aus dem Stoff eines Zuckersacks zusammengenäht, ein Morgenmantel aus einer alten Wolldecke geschneidert, vieles ist Dutzende Male geflickt – und zeugt von einer Kultur des Erhaltens, nicht des Wegwerfens. Penibel gefaltete Taschentücher, saloppe Holzpantinen, eine grüne Lederjacke, mit der Schriftsteller Arno Schmidt gern betont maskulin auf Fotos posierte – die Schau "Kleider.Geschichten. - Arno Schmidts textiler Nachlass" erlaubt einen intimen, liebevollen Blick nicht nur in den Kleiderschrank des Schriftstellers und seiner Frau Alice, sondern in ihr alltägliches Leben, ihr persönliches Miteinander.

Mäzen Reemtsma gründete Schmidt-Stiftung

Und es gibt mannigfaltige Bezüge zu den Romanen Arno Schmidts. Seine Romane seien voll von "textilen Metaphern", die den sonst sehr realistischen Schilderungen einen ausgesprochen lyrischen Beiklang geben würden, so Jan Philipp Reemtsma. Der Hamburger Literaturwissenschaftler und Mäzen ist Gründer und Vorsitzender der Arno-Schmidt-Stiftung. Zur Eröffnung der Ausstellung im Textil- und Industriemuseum (TIM) ist er nach Augsburg gekommen.

1950 ohne Hemd zur Preisverleihung

Die politische und ästhetische Radikalität machte Arno Schmidt, der gern zurückgezogen auf dem Land lebte, in den 1950er-Jahren zu einem gefeierten, aber auch umstrittenen Autor. Anfangs trägt seine Frau Alice über den Verkauf von Carepaketen der Schwägerin mehr zum Haushaltseinkommen bei, so verbissen-fleißig Arno Schmidt auch Zeile um Zeile zu Papier bringt.

Seine erste große Auszeichnung, 1950 in Mainz, muss Arno Schmidt ohne Hemd unter dem Sakko in Empfang nehmen, schlichtweg, weil er kein passendes besitzt, erklärt Kuratorin Susanne Fischer. Damals hätten andere Besucher sich gefragt, ob er seine Armut inszeniere. Man konnte nicht glauben, dass der Schriftsteller so arm sei, "aber genauso war es", sagt die Kuratorin.

Flucht, Vertreibung, Neuanfang

Für Karl Borromäus Murr, den Leiter des TIM, sind die über 1.000 Objekte aus mehr als sechs Jahrzehnten "ein faszinierender Kleiderschrank". Die Schau sei ein Spiegel der entbehrungsreichen Nachkriegsgeschichte, die Stücke "zeugen von Flucht und Vertreibung, von Neuanfang". Das Ehepaar Schmidt kam aus Schlesien und musste im Westen erst Fuß fassen. Weil Arno Schmidt als junger Mann in einer Textilfirma seine Ausbildung gemacht hatte, blieb er dem Material Stoff sein Leben lang verbunden.

Begleitet wird die neue Sonderausstellung von einem umfangreichen Rahmenprogramm. Geplant sind eine Lesereihe mit Schauspielerin Corinna Harfouch, Literaturwissenschaftler Jan Philipp Reemtsma und dem Burgtheater-Schauspieler Oliver Nägele sowie interaktive Führungen für Schulklassen.

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