Marienstatue
Bildrechte: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Eine neue Beobachtungsstelle soll in Zukunft gemeldete Marienerscheinungen untersuchen und beurteilen.

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Marienerscheinungen: Echtes Wunder oder teuflischer Betrug?

Eine vorbestrafte Unternehmerin schildert Marienerscheinungen und will Pizza und Gnocchi vermehren können. Kann sie tatsächlich Wunder vollbringen, oder sucht sie nur nach Aufmerksamkeit? Eine neue Beobachtungsstelle soll solche Fälle nun beurteilen.

Über dieses Thema berichtet: Theo.Logik am .

Auf einer Anhöhe bei Trevignano Romano, einer Kleinstadt am Ufer des Bracciano-Sees, haben sich am 3. Mai viele Menschen versammelt. Aus den Lautsprechern ertönt Kirchenmusik, in der Mitte der Wiese steht eine große, weiße Marienstatue mit hellblauem Mantel, geschützt durch eine gläserne Vitrine. Die rund einhundert Gläubigen warten auf Gisella Cardia, die selbsternannte und äußerst umstrittene Seherin.

Die angeblichen Marienerscheinungen von Trevignano Romano halten seit Wochen ganz Italien in Atem. Das italienische Staatsfernsehen RAI berichtet fast täglich, in mindestens halbstündigen Sendungen, über neueste Entwicklungen und lässt Gläubige, Ungläubige, Juristen, Priester und Anwohner zu Wort kommen.

Neue Beratungsstelle soll Marienerscheinungen beurteilen

Der Gottesmutter Maria haben sich Katholiken schon immer besonders nahe gefühlt. Trotzdem hat der Vatikan bisher nur etwa ein Dutzend dieser sogenannten Privatoffenbarungen anerkannt. Immer wieder behaupten Menschen, sie hätten die Gottesmutter gesehen. Deshalb gibt es seit April in Rom nun eine neue Beobachtungsstelle, die bei der Beurteilung solcher Erscheinungen helfen soll.

Gisella Cardia ist Sizilianerin und heißt mit bürgerlichem Namen Maria Giuseppe Scarpulla. Sie ist 53 Jahre alt. Die ehemalige Unternehmerin ist wegen Insolvenzbetrug vorbestraft. Im Jahr 2016 machte Scarpulla eine Pilgerreise nach Medjugorje in Bosnien-Herzegowina – und, so erzählt sie es selbst, auf dem Weg dorthin soll die kleine Marienstatue, die sie bei sich trug, angefangen haben, Blut zu weinen. Nach ihrer Rückkehr habe sie dann die Eingebung bekommen, eine große Kopie der kleinen Statue auf dem Hügel bei Trevignano Romano aufzustellen. Seitdem will sie am dritten Tag jedes Monats eine Botschaft von der Muttergottes erhalten haben. Die Statue soll dann Blut weinen. Gisella berichtet von Stigmata an ihren Händen, von einer sich immer wieder erneuernden Inschrift auf ihrem Unterarm und, dass sie, wie Jesus, zwar nicht Brot und Fische, aber dafür Pizza und Gnocchi vermehren könne.

Gläubige und Pilger berichten von Wundern durch Gisella Cardia

Der Hügel mit der Marienstatue wurde innerhalb weniger Jahre zu einer Art Wallfahrtsort. Gläubige berichten sogar von Wundern: "Mein Rücken tat mir unglaublich weh und jetzt tut er nicht mehr weh. Ich hatte seit der Geburt zerquetschte Wirbel. Jetzt bin ich gesund. Ich glaube daran, ich glaube an Gisella", sagt ein Pilger. Allerdings hat das Bild der Seherin Gisella in den vergangenen Monaten Risse bekommen. Ihr wird vorgeworfen, sich an Spenden der Gläubigen bereichert zu haben.

Einer der großzügigsten Spender war der 70-jährige Luigi Avella. Mit mehr als 120.000 Euro hatte er die Seherin unterstützt. Mittlerweile bereut er das, ist vom Glauben an die weinende Madonna abgefallen und sitzt in den vielen Fernsehendungen rund um den Fall Gisella. "Ich hoffe immer noch, dass der Bischof die Gläubigen auffordert, nicht auf den Hügel zu gehen", sagt Luigi Avella. Doch bislang habe der Bischof nur angekündigt, den Fall genauer untersuchen zu wollen. Ein Privatdetektiv soll mittlerweile herausgefunden haben, die Tränen der Madonna seien aus Schweineblut. Kurz darauf nahm auch die Staatsanwaltschaft Ermittlungen auf.

Gisella und ihr Mann tauchten plötzlich unter, die Erscheinung vom 3. April fiel aus. Einen Monat später ist sie wieder da. "Mein Glaube macht, dass es mir gut geht, weil ich Gott auf meiner Seite habe und die Madonna", sagte Gisella. "In diesen letzten zwei Monaten habt ihr mich wie ein Monster dargestellt. Ihr habt gesagt, ich sei eine Betrügerin. Ihr habt gesagt, dass ich mit Millionen Euro geflohen bin. Aber ich bin hier. Und ich werde hierbleiben", sagt Gisella am 3. Mai auf dem Hügel vor vielen Gläubigen. Die Botschaft, die sie angeblich von Maria empfängt: Die Menschheit steuere auf den Untergang zu. Eine innere Reinigung sei bitter nötig.

Diözesen fehlt oft nötige Kompetenz

Ähnlich komplizierte Fälle wie der von Trevignano Romano sollen in Rom künftig von der neuen "Beobachtungsstelle für Erscheinungen und Mystische Phänomene in Zusammenhang mit der Gestalt der Jungfrau Maria" untersucht werden. Sie ist vom Heiligen Stuhl anerkannt und der Päpstlichen Marianischen Akademie angegliedert. Mitte April hat die Stelle ihre Arbeit aufgenommen. Die Direktorin ist Schwester Daniela del Gaudio, Theologin und Akademie-Dozentin: "Wir wollen den Diözesen helfen, weil dort vielleicht Personen gar nicht die nötige Kompetenz haben, das heißt eine Ausbildung in Mariologie."

Die Normen, die bei dieser Beurteilung greifen, sind von der Glaubenskongregation vor mehreren Jahrzehnten festgelegt worden. Marienerscheinungen seien immer Privatoffenbarungen, die an den Gottesoffenbarungen der Bibel nichts ändern würden, sagt Schwester Daniela del Gaudio. Sie könnten aber daran erinnern, was in der heutigen Welt zum Beispiel in Vergessenheit geraten sei. "Das erste Kriterium ist, zu analysieren, ob der Inhalt der Offenbarung mit den Offenbarungen der Bibel konform ist", sagt die Theologin. Wenn die Offenbarung etwa schlecht vom Papst oder von der Kirche spreche, oder sie von grausamen Strafen handle, sei das ein Zeichen, dass es keine wahre Offenbarung sein könne. "Denn anerkannte Offenbarungen zeigen, dass Gott die Liebe ist", sagt Schwester Daniela del Gaudio. Es gebe noch keine statistischen Erhebungen, aber ihrem Eindruck nach kämen die meisten gemeldeten Marienerscheinungen aus Lateinamerika. "Wir müssen an das Übernatürliche glauben. Wir müssen aber gut unterscheiden und auswerten, weil es viele Phänomene gibt, die nicht wahr sind, die sogar teuflisch sind oder Betrug", sagt Del Gaudio.

Bosnisches Medjugorje nicht offiziell vom Vatikan anerkannt

Die Entscheidungshoheit, eine Offenbarung oder eine Marienerscheinung anzuerkennen, haben letztendlich immer die Ortsbischöfe. Nur in sehr komplizierten, oder für die Öffentlichkeit sehr relevanten Fällen schreitet die Glaubenskongregation ein, wie zum Beispiel bei der Beurteilung des bosnischen Wallfahrtsortes Medjugorje. Die dortigen Marienerscheinungen sind bis heute nicht vom Vatikan anerkannt, trotzdem schickt der Papst sein Grußwort zu dem jährlich dort stattfindenden Jugendfestival.

Erzbistum: Seher sucht nur "öffentliche Aufmerksamkeit"

Zu den wenigen weltweit vom Vatikan anerkannten Stätten gehören Fatima in Portugal und Lourdes in Frankreich. In Deutschland hat sich zum Beispiel das oberfränkische Heroldsbach zu einem nichtoffiziellen Marienwallfahrtsort entwickelt, nachdem vier Mädchen zwischen 1949 und 1952 angegeben hatten, ihnen sei dort auf einer Waldlichtung mehrfach die Gottesmutter erschienen.

Aktuell tritt im Erzbistum München und Freising ein italienischer Seher im Landkreis Mühldorf auf. Salvatore Caputa versammelt seit Jahren regelmäßig Menschen vor einer kleinen Kapelle in Unterflossing, wo ihm dann nach eigenen Angaben die Gottesmutter erscheint. Das Erzbistum hat den Fall geprüft und sich im Frühjahr 2018 deutlich von den Vorfällen distanziert. Das Gutachten hält es angesichts der "Theatralik" der Inszenierung, der Selbstdarstellung des angeblichen Sehers und des Inhalts der Botschaften für naheliegend, dass der Beweggrund für die Auftritte lediglich darin liege, dass der Seher nur "die öffentliche Anerkennung sucht".

Die kirchenrechtliche Abteilung im Ordinariat will sich zu dem Fall nicht mehr äußern. Oft kommen solche Fälle allerdings nicht vor, sagt Abteilungsleiter Marcus Nelles. "Im Durschnitt wenden sich nur ein oder zwei Gläubige pro Jahr an das Erzbistum und geben an, eine Marienerscheinung gehabt zu haben", sagt Nelles. Nach Rom weiterleiten würde das Erzbistum diese Fälle nur, wenn sie sich als glaubwürdig erhärteten.

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