Jasmine Trinca als Maria Montessori in einer Szene des Films "Maria Montessori"
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Das Biopic "Maria Montessori" kommt ins Kino

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"Maria Montessori": Die große Erneuerin der Erziehung

Bloß nicht abhängig werden von einem Ehemann: Maria Montessori heiratet nicht, um eigenständig zu bleiben und ihre Arbeit zu machen. Und die war bahnbrechend. Ein eindrucksvolles Biopic über die große Reformpädagogin.

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Das erste Bild des Films zeigt eine Mutter. Sie trägt und herzt und küsst ihr Kind. Doch dann lässt diese sichtlich liebende Mutter ihr Kind in dem pittoresken Landhaus zurück, der Gram steht ihr ins Gesicht geschrieben. Es ist Maria Montessori selbst und man ahnt schon: Ein Montessori-Film, der ausgerechnet diese Szene an den Anfang stellt, wird vermutlich kein langweiliges Biopic.

Kinder außerhalb der Norm?

Ein Varieté-Abend in Paris, die Kamera folgt der Tänzerin und Kokotte Lili, die sich vor Verehrern kaum retten kann. Es geht um Prinzen und Pferde und schöne Kleider und man zweifelt kurz, ob man wirklich im richtigen Film sitzt, da klingelt es eines Tages am Hoftor. Diesmal wird ein Kind gebracht, ein neunjähriges Mädchen, das Schwierigkeiten hat, allein aus der Kutsche auszusteigen.

Schnell wirft man der Kleinen ein Tuch über den Kopf, das Kind sei "zurückgeblieben" erfahren wir, niemand soll davon wissen. Eben noch stand Lili lasziv tanzend auf der Bühne, jetzt ist sie plötzlich eine Frau voller Scham. Denn Kinder, die einer vermeintlichen Norm nicht entsprachen, galten in jenen Jahren als Frucht der Sünde, niemand würde je Kontakt zu ihr wollen.

Also bringt Lili ihre Tochter nach Rom, dort soll es ein "Heim für Schwachsinnige" geben. An diesem heilpädagogischen Institut hat Maria Montessori die Grundlagen ihrer Pädagogik entwickelt, es waren Kinder mit besonderen Bedürfnissen, von denen sie lernte. Die Sprache der Zeit und damit des Films ist gnadenlos: Von "gut erzogenen Affen" ist da die Rede. Maria kontert mit der Logik der alten Herren: "Wenn ich als Frau Ärztin werden konnte, gibt es bestimmt auch Hoffnung für diese kleinen Idioten".

Zuwendung, Pflege und ein anregendes Umfeld

Lili bringt ihre Tochter – ihr Name ist Tina – nun Tag für Tag an dieses Institut und kann zuschauen, wie sie rechnen und lesen lernt, weil sie endlich bekommt, was ihr so lange verwehrt blieb: Zuwendung und Pflege und ein anregendes Umfeld zum Lernen. Und auch Lili lernt: ganz langsam nähert sie sich der ihr fremden Tochter an.

Die französische Regisseurin Léa Tadorov hat mit "Maria Montessori" einen Film über zwei Frauen gemacht, zwei Mütter, die im Lauf des Films zu Komplizinnen werden. Auch Lili hat ihr Baby einst geliebt, doch dann, als das Kind nie weint, sich zu wenig bewegt, nicht zur rechten Zeit sitzen lernt und nicht so schön anzuschauen ist, lässt der ließ Vater die Ehe annullieren und verlässt Frau und Kind.

Mutterschaft als Kernzelle der Gesellschaft

Immer tiefer taucht der Zuschauer in die Zwänge der Zeit ein, in die wirtschaftliche und existentielle Not der Frauen, in ihre Abhängigkeit von Vätern und Ehemännern. Maria Montessori predigt Mutterschaft als Kernzelle der Gesellschaft, die Anerkennung bekommen muss. In Vorlesungen an der Universität ruft sie die modernen Frauen gleichzeitig dazu auf, ihr Heimstätten zu verlassen, zu lernen und sich den Wissenschaften zuzuwenden.

Doch nicht alles, was die Pädagogin öffentlich predigt, lebt sie auch: Maria und ihr Kollege Giuseppe Montesano haben einen unehelichen Sohn. Giuseppe liebt sie, aber Maria will unter keinen Umständen heiraten. Ehe heißt für sie Knechtschaft und Sklaverei. Sie aber will niemandes Eigentum werden, will ihr Schicksal nicht in die Hände eines so unsicheren Gefühls wie die Liebe legen. Ein Ehemann könnte ihr das Arbeiten jederzeit verbieten. Doch ihre Arbeit ist ihr wichtig, sie ahnt, welche Bedeutung ihre Methoden für die Erziehung kommender Generationen und die Entwicklung der Gesellschaft haben könnten.

Situation von Frauen um 1900

Ganz bewusst hat Léa Tadorov eben keinen Film über diese pädagogischen Methoden gemacht, von denen wird wie nebenbei erzählt. "Maria Montessori" ist vielmehr ein Film über die Situation von Frauen und Müttern um 1900.

Es ist ein Film voll schöner Bilder, doch unter der Oberfläche brodeln existentielle Fragen um Mutterschaft und Freiheit, um gesellschaftliches Ansehen und wirtschaftliche Abhängigkeit: Fragen, die heute offen diskutiert werden, aber längst nicht gelöst sind. Ein starker Film, der kluge Akzente setzt und ganz ohne Schönfärberei der Biografie der Protagonistin auskommt. Das hat Maria Montessori gar nicht nötig.

Video: Trailer von "Maria Montessori"

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