Die Schriftstellerin Herta Müller in weißem Hemd und mit schwarzen Haaren gestikuliert mit den Händen
Bildrechte: picture alliance / Panama Pictures | Christoph Hardt

Die Schriftstellerin Herta Müller wird an diesem Donnerstag 70 Jahr alt. Hier ist sie bei einer Lesung im vergangenen Jahr zu sehen.

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Literaturnobelpreisträgerin Herta Müller wird 70

Ihre bildgewaltige Sprache, mit der sie ihre Erfahrungen der rumänischen Diktatur und ihre Heimatlosigkeit im Exil in Worte fasst, haben Herta Müller ("Atemschaukel") berühmt gemacht. Diesen Donnerstag wird die Autorin 70 Jahre alt.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Ich habe das sehr, sehr lange so gesehen, dass man auch im Schweigen spricht. Es muss nicht alles vom Reden begleitet sein, damit es sich mitteilt. Man kann auch hören, was jemand sagt, indem man sein Gesicht sieht und seine Bewegungen", sagt die Schriftstellerin Herta Müller. In ihrer Stimme liegt der leise Singsang der Banater Schwaben.

Aufgewachsen in einer armen, kargen Landschaft im rumänischen Teil des Banats zwischen Puppengras und Storchenkraut, sagt sie, jede Sprache habe ihre "eigenen Augen" und erlaube einen jeweils anderen Blick auf die Dinge.

Die Erfahrungen des Totalitarismus haben sich tief eingeschrieben

Bildmächtig ist diese Sprache in jedem Fall: "Tintentrauben. Der wilde Wein hieß Tintentrauben", erläutert sie den Titel eines Hörbuchs. "Die blauen, dunkelblauen, schwarzblauen Trauben, haben die Hände immer so verfärbt, und das ging tagelang nicht aus der Haut raus. Und ich dachte immer, die Nacht ist aus diesem Saft, aus diesen Trauben gemacht."

"Die Nacht ist aus Tinte gemacht" heißt dieses außerordentliche Hörbuch, auf dem Herta Müller aus ihrer Kindheit in Nitzkydorf berichtet, eine Zeit, die mitsamt ihren Wörtern den Urgrund ihres metaphernreichen Schreibens bis heute bildet: "Gewisse Dinge bleiben, weil sie in der allerersten Sprache da waren, immer entscheidend. Ich finde das Wort Leib- und Seelgewand schön. Das ist Poesie. Dass man meint, nur weil ein Kleidungsstück von oben nach unten geht, dass es die Seele auch einpackt oder dass es die Seele wärmt und dass das zusammengehört. Dass einem in diesem Kleidungsstück nichts passieren kann."

Die Erfahrungen des Totalitarismus nach 1945 haben sich tief eingeschrieben in das Werk dieser Autorin, deren Mutter ebenso deportiert wurde wie ihr Dichterfreund Oskar Pastior. Dessen fünfjährige "Haut- und Knochenzeit" im sowjetkommunistischen Zwangsarbeiterlager in der heutigen Ukraine hat Müller mit hoher lyrischer Intensität in der Tradition Paul Celans in ihrem berühmtesten Roman "Atemschaukel" verewigt. Vom "hysterischen Hungerengel" ist darin die Rede, um jeden Brotkrumen feilschen die Insassen und finden doch in seltenen Momenten das, was Müller "das Lagerglück" nennt.

Literaturnobelpreis für die Schilderung der "Landschaft der Heimatlosigkeit"

Und so hat diejenige, die 1971 als Schülerin an der Deutsch-Olympiade in Hermannstadt teilnahm, auf ganz eigenen Wegen den literarischen Olymp erklommen. Als sie den Nobelpreis 2009 erhielt, befand die Schwedische Akademie, Müller schildere mit einer "Verdichtung der Poesie und der Freimütigkeit der Prosa die Landschaft der Heimatlosigkeit". 1987 hatte sie Rumänien als politisch Verfolgte verlassen müssen. Vor ein paar Jahren erinnerte sie sich in München an ihre Ausreise und das Ankommen in Nürnberg. Was Müller in Franken bei der Registrierung im "Übergangsheim" Langwasser erlebte, davon erzählt sie in Gedichten. Die Verlorenheit des Exils ist darin zu spüren, und auch das, was Herta Müller "die normale Koffertrauer" nennt.

Der Beamte sagte: Jeder hat den Schädel voller Heimat, / doch die wohnt am Horizont. / Heißt also, dass der leichte Vogel beim Sitzen zuckt. / Ich sag dir, wieso: / Er hat sich beim Fliegen am Himmel verschluckt.

Collagen statt langer Texte

Wie ein zerbrechlicher, zitternder Vogel wirkt die gern rabenschwarz gekleidete Schriftstellerin auch heute noch. Zu ihrem siebzigsten Geburtstag ist der kleine Band "Eine Fliege kommt durch einen halben Wald" mit älteren Texten Müllers neu aufgelegt worden. Schon der einprägsame Titel erinnert an ihre im Gedächtnis haftenbleibenden Collagen, die die Anmutung von Erpresserschreiben haben, weil Herta Müller diese Text-Gebilde aus einzelnen Zeitungsbuchstaben zusammenklebt. Sie mache lieber Collagen, als lange Texte zu schreiben.

Woran auch immer Herta Müller gerade sitzt. Es gilt ihr Satz aus der "Atemschaukel": "Der schwerste meiner Schätze ist mein Arbeitszwang. Er ist die Umkehr der Zwangsarbeit und ein Rettungstau."

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