Arindal leidet unter der Sehnsucht nach einer anderen Welt
Bildrechte: Christina Iberl/Staatstheater Meiningen

In der Nervenklinik der Träume

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Im Bett mit der Romantik: Wagners Frühwerk "Die Feen" umjubelt

Mit gerade mal 19 Jahren versuchte sich Richard Wagner an seiner ersten Oper, mit der er später haderte. In Meiningen wird daraus ein überzeugender Psychotrip durch die Romantik, befeuert von der unstillbaren Sehnsucht nach der "Blauen Blume".

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Gut, dass es zu Richard Wagners Zeiten noch keine Plagiatsjäger gab, sonst hätte er neben seinen Schulden einen weiteren Grund gehabt, quer durch Europa zu flüchten: Als 19-jähriger bediente er sich für seine allererste Oper "Die Feen" ziemlich schamlos bei Mozart und Beethoven, bei Carl Maria von Weber und Giacomo Meyerbeer, also den besten und erfolgreichsten Vorbildern. Das ging ziemlich schief: Weil Wagner alles gleichzeitig unterbringen wollte, uferte die Handlung aus, er kam nicht mehr zurecht mit seinem Stoff, das Frühwerk blieb liegen, er selbst haderte später damit.

"Kein pubertäres Frühwerk"

Bis heute wird es eher mit spitzen Fingern angefasst. Gut, dass sich der Intendant des Meininger Staatstheaters, Jens Neundorff von Enzberg, davon nicht abhalten ließ, einen neuen Versuch zu wagen, denn Wagners Motive zeugen vom romantischen Überschwang seiner Jugendzeit und einer Maßlosigkeit, die ihn nie wieder los ließ: "Ich glaube, für einen normalen Menschen wirkt das pubertär, aber bei Wagner war schon viel angelegt, was einen reifen Menschen ausmacht. Er behandelt viele Themen, die sich durch das gesamte Werk ziehen. Es ist kein pubertäres Frühwerk, sondern ein Frühwerk, das vieles davon in sich trägt, was wir später wieder erleben können." Tatsächlich klingt die eine oder andere Stelle bereits nach dem "Lohengrin" oder dem "Tannhäuser", noch mehr allerdings nach den erwähnten Komponisten, an denen sich Wagner orientierte.

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Hoffnungslose Lage?

Der erst 29-jährige irische Dirigent Killian Farrell und Regisseurin Yona Kim taten das einzig Richtige: Sie kürzten gut eine Stunde und scherten sich auch ansonsten wenig um die absurde Feengeschichte. Stattdessen suchten sie in der Partitur nach dem großen Lebensthema von Wagner: Die Romantik, die Suche nach Erlösung, seinen Drang zur Kunstreligion, der eng verbunden war mit einem komplizierten Verhältnis zu Frauen. Lebenslang beschäftigte Wagner das Spannungsverhältnis zwischen Heiliger und Hure, der guten Fee und der bösen Hexe. Yona Kim zeigt sich davon fasziniert: "Sonst wird dieses Stück 'Die Feen' ja immer zur Seite gelegt und als Jugendsünde gebrandmarkt. Ich dachte, wir versuchen mal zu zeigen, dass da doch mehr drin steckt als das Gerücht besagt."

Das ist ihr zweifellos gelungen, wie die umjubelte Premiere in Meiningen bewies. Yona Kim verlegt die Handlung in eine altertümliche Nervenheilanstalt: Arindal, der Held dieser Geschichte, könnte genauso Richard Wagner selbst sein, oder auch ein anderer unheilbar an Romantik erkrankter Autor wie Hölderlin oder Novalis. Jedenfalls siecht er im Bett vor sich hin und endet schließlich hinter Gittern in der Zwangsjacke. Er schnupperte etwas zu viel an der sprichwörtlichen "Blauen Blume", dem Symbol der Romantik, schaute etwas zu sehnsüchtig auf die berühmten Bilder von Caspar David Friedrich, träumte etwas zu intensiv von unsterblichen Feen und dem Kampf gegen das Böse. Die unerreichbare Frau, in diesem Fall die Fee Ada, spukt durch seine Gedanken.

Zweifel machen die Liebe kaputt"

Die ist seine Projektionsfläche, wo alle seine Wünsche zusammen kommen", so Yona Kim: "Und er will mit ihr glücklich sein, und zwar im Wald, nicht in dieser Welt, sondern in der anderen Welt, in seiner Gedanken- und Fantasiewelt will er mit dieser Frau glücklich werden. So sieht die Erlösung für Wagner aus, aber der erste Zweifel macht die Liebe immer kaputt, ein Thema, das ihn ein Leben lang beschäftigt haben muss." Das Frageverbot wird sich im "Lohengrin" wiederholen, die Unmöglichkeit der Liebe prägt auch "Tristan und Isolde".

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Am Ende des Weges: Arindal

Ganz starke Bilder, die Yona Kim da fesselnd aneinander reiht, ein sehr deutscher Bilderbogen, ein Psychotrip, für den Ausstatter Jan Freese und Kostümbildner Frank Schönwald packende Sinnbilder schufen: Viel Blut ist im Spiel, ein Lebenssaft, der ja für Liebe und Tod steht. Ein Kinderwagen geht in Flammen auf, Urängste werden wach. Ständig schreitet Pflegepersonal im Biedermeierlook umher, Ärzte, die Ähnlichkeit mit Sigmund Freud haben. Da prallt also die reale Welt, dieses große Krankenhaus des Daseins, auf die ideale Welt, die niemals erreichbar ist, aber sehnsüchtig erstrebt wird. Ja, davon kündet auch schon die unreife, sehr aufgeblasene Musik des 19-jährigen Richard Wagner.

Sehnsucht nahm Wagner mit ins Grab

Ein schwerer Fall von Romantik wird hier behandelt, die Heilungschancen scheinen gering, jedenfalls in Deutschland, wo diese Art "Seuche" ihren Ursprung hat. Großartig, was Chor, Orchester und Solisten aus diesen "Feen" machen, wie sie diesen sehr psychoanalytischen Ansatz mittragen, allen voran Lena Kutzner und Emma McNairy in den weiblichen Hauptrollen und David Danholt als leidgeprüfter, nach der Blauen Blume dürstender Patient.

Ein starkes Plädoyer für Wagners Erstling, aber nur, wenn man den Text nicht mitliest und die Fabel beiseite lässt. Dann bleibt die Sehnsucht, und die nahm Wagner bekanntlich mit ins Leben - und mit ins Grab.

Rund sechzig Prozent der Besucher in Meiningen kommen übrigens aus der weiteren Region, vor allem aus Bad Neustadt, Schweinfurt und Würzburg. Insofern ein Glücksfall für alle Wagner-Fans aus Ober- und Unterfranken.

Wieder am 17., 20. September, sowie 1. und 7. Oktober 2023 am Staatstheater Meiningen, weitere Termine.