Der "Philosoph" am Rednerpult beim St. Petersburger Weltwirtschaftsgipfel
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Alexander Dugin

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Folter verteidigt: Russischer "Chefphilosoph" empört Landsleute

In einem tschetschenischen Gefängnis wurde ein Insasse von einem Sohn des dortigen Machthabers Kadyrow verprügelt. Der kremlnahe, rechtsradikale Denker Alexander Dugin lobte den Täter hymnisch: "Er handelte wie ein Mann." Der Aufruhr ist groß.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Um rechtsextremistische Äußerungen aller Art ist der sehr prominente russische Publizist Alexander Dugin (61), dessen Tochter bei einem Autobomben-Anschlag umkam, der wohl ihm selbst galt, nicht verlegen. Der neueste, gewaltverherrlichende Blogeintrag empört weite Teile der russischen Öffentlichkeit. Nachdem Adam Kadyrow, 15-jähriger Sohn des tschetschenischen Machthabers Ramsan Kadyrow, in einer Untersuchungshaftanstalt den dortigen Insassen Nikita Schurawel geschlagen hatte, kommentierte der Ultranationalist Dugin: "Wenn dieser Mann noch lebt, dann hat Kadyrows Sohn (wenn die Berichte stimmen) ihn nicht sonderlich 'hart' angepackt. Wir müssen etwas gegen die Gesetze unternehmen. Sie spiegeln eine völlig andere Epoche unserer Geschichte und eine völlig andere Stimmung in der Gesellschaft wider."

"Boxsack für beleidigte VIPs"

Im Übrigen sei Russland "keine Provinz der EU", es gebe auch "keine Liberalen" mehr. Der medial sehr präsente Dugin, früher von russischen und ausländischen Medien gern und oft als "Putins Philosoph" bezeichnet, forderte einen "wirklich starken und gerechten Staat" und ergänzte: "Kadyrows Sohn benahm sich wie ein Mann, wie ein Tschetschene, wie ein Russe. Gut, dass er ihn nicht getötet hat. Dafür gibt es keinen Grund." Der Häftling war wegen angeblicher "Koranverbrennung" vor einer Moschee in Wolgograd im vergangenen Mai in Gewahrsam genommen und in die tschetschenische Hauptstadt Grosny überstellt worden. Er soll nach Angaben der russischen Behörden zugegeben haben, "im Auftrag des ukrainischen Geheimdienstes" gehandelt und ein Video seiner Tat ins Netz gestellt zu haben.

Dass es zu dem Vorfall im Gefängnis kam, bestätigte der Kadyrow-Vertraute Adam Delimchanow, der erste stellvertretende Vorsitzende im russischen Parlamentsausschuss für Sicherheit. Er sprach von einem "Beispiel für Patriotismus" und lobte Kadyrows Sohn, weil er "sehr menschlich gehandelt" und den Häftling am Leben gelassen habe: "Für solche Taten verdienen Menschen die härteste Strafe." Tschetschenische Regionalpolitiker schlossen sich dieser Bewertung ausdrücklich an. Ramsan Kadyrow selbst meldete sich mit dem Hinweis, gegenwärtig kämpften 10.000 Tschetschenen an der Front, es könnten allerdings auch demnächst weitere 15.000 sein, was als "subtile" Drohung verstanden wurde, dass er das davon abhängig machen könnte, ob sein Sohn Adam für die Tätlichkeit im Gefängnis belangt wird oder nicht.

"Und das wird von der Gesellschaft und den staatlichen Behörden geradezu wohlwollend wahrgenommen. Egal was der Häftling getan hat, egal wie dumm er ist, er steht unter dem Schutz des Staates und Gesetzes. Sind wir sicher, dass wir noch in Russland leben?" fragte ein Blogger dazu entgeistert. Andere fürchteten, das Regime verliere "nach und nach" seine Grundlagen. Der "Sowjetologe" Jegor Jerschow wetterte: "Tatsächlich wurde der Gefangene in einen Boxsack für beleidigte VIPs verwandelt. Die Frage ist, ob ein solches Privileg exklusiv ist."

"Es ist einfach demütigend"

Wer der Logik Dugins folge, müsse allen, die der Meinung seien, der Staat sei zu lasch, den Zutritt zu Gefängnissen ermöglichen, damit sie dort eigenhändig Kriminelle "angemessen" bestraften, hieß es in Netzforen sarkastisch: "Sicher gibt es in Russland immer noch genügend Menschen, die bereit sind, männliche Taten zu vollbringen."

Anstatt seinem Ruf als staatstragender "Chefphilosoph Russlands" gerecht zu werden, sei Folter-Befürworter Alexander Dugin mit einem "empörenden postmodernen Spielchen" beschäftigt, war in einem Blog zu lesen: "Im Geiste müssen wir alle in Dörfer umgesiedelt und der Strom dort abgeschaltet werden. Die Tschetschenen sollten schlagen, wen sie wollen. Über solch brillante philosophische Konzepte lachen uns Liberale ins Gesicht, Patrioten zucken mit den Schultern und die Städter tippen mit den Fingern an ihre Schläfen. Es ist einfach demütigend. Für Russland, für dich und mich und sogar für dich selbst, Dugin."

"Der Teufel weiß, was es bedeutet"

Eigentlich sei Alexander Dugin ja gar kein Philosoph, sondern ein "Punk", der die Liberalen in der Nacht um den Schlaf bringe, argumentierte der Blogger Ilja Graschtschenkow in seinem Blog spöttisch. Allerdings verliere dieser "Punk" mit der Zeit sehr an Reiz, zumal er den hoch umstrittenen deutschen Denker Martin Heidegger quasi "ins Russische übersetzt" habe. Heidegger (1889 - 1976) wird vorgeworfen, überzeugter Antisemit und NS-Mitläufer gewesen zu sein.

Auch mit einem ebenso kontrovers diskutierten anderen deutschen Großdenker und "Übermensch"-Erfinder wird Dugin verglichen: "Er ist zu einem Nietzsche für Arme herabgesunken, natürlich für die Armen im Geiste", schrieb Blogger Wadim Schumilin und setzte noch einen ironischen Seitenhieb drauf: Dugin könne mit einer Figur aus Nikolaj Gogols Satire-Klassiker "Die toten Seelen" verglichen werden, von der es heißt: "Ihn freute es, dass aus den Buchstaben immer irgendein Wort entstand, das mitunter, der Teufel weiß was, bedeutete."

"Ich habe Dugins angebliche Bedeutung nie verstanden. Es scheint, dass sie im Westen einfach jemanden in ihm gesehen haben, der in den geistigen Rahmen der 'geheimnisvollen russischen Seele' und 'Rasputins' passt. Nun, entwirren wir das an dieser Stelle: Wir selbst sind mental davon besessen, was der Rest Europas und die USA über uns denken, das ist auch eine Art koloniales Muster", schrieb der russische Regionalpolitiker Roman Juneman zum Aufsehen um Dugin. Ein weniger kremlnaher Diskutant meinte: "Jeder erinnert sich wahrscheinlich an die Anekdote über den Unterschied zwischen Kritik von oben und Kritik von unten."

"Futter für Krokodile"

Russland sei nur noch "einen halben Schritt von der Steinigung" entfernt, war dem Debattenforum der St. Petersburger Zeitung "Fontanka" zu entnehmen. Das sei die Art von Gerechtigkeit, die auf alle Russen warte, schimpfte ein Teilnehmer. Andere geißelten die "universale Schande" und schrieben: "Ein Russe, der Altpapier verbrannt hat, wird im Gefängnis von einem rechtsextremen tschetschenischen Major geschlagen, mit Unterstützung von Politikern aus der uns aussaugenden Republik selbst. Das ist eine so heftige Kombination, dass es einen sprachlos zurücklässt." Die Tschetschenen würden von ihrem Gouverneur Ramsan Kadyrow gehalten wie Leibeigene, die für die Fütterung von Krokodilen vorgesehen seien, meinte ein Diskutant und fügte an: "Mich an ihrer Stelle würde das beleidigen."

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