Porträt des Filmemachers
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Rainer Erler

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Erfolgreich mit Thrillern: Münchner Filmemacher Rainer Erler tot

In seinen Science-Fiction-Thrillern ging es um Organhandel und Unsterblichkeit, Plutonium und Müllentsorgung: Fast jährlich drehte Rainer Erler bis 1990 einen gesellschaftskritischen Film, meist aufwändig und fast immer international erfolgreich.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Er hatte ein Gespür für brisante gesellschaftliche Themen: Rainer Erlers Thriller "Fleisch" über kommerziellen Organhandel schockierte nach der Ausstrahlung im ZDF im Mai 1979 Teile der deutschen Öffentlichkeit. Ärzte protestierten und witterten "Stimmungsmache". In seinem letzten Interview mit Marc Hairapetian für den Berliner "Tagesspiegel" sagte Erler, der mit dem Fragesteller gut befreundet war, rückblickend: "Mein Film war auch ein Plädoyer für Organspendeausweise. 'Was ist der Mensch wert, so in Dollar und Cent…?', fragt im Titel-Song Ron Williams, der auch in der Hochzeitsszene am Anfang mitspielte. Aber nach wie vor werden Verstorbene verbrannt oder verscharrt, obwohl Organe dringend benötigt werden, um Leben zu retten." Eigentlich sei "Fleisch" eine "etwas andere Liebesgeschichte" gewesen, so Erler ironisch.

Corona-Pandemie filmisch vorweg genommen

Gedreht wurde mit Jutta Speidel in der Hauptrolle übrigens an Originalschauplätzen in den USA, etwa in New Jersey und New Mexico. Spektakuläre Fluchtszenen entstanden auf Coney Island in New York, im dortigen Central Park und an U-Bahn-Stationen: Damals waren die TV-Budgets offenbar noch deutlich höher als heute, und der Erfolg des Films bei der Kino-Auswertung in 120 Ländern gab Rainer Erler recht. "Grundsätzlich: Mich interessiert, was morgen mit uns geschehen wird! Daher finde ich das Prädikat 'prophetisch', das mir freundlicherweise verliehen wurde, für durchaus angemessen", so der Künstler auf die Frage Hairapetians in der "Frankfurter Rundschau", welches der vielen Themen, die er in seiner Karriere behandelte, ihn am meisten fasziniert habe. Darunter war 1989 auch der Film "Zucker - eine wirklich süße Katastrophe", in dem eine weltweite Seuche ausbricht. Erler nahm in Anspruch, damit die Corona-Pandemie filmisch vorweg genommen zu haben.

"Ich bin Autodidakt. Als Filmemacher und als Autor. Erst wenn das Skript mit allen wissenschaftlichen Details geschrieben ist, bitte ich einen Fachwissenschaftler um kritische Durchsicht. Die Fakten habe ich mir alle vorher angeeignet", so Erler über seinen Arbeitsstil. Er habe in den siebziger und achtziger Jahren "jedenfalls alle Freiheiten" gehabt, erinnerte sich der Filmer, und er habe sie genutzt. Wie er es schaffte, mit Fernsehspiel-Budgets optisch hochwertige Kinoproduktionen zu realisieren, das sei sein "Problem" gewesen.

"Ich hatte die freie Wahl"

Begonnen hatte der gebürtige Münchner als Regieassistent von Paul Verhoeven und Franz Peter Wirth, zwei profilierten Filmemachern der sechziger Jahre. Mit "Seelenwanderung" landete Erler 1962 seinen ersten großen Erfolg, eine Satire auf das Wirtschaftswunderland Bundesrepublik. Ein frustrierter Zeitgenosse namens "Bum" verhökert darin seine Seele für fünf Mark beim Pfandleiher und wird auf diese Weise, gänzlich unbelastet von Rücksichten, steinreicher Wirtschaftsboss. "Ab da hatte ich die freie Wahl in Themen und Gestaltung", so Erler über Erfolg der Satire. Vor allem Filme wie der Agententhriller "Der Dritte Mann" von Carol Reed, aber auch die Ernst-Lubitsch-Komödie "Sein oder Nichtsein" und James Camerons "Avatar" hätten ihn inspiriert, so Erler.

Fortan verlegte er sich auf das Science-Fiction-Genre. Für das ZDF entstand "Das Blaue Palais" (1974 - 1976), eine Serie, in der es um die Verantwortung von Wissenschaftlern für ihre Forschung geht, etwa die Herstellung von synthetischem Stahl, von Kunstdünger oder auch einem Rezept für die Unsterblichkeit. In einer Folge entkommen genetisch manipulierte, ewig lebende Taufliegen aus dem Labor und bedrohen die Erde. Ähnlich düster war Rainer Erlers "Plutonium" von 1978, wo es um den Missbrauch von waffenfähigem Material geht. Ein Werk gegen die "Zwangsläufigkeit des Wahnsinns", wie der Regisseur sagte. Gedreht wurde in Brasilien, was nicht ganz ungefährlich war, weil damals dort eine Militärdiktatur an der Macht war. Filmkopien wurden beschlagnahmt, alle Szenen "doppelt gedreht" und Duplikate nach Erlers Angaben in der Handtasche seiner Frau verborgen.

Vor dem Winter nach Australien "geflüchtet"

Das letzte Großprojekt ging Erler 1990 an, "Die Kaltenbach-Papiere", ein Thriller über den internationalen Waffenhandel. In den Hauptrollen: Mario Adorf und Gudrun Landgrebe. Ein fiktiver Kaufmann fahndet dabei auf Druck des Bundeskriminalamts nach drei Plutonium-Sprengköpfen. Ein Journalist (Ulrich Tukur) wird in die Sache verwickelt, kommt bei einem Attentat zu Tode, seine Ehefrau übernimmt die weitere Recherche.

1981 lernte Rainer Erler erstmals den Westen Australiens kennen, wohin er nach eigener Aussage fortan "vor dem bayerischen Winter" flüchtete. Dort, in Perth, wo auch seine Tochter lebt, ist der Regisseur jetzt im Alter von 90 Jahren nach Angaben seiner Familie verstorben. Seit der Corona-Pandemie war er nicht mehr nach Deutschland zurückgekehrt. Der Nachrichtenagentur dpa hatte der Filmemacher anlässlich seines 90. Geburtstages am 26. August gesagt, er sei in seiner Wahlheimat "gut versorgt".

Auf die Frage, warum er lieber Filme produziert habe, statt eine "Protest-Kommune" zu gründen, sagte Erler: "Ich habe mit meinen Ideen viele Millionen Menschen erreicht und diese zum Nachdenken gebracht. Was ist dagegen schon eine Gruppe Gleichgesinnter?" Er habe das Recht, auf sich stolz zu sein, so der Künstler, auch, wenn er nicht alle Pläne umgesetzt habe: "Aber irgendwann muss Schluss sein."

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