Mann vor einem Schaufenster eines Krawattenladens
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Immer weniger Krawatten werden verkauft.

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Ein Stück Modegeschichte im Niedergang: Stirbt die Krawatte aus?

Krawattenhersteller schlagen Alarm: In Deutschland sind die Umsätze in den letzten zehn Jahren um zwei Drittel geschrumpft. Dutzende Unternehmen mussten bereits aufgeben. Verschwindet die Krawatte bald ganz aus unserem Alltag?

Früher stand sie für das männliche Kleidungsstück schlechthin, heute ist sie den meisten Anzugträgern eher lästig: die Krawatte. Selbst aus dem Arbeitsalltag von Versicherungsmaklern und Bankangestellten ist sie größtenteils verschwunden. "Casual Look" ist angesagt, also locker, informell und zwanglos.

So ist auch die Sparkasse Nürnberg schon 2016 vom festen Dresscode des Bankangestellten-Krawatten-Anzug-Looks wegkommen – hin zu einer "Guideline". Die soll keine festen Vorgaben mehr machen, sondern eher Empfehlungen schaffen, für verschiedene Situationen im Geschäftsalltag. Da darf es ruhig auch mal eine Chino-Hose mit Hemd und Jackett sein - auch Sneakers sind erlaubt. Es gibt sogar eine Sparkassen-Edition: weiße Turnschuhe mit rotem Sparkassen-Logo.

"Wir wollen, dass sich unsere Kunden bei uns wohlfühlen, deshalb sollte auch das Outfit zum Kunden passen." Sarah Schmoll, Referentin der Unternehmenskommunikation der Stadtsparkasse Nürnberg.

Selbst in der Unternehmensberatung ist der einst branchentypische Casual Friday zum Relikt aus der Vorzeit geworden. Denn "casual" ist jetzt jeden Tag - wenn auch in Maßen: Natürlich werde ein repräsentativer Kleidungstil weiterhin erwartet, verlautet die Presseabteilung von Boston Consulting in München, hier vertraue man aber dem guten Geschmack der Mitarbeitenden.

Krawattenbranche in der Krise

Für die Krawattenbranche ist die neue Lockerheit in der deutschen Geschäftskultur eine Katastrophe: Während 2014 noch 14,4 Millionen Krawatten und Schleifen nach Deutschland importiert wurden, waren es 2023 nur noch knapp 4,8 Millionen. Auch die Ausfuhren sind um knapp 60 Prozent, von 5,2 auf 2,1 Millionen geschrumpft. Viele Hersteller in Deutschland sind vom Markt verschwunden. Der oberbayerische Hersteller Winklhofer in Pocking konnte sich trotz des starken Umsatzrückgangs halten. Das habe jedoch laut der Unternehmensleiterin Maria Winklhofer nur funktioniert, weil man den Rückgang durch den Verkauf von Schleifen, Schals und Taschen für Damen auffangen konnte.

Modekultur aktuell sehr von der Sportbranche dominiert

Schuld hat Winklhofers Ansicht nach auch Corona und der damit einhergehende Home-Office-Trend, der nur schleichend rückläufig ist.

Verschwindet eine langehegte Modekultur also womöglich bald ganz aus unserer Gesellschaft? Dann tatsächlich begleitet uns die Krawatte schon seit mehr als 400 Jahren.

"Im 17. Jahrhundert ähnelte die Krawatte noch eher einem Halstuch. Hemden hatten damals keinen Kragen. Der Hals wurde mit der Krawatte bedeckt", sagt die Historikerin Adelheid Rasche, Fachfrau für die Geschichte der Bekleidung im Germanischen Nationalmuseum Nürnberg. Im Laufe der Zeit habe die Krawatte jedoch ihre praktische Komponente verloren und verblieb als modischer Farbtupfer in Kombination mit dem im 19. Jahrhundert aufkommenden klassischen englischen Anzug.

Heute sei die Mode in der breiten Bevölkerung sehr stark von der Sportbranche dominiert, das wirke sich auch auf die Arbeitswelt aus. "Sehr viele Menschen tragen Sneaker und manche dazu sogar eine Jogginghose. Eine Krawatte damit zu kombinieren ist eher abwegig", erläutert Adelheid Rasche.

In der Politik ist die Krawatte noch nicht wegzudenken

Viele Politiker vor allem aus dem konservativen Spektrum halten noch an der Krawatte fest. So auch der bayerischen Innenminister Joachim Herrmann (CSU): "Ich trage sie eigentlich gerne und fühle mich da auch nicht irgendwie gestraft, indem ich Krawatten trage. In sportlicher Umgebung lasse ich sie auch mal weg und trage auch Sportschuhe."

Albert Füracker (CSU), bayerischer Finanzminister, mag's ebenfalls gern mit: "Es ist offensichtlich so, dass lockerer damit umgegangen wird, nicht mal beim G7-Gipfel tragen die Staatsmänner Krawatten. Aber ich trage sie eigentlich gerne. Ich trage meine Kleidung ja nicht nur für mich, sondern auch aus Respekt dem anderen gegenüber", betont Füracker.

Wenn auch nicht in der breiten Teilen Gesellschaft, so werde die Krawatte zumindest in bestimmten Kreisen noch lange einen Platz haben, davon ist die Historikerin Adelheid Rasche überzeugt. Tatsächlich sei es auch schon ein Retrotrend bei jungen Leuten zu erkennen: Sie ziehen sich wieder klassischer an und posten ihre Kreationen auf Instagram.

Vielleicht kommt die Krawatte also eines Tages wieder im großen Stil zurück – es wäre nicht das erste Comeback in der Modewelt.

Im Video: Abgeschnittene Krawatten an Weiberfastnacht

Nicole Remann mit Schere bei Herrenausstatter
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