Drei unsymmetrische, bemalte Vasen oder anders gesagt Behältnisse.
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Greifbare Gefäße, verbeulte Behältnisse, unerklärliche Vorratsspeicher - Nagels Exponate haben etwas von diesen Beschreibungen.

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Keramikkünstler Johannes Nagel in Dießen

Zu Christi Himmelfahrt versammeln sich in Dießen am Ammersee Keramiker aus ganz Europa, um einen Querschnitt ihrer Kunst zu zeigen. Diesmal wird in einer Ausstellung im Taubenturm zudem das Werk des Keramikkünstlers Johannes Nagel präsentiert.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

Es gibt so einige Arten, sich an eine dreidimensionale Form heranzutasten. Man kann schneiden, sägen, kleben, kneten, und – im Fall von Keramik – drehen an der Töpferscheibe. Johannes Nagel hat sich für die wohl archaischste Variante entschieden: Er gräbt die Form. Mit den bloßen Händen gräbt er ein Loch in eine mit feuchtem Sand befüllte Kiste, und fertig ist die Negativform. "Der Sand hat den Zustand, den am Strand genau die richtige Schicht für Sandburgen hat, also etwas feucht, aber so, dass man ihn modellieren kann, dass man ihn drücken kann, dass man einen Tunnel graben kann.", erklärt Johannes Nagel.

Alte Technik, zeitlose Form

Die Hohlformen gießt Johannes Nagel mit Schlicker aus, wartet, bis der Sand dem Schlicker ein wenig Feuchtigkeit entzogen hat und zieht dann den Stöpsel am Boden der Kiste. Das dann noch flüssige Porzellan fließt ab und ein dünne, aber feste Form bleibt stehen; der Abguss seines handgegrabenen Lochs. "Das hat immer auch was Archäologisches, auch wenn es eine umgekehrte Art der Archäologie ist und natürlich nichts Historisches ausgegraben wird, gibt es trotzdem so ein Erlebnis dabei", so Nagel.

Die Hohlformen legt der Künstler völlig blind an, seine Hände tappen unterirdisch im Dunkeln. Das in der Gestaltung so wichtige prüfende Auge bleibt unbeteiligt. Über die Jahre sind die Formen der Vasen von Johannes Nagel irrwitzig komplex geworden, manche seiner Vasen erinnern an unterirdische Tunnelsysteme von Erdmännchen. Doch archetypische Elemente wie ihre Silhouetten oder blütenförmige Öffnungen lassen sie sofort als Vase erkennen.

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So darf eine Vase auch mal aussehen: Exponat des Keramik-Künstlers Johannes Nagel.

Obwohl Nagel seine Vasen bei der Entstehung nicht berührt, spürt man doch unmittelbar die Hand, die die Hohlform gegraben hat. Es geht dem Künstler nicht um die größtmögliche Wirkung der fertigen Form und schon gar nicht um Perfektion. Es geht ihm um "redselige Vasen", um Skulpturen, die von ihrer eigenen Entstehung erzählen, von der Energie des schöpferischen Akts: "Sie speichern auf eine eigene Art die Arbeitsweise, oder den Prozess, der 'Prozess' ist so ein bisschen abgelutscht, das Wort, aber sie speichern die Arbeitsweise, die Bewegungen, die ich mache, wenn ich dieses Loch grabe", sagt er. Auch wenn man das nicht unbedingt bei jedem Stück genau identifizieren könne, spüre man trotzdem die Art der Bewegung. Selbst wenn er einen runden Körper mache, habe der eine Dynamik darin.

Gefäß als Skulptur

Nagel befreit die Vase von ihrem Nutzwert, sieht sie nicht als Gebrauchsgegenstand, sondern als Skulptur. Seine Arbeit ist ein Neudenken, die materialisierte Idee von "Es geht auch anders". Das betrifft die Formen, die Herstellungsart, aber auch die Art, wie er mit Porzellan umgeht, ist ungewöhnlich. "Porzellan erinnert nur in einem bestimmten Zustand an das Edle. Ich bemale auch Dinge, ohne dass am Ende eine Glasur, also ein Glas drauf kommt und dann hat man einfach ein rohes, sehr weißes, sehr dichtes Material, auf dem Farbe ist. Nur wenn ich das ganze transparent glasiere und das diesen Glanz kriegt, dann erinnert es an das edle Porzellan", erklärt er. Aber man könne das Material sehr unterschiedlich bearbeiten und dann auch eine Art eigenen Kommentar nur über die Art der aufgetragenen Farbe machen.

In Gefäßen über Gefäße nachdenken

Fast immer sind seine Vasen bemalt, mit Zickzack-Mustern, Linien, Tropfen, oder in Kobaltblau, der Ur-Farbe der Keramik, oder in blassgrünem Seladon, die Porzellanfarbe der chinesischen Hochkultur: Nagels Vasen entspringen der Jetzt-Zeit und sind zugleich ein Kommentar auf die Geschichte der Keramik.

So wie ein Neo Rauch oder Gerhard Richter in ihren Bildern über Malerei nachdenken, so drückt Johannes Nagel seine Gedanken über das Thema Gefäß eben als Gefäß aus. Im Mainstream der Sonderausstellungen von Kunstmuseen ist das Thema vielleicht noch nicht ganz angekommen. Im Heimatverein des Töpferortes Dießen hat man die Tiefe und Qualität der Arbeiten erkannt, das MoMa zieht dann schon noch irgendwann nach...

Dießener Töpfermarkt: 18. bis 21. Mai 2023 in den Seeanlagen Dießen.

Die Ausstellung „Sehnsucht nach Ekstase“ mit Exponaten von Johannes Nagel ist im Taubenturm, Heimatverein Dießen zu sehen, bis 21. Mai, 10 bis 18 Uhr.

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