Der Star-Dirigent in der Berliner Staatsoper
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Christian Thielemann

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"Das war ganz schlimm": Christian Thielemann als Intrigen-Opfer

In einem Gespräch mit der Tageszeitung "Die Welt" nimmt der Star-Dirigent ausführlich Stellung zu Gerüchten über ein antisemitisches Zitat, das ihm unterstellt worden war: "Ja, das war schrecklich. Aber ich habe mich trotzdem durchgesetzt."

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Er sei nicht mehr im "Kampfmodus, sondern im Zusammenarbeitsmodus", sagte Star-Dirigent Christian Thielemann anlässlich seiner Ernennung zum neuen Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper Unter den Linden. Auf einhelligen Wunsch des Orchesters und der designierten Intendantin Elisabeth Sobotka soll der Richard-Wagner-Fachmann sein neues Amt ab der kommenden Saison antreten, zunächst noch mit wenigen Auftritten an der Spree, weil sein Terminkalender bereits gut gefüllt war. Bis zum Sommer 2024 ist Thielemann noch als Chefdirigent bei der Sächsischen Staatskapelle in Dresden verpflichtet. Wegen seiner Leidenschaft für die deutsche Spätromantik gilt der viel gefragte Dirigent als "logischer Nachfolger" des langjährigen Generalmusikdirektors Daniel Barenboim, der seinen Vertrag an der Berliner Staatsoper aus Krankheitsgründen vorzeitig beenden musste.

"Ich kannte den Ausdruck 'Juderei' nicht"

Ungeachtet seines Versprechens, er wolle künftig weniger "kämpferisch" auftreten, nutzte Thielemann ein Gespräch mit dem Vorstandschef des Axel Springer Verlags, Mathias Döpfner, zur Aufarbeitung einer seit Jahren schwelenden Auseinandersetzung über ein Zitat, das ihm seiner Aussage zufolge fälschlicherweise unterstellt wurde. Thielemann selbst fasste es so zusammen: "Der Satz lautete dem Sinne nach ungefähr so: Wenn der Barenboim weg ist, dann hat die Juderei in Berlin ein Ende." Das habe er nie gesagt, so der Dirigent: "Ich kannte auch den Ausdruck 'Juderei' nicht. Ich wusste gar nicht, was eine 'Juderei' überhaupt sein sollte. Ich weiß, was eine Schweinerei ist und eine Sauerei, aber das…?"

Er habe seinerzeit auch Barenboim persönlich versichert, dass er sich niemals so geäußert habe, so Thielemann. Damit sei die Angelegenheit für Barenboim abgehakt gewesen: "Wir haben nie wieder und bis heute nicht über diesen Satz und über diese Sache gesprochen. Für ihn war das erledigt. Dann aber brach alles über mir zusammen."

Aufschlussreich ist, wie sich Thielemann die Herkunft des seiner Beteuerung nach frei erfundenen Zitats, gegen das er auch erfolgreich gerichtlich vorging, erklärt: Demnach hat der im Oktober 2021 verstorbene Ex-Intendant der Deutschen Oper Berlin, Udo Zimmermann, sich über ihn entsprechend geäußert. Das habe Zimmermann nachträglich auch zugegeben.

"Es war wirklich eine komplette Erfindung"

Zimmermann legte seine Intendanz an der Deutschen Oper Berlin zum 31. Juli 2003 nieder, nachdem der damalige Berliner Kultursenator Thomas Flierl ihm ein "schwerwiegende Versäumnis" in der Haushaltsführung vorgeworfen hatte. Es war ein Defizit von 1,6 Millionen Euro aufgelaufen. Gleichwohl war schon damals öffentlich bekannt, dass sich Zimmermann mit seinem Generalmusikdirektor Thielemann nicht sonderlich gut verstand. Von einer "Gleichberechtigung" wollte der Intendant nichts wissen und ließ keinen Zweifel daran, dass er den Dirigenten wenig schätzte.

Thielemann sprach jetzt von einem "Unglück", das ihm "jahrzehntelang" angehangen habe und immer noch schade. Mit Zimmermann habe er bis zu dessen Tod "kein Wort mehr" über die Affäre verloren. Auf die Nachfrage der "Welt" beteuerte der Dirigent, auch etwas Ähnliches wie von Zimmermann behauptet habe er nie gesagt: "Nie. Nein. Nein. Nein! Niemals. Es war wirklich eine komplette Erfindung. Ich war Daniel Barenboim ja extrem dankbar dafür, dass er mich nach Bayreuth gebracht hat. Ja sicher, er war auch mein Konkurrent. Aber es war ja auch so, dass er mich, als ich noch an der Deutschen Oper war, eingeladen hat, bei ihm zu dirigieren."

"Böser running gag"

Womöglich habe seine Vorliebe für die deutsche Romantik dazu beigetragen, dass das falsche Zitat gern geglaubt wurde, argumentiert Thielemann. Er dirigiere mit Komponisten wie Wagner, Bruckner und Beethoven ja "überwiegend Deutsches": "Das könnte ja irgendwie ganz gut zusammenpassen. Die total falsche Kausalkette klang doch zu schön. Ich habe dann gedacht, nee, nee, nee, die Kunst ist auf meiner Seite. Aber in manchen Momenten ploppte es wieder auf. Es war so eine Art böser running gag, dass an irgendeinem Punkt einer sagte: Na, da war doch mal diese Geschichte."

Mit Daniel Barenboim habe er ein freundschaftliches Verhältnis, so Thielemann. Dem BR gegenüber verwies er darauf, sie seien seit 44 Jahren miteinander bekannt, er sei sogar ein Duzfreund des berühmten Kollegen. In der "Welt" hatte Thielemann gesagt: "Wir haben uns immer wieder getroffen, in Hotels, aber auch zu Hause, in seiner Küche. Da saßen wir dann und redeten, einmal, daran erinnere ich mich noch, aßen wir Serrano-Schinken aus so einer Plastikverpackung, mit der bloßen Hand. Aber das war nie wieder ein Thema." Anders als in der Presse zu lesen war, habe er auch über lange Zeit "alle drei, vier Monate" mit Barenboim Kontakt gehabt, so Thielemann auf Nachfrage. Es sei Unsinn, wenn behauptet worden sei, sie hätten zwischendurch "zwanzig Jahre nicht mehr miteinander geredet".

"Lehrstück für Verleumdungen"

Allerdings räumte Thielemann ein, natürlich seien er und Barenboim zeitweise "Konkurrenten" gewesen, vor allem, als beide gleichzeitig in Berlin tätig gewesen seien und mit Richard Wagner dasselbe Repertoire bearbeiteten. Dabei sei es um die finanzielle Ausstattung der Orchester gegangen, aber auch um die Abstimmung der Spielpläne.

"Es ist ein gutes Lehrstück dafür, wie Verleumdungen laufen können", begründete Thielemann gegenüber dem BR sein aufsehenerregendes Interview: "Es geht darum, wie man sich durch Klatsch und Tratsch beeinflussen lässt und welche Mittel eingesetzt werden. Dass das alles nach zwanzig Jahren immer noch interessant ist, ist um so interessanter." Sein Rat an alle Beteiligten sei es, bei Gerüchten "nicht so genau hinzuhören", sondern sich stets selbst ein Urteil zu bilden: "Du kannst ja anhören, was andere so sagen, und wenn das dann alle sagen, sollte man besonders vorsichtig sein."

Was sein Verhältnis zu Udo Zimmermann betrifft, soll dieser schon beim allerersten Treffen gleich nach der Begrüßung gesagt haben, dass er einen anderen Dirigenten, nämlich Fabio Luisi, verpflichten wolle, so Thielemann: "Das war der Beginn unseres Gesprächs. Da bin ich natürlich nicht erfreut gewesen." Ihn erinnerten die Langzeitfolgen des Konflikts an eine Szene aus Rossinis Oper "Der Barbier von Sevilla", wo das Gerücht zuerst ein "leises Lüftchen" ist und sich dann zum Kanonendonner aufschaukelt.

"Im dritten Jahr geht es richtig los"

Zu seiner künftigen Tätigkeit an der Berliner Staatsoper sagte der Dirigent dem BR, er müsse jetzt "einige terminliche Verschiebungen vornehmen, die nicht ganz leicht" seien: "Ich hatte mich ja eigentlich darauf eingestellt, frei zu arbeiten und kein Chef mehr zu sein. Dass es sich so verändert hat, damit hätte ich nicht im Mindesten gerechnet. Das war ja nicht abzusehen." Er habe durchaus "mit sich ringen" müssen: "Alle Planungen der Staatsoper bis 2027 waren auf Daniel Barenboim orientiert. Alle Sachen, die er sich ausgesucht hat, waren plötzlich vakant und da kann ich auch nicht einspringen, ich habe ja andere Pläne." In den ersten beiden Spielzeiten werde er daher terminlich noch kürzer treten müssen, im dritten Jahr gehe es dann "richtig los".

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