Bildrechte: Enrico Nawrath/Bayreuther Festspiele

Piotr Beczała als Lohengrin

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Der Rollrasen lebt: "Lohengrin" in Bayreuth enttäuscht szenisch

Star-Power war genug vorhanden und Funken flogen auch, aber das Regie-Konzept des neuen "Lohengrin" konnte nicht überzeugen. Lahme Proteste und müder Beifall für die statische Inszenierung, Jubel für die Sänger. Nachtkritik von Peter Jungblut

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Also Wohnwagen hatten die Holländer zu Rembrandts Zeiten im 17. Jahrhundert vermutlich noch nicht, aber offenbar orangefarbene Kühlboxen und giftgrünen Rollrasen. Der lebt sogar und hat einen Hut auf. So bizarr, so absurd ließe sich der Bayreuther "Lohengrin" zusammenfassen - kein Wunder, dass so mancher im Publikum rätselte, was das soll. Zur Empörung reichte es aber nicht: Ein paar müde Protestrufe, gemischt mit recht lahmem Beifall für die Regie, ausgelassener Applaus für die Sänger - das war´s. "Lasst die Fantasie schweifen", hatte das Regieteam vor der Premiere ausgerufen und einen Abend zwischen "Traum und Wirklichkeit" versprochen. Tatsächlich wurde es einer zwischen "Baum und Gemütlichkeit".

Hier wächst noch Schilf

Der prominente Ausstatter Neo Rauch, einer der führenden Köpfe der "Leipziger Schule", hatte eine öde holländische Sumpflandschaft mit ein paar Pappeln gemalt, darüber ein weiter, wolkenverhangener Himmel, wie er für Küstengegenden typisch ist. Am Ufer der Schelde in Flandern, wo Wagner seinen Lohengrin spielen lässt, dominieren heutzutage zwar Containerstapel und Ölraffinerien, aber bei Neo Rauch wächst dort noch Schilf. Mittendrin: Ein verlassenes Umspannwerk, ein paar Strommasten, herrenlose Isolatoren. Das Volk hat offenbar auf Wasserkraft umgesattelt und trägt Insektenflügel. Lohengrin allerdings elektrisiert die ganze Gegend, lässt für kurze Zeit wieder Funken sprühen, Flackerbirnen leuchten und Blitze einschlagen, und zwar alles in blau.

Delfter Kacheln statt Nietzsche

Wagner-Fans dachten natürlich sofort an Friedrich Nietzsche, der die Lohengrin-Musik "blau und opiatisch" genannt hatte, aber Neo Rauch kannte das Zitat zunächst gar nicht, sondern nahm seine Inspiration von ebenfalls blauen Delfter Kacheln. Vermutlich stellte sich der Maler lebende Bilder im Stil von Rembrandt vor, das macht was her, das ist dekorativ, aber es ergibt eben kein packendes Musiktheater. Dazu hätte Regisseur Yuval Sharon eine entschiedene Deutung abliefern müssen, statt die Personen statisch am Bühnenrand aufzubauen und in der Mitte viel Platz zu lassen. Offenbar wollte es Dirigent Christian Thielemann so, er scheint überhaupt viel mitgeredet zu haben, denn während des Vorspiels blieb auch der Vorhang zu, obwohl eine - natürlich blaue - Projektion vorbereitet worden war. Akustisch ungünstig, befand Thielemann.

Applaus für das Lebenswerk

Yuval Sharon aber, der junge Kalifornier, war unerfahren und musste sich mit einem vorhandenen Konzept abfinden, sein Regie-Vorgänger Alvis Hermanis war ja Knall auf Fall abgesprungen. So blieb nur noch Schadensbegrenzung. Musikalisch freilich gab es Gründe zum Jubeln, wenn auch nicht ganz so viele, wie das Premierenpublikum beklatschte. Waltraud Meier zum Beispiel wurde quasi für ihr Lebenswerk gefeiert, steht sie doch im letzten Jahr ihrer Karriere und nach 18-jähriger Bayreuth-Pause als Ortrud auf der Bühne. Ihre Stimme ist angestrengt und überfordert, ihr Charisma ungebrochen, die Ausstrahlung sagenhaft. Anja Harteros hatte schon im Vorfeld Probleme mit Wagners Frauenbild signalisiert: Ihre forsche, bisweilen harte Stimme passte überhaupt nicht zu der devoten, verhuschten Träumerin, die sie hier geben musste. Tenor Piotr Beczała dagegen hatte in der Titelrolle das angemessen kernige Organ für sein handfestes Elektriker-Outfit. Ein ätherischer Heilsbringer war er nicht, diesen Part hat in Bayreuth keiner besser ausgefüllt als der jungenhafte Klaus-Florian Vogt. Die Grals-Erzählung am Schluss wirkte bei Beczała eher melodramatisch als tragisch, auch, weil er sie teilweise im Liegen absolvieren musste.

Martialisches Tosen und Toben

Georg Zeppenfeld als König Heinrich war ein "Mann ohne Eigenschaften", wie auch der Heerrufer von Egils Silins und der Bösewicht Telramund, der von Tomasz Konieczny nicht ganz akzentfrei intoniert wurde. Was sie alle antrieb, das blieb schleierhaft. Christian Thielemann im Orchestergraben war vor allem im ersten Akt viel zu laut, obwohl er genau das als Gefahr gewittert hatte. Vom irisierenden, silbrigen Lohengrin-Sound war wenig zu hören, dafür viel robustes, martialisches Tosen und Toben, was die langatmigen Aufmärsche des Chors auch nicht interessanter machte. Was bleibt im Gedächtnis? Ein überflüssiger Luftkampf, eine schneeweiße Drohne statt einem Schwan, Bibelstunde und Fesselspiele in Lohengrins Schlafzimmer. Sind die Holländer wirklich so fad?