Ein Goldenes Einhorn an der Aachener Gaststätte zum Goldenen Einhorn
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Goldenes Einhorn

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Das Tier mit dem heilenden Horn: Faszinosum Einhorn

Einhörner gelten kritischen Zeitgenossen als Gipfel kinderverblödenden Marketings. Bis Ende des 17. Jahrhunderts aber glaubten selbst Gelehrte an das Tier. Jetzt gibt es ein neues Buch darüber: "Das Einhorn. Geschichte einer Faszination".

Über dieses Thema berichtet: Diwan - Das Büchermagazin am .

Ein Einhorn ist ein anmutiges, pferdeähnliches Geschöpf mit einem gewundenen Horn auf der Stirn. Das Horn besitzt magische Kräfte, eine einfache Berührung heilt Wunden und Krankheiten. Außerdem sind Einhörner megaschnell, extrem scheu und lassen sich nur von Frauen einfangen. Das alles weiß heute jedes Kind, und zwar besser als Erwachsene. Bis in die frühe Neuzeit hinein glaubten aber auch Erwachsene an solch ein Tier mit heilendem Horn. Doch wie kommt es, dass selbst Wissenschaftler so lange von der Existenz gerade dieses Tieres überzeugt waren?

Wissenschaftler fahnden nach Einhorn-Spuren

Bernd Roling und Julia Weitbrecht haben sich der irrwitzigen Geschichte des Einhorns voller Ernst angenommen, ihre Forschung ist dabei vor allem Textarbeit: Bernd Roling ist Professor für Mittel- und Neulatein, Julia Weitbrecht Professorin für Ältere Deutsche Sprache und Literatur. Sie haben das Einhorn durch die Quellen hindurch verfolgt, haben mittelalterlicher Literatur, zoologische Texte, Reiseberichte und medizinische Traktate aus allen Jahrhunderten und Weltgegenden durchforstet und die Stränge zusammengeführt. Ihr Buch gleicht einer Kriminalgeschichte, die Beweisstücke offenbaren: ungeprüfte Übernahmen von Informationen, physiognomische Ausschmückungen, Neudeutungen und Übersetzungsfallen.

"Faszinierend fanden wir, dass das Einhorn so unglaublich lange präsent war, warum? ", sagt Bernd Roling. Und da stelle man fest, das eigentlich alles für die Existenz der Einhörner sprach: "Wir finden die Einhörner in der Heiligen Schrift, als 're‘em' – von Luther als Einhorn übersetzt –, also in der Offenbarungen. In einer Fülle von zoologischen, wissenschaftlichen Traktaten tauchen diese Tiere auf und werden auch nicht weiter hinterfragt."

Reisende berichten von Einhörnern

Der Knackpunkt: Die Einhörner werden gesehen. Immer wieder berichten Pilger und Reisende von einem scheuen Tier mit Horn auf der Stirn. Ob es sich dabei in Wahrheit um Nashörner handelte oder aus der Ferne von der Seite als einhörnig wahrgenommene Antilopen, bleibt unklar und ist müßig zu fragen. Ohnehin entsprachen die Beschreibungen der Tiere damals nicht unseren heutigen Vorstellungen von einem Einhorn. Die Quellen sprechen von einem kleineren, eher antilopen- oder ziegenartigen Tier.

Und das hat Gründe, wie Roling sagt: "Einer der Gründe, warum die immer größer werden, war, dass man diese Hörner hatte, dass diese Hörner seit dem Hochmittelalter als Einhorn-Hörner im Mittelalter zu einem sehr exponierten Preis auch verkauft wurden, die finden wir in Schatzkammern, in Wunderkammern, in Kathedralen aufgehängt, weil die natürlich auch eine symbolische Funktion erfüllten.' Das aber seien Narwal-Stoßzähne gewesen, die allerdings dadurch, dass die so umfangreich waren, Tiere voraussetzten, die größer waren als das, was in der antiken Zoologie beschrieben worden war. Bis sie dann so im 15./16. Jahrhundert so aussehen, wie wir heute ein Einhorn erwarten würden.

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Narwal-Stoßzähne

Nur von einer Jungfrau zu zähmen

Neben der Physiognomie wird auch die symbolische Deutung des Einhorns über die Jahrhunderte immer komplexer: Ideen vom Einhorn als Sinnbild für Wandelbarkeit, Freiheit und Unangepasstheit gehen auf die Antike zurück, irgendwann landete das Einhorn in der der christlichen Symbolik. Hier verweist sein Horn auf den Monotheismus, seine Kühnheit auf die Gewalt über den Teufel und sein Tod auf die Passion Christi.

Als besonders folgenreich erweist sich der Hinweis aus dem mittelalterlichen Physiologus, dass nur eine Jungfrau ein Einhorn zähmen könne. Enorme Bedeutung erlangte das Einhorn auch im höfischen Kontext: In der Bändigung seiner Wildheit sah man hier eine Liebesallegorie. Dass auch ein Mann ein Einhorn zähmen kann, sofern er Frauenkleider anlegte und sich entsprechend parfümierte, ließ das Einhorn zum Symbol der Lesben- und Schwulenbewegung werden. In der Tat sind Einhörner ziemlich queere Geschöpfe.

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Einhorn als Faschingskostüm

Das queere Einhorn

Die Buntheit und Farbenfreude habe auch schon in der antiken Zoologie die Einhörner ausgezeichnet, so Roling. "Die Effeminierung, dass also ein Mann, wenn er dieses wilde Tier einfangen muss, weibliche Attribute annehmen muss, dass er also über das Männliche, das Testosteronhafte hinwegmuss, um auch der Liebe dieses Tieres würdig zu sein... Von daher hat es eine gewisse Logik, weil es Geschlechtergrenzen fluide werden lässt."

Auf 150 Seiten erzählen Bernd Roling und Julia Weitbrecht die Legende vom Einhorn, neben den schriftlichen Quellen analysieren sie auch die wichtigsten künstlerischen Darstellungen, darunter etwa die Tapisserien einer mehrteiligen Einhorn-Jagd aus dem Metropolitan Museum of Arts – The Cloisters in New York oder die Malereien des Harley Bestiariums im British Museum in London.

Dreiklang aus Wissen, Spiel und Glaube

Und so steht diese sehr spezielle Kulturgeschichte der Einhorn-Rezeption beispielhaft für den Umgang mit dem aus der Antike tradierten Wissen: Aneignung hieß immer Anpassung, Veränderung. Vom Beispiel des Einhorns aus kann man abstrahieren: Wie kommt das Neue in die Welt, wie manifestieren sich Behauptungen, wie schwer ist es, falsche Annahmen zu korrigieren und was bleibt in einer aufgeklärten Epoche wie unserer am Ende davon übrig?

Die Antwort ist interessant: Übrig bliebt ein Dreiklang aus Wissen, Spiel und Glauben: Da ist die Analyse des Phänomens, die jedem zur Lektüre empfohlen sei. Da ist der spielerische Umgang, nämlich das Einhorn-Pups-Spray aus dem Internet, mit dem man Monster unterm Bett vertreiben kann. Und da ist der Glauben. Nicht wenige Menschen sind heute ganz ernsthaft und tatsächlich von der Existenz von Einhörnern überzeugt.

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

Bernd Roling und Julia Weitbrecht: "Das Einhorn. Geschichte einer Faszination", ist im Hanser Verlag erschienen.

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