Grian Chatten mit dunkler Sonnenbrille am Mikro
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Grian Chatten 2022

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"Chaos For The Fly": Das Songwriter-Album von Grian Chatten

Seine Stimme ist so eindringlich wie charismatisch. Jetzt hat Grian Chatten von Fontaines D.C. ein Soloalbum aufgenommen, das diese Woche erscheint: "Chaos For The Fly".

Über dieses Thema berichtet: Die Kultur am .

Es beginnt wie eines von Leonard Cohens unvergesslichen Alben der späten 60er- und frühen 70er-Jahre: eine gezupfte Akustikgitarre, darüber eine tiefe, ruhige, aber auch vage bedrohliche Stimme, zu der erst eine Geige und dann Gesangsharmonien hinzukommen. In der ersten Hälfte von "The Score", dem ersten Song auf seinem Soloalbum "Chaos For The Fly", legt Grian Chatten so etwas wie eine falsche Fährte – denn dann setzen der Beat und der Bass ein, und auf einmal befinden wir uns nicht mehr in einem Leonard Cohen- sondern in einem Radiohead-Song.

Experimentelle Storytelling-Musik

In frühen Interviews hatten der Fontaines D.C.-Frontmann und seine Bandkollegen über ihre Verehrung für irische Dichter und Autoren wie James Joyce und William Butler Yeats gesprochen. Als Chatten dann im Mai ein Soloalbum ankündigte, war die Kalkulation "Irland + Poesie gleich Folkalbum" schnell gemacht. Mit dieser Rechnung hätte man aber falsch gelegen. Denn "Chaos For The Fly" klingt viel weniger nach einem einsamen Mann in einem Dubliner Pub mit Gitarre auf dem Schoß, als nach experimenteller Storytelling-Musik, mit beiden Füßen in der Gegenwart und einem Gefühl für Rock-Geschichte.

Die Songs auf “Chaos For The Fly” schrieb Grian Chatten zwar alleine auf einer Akustikgitarre, aber im Zuge der Aufnahmen wurden sie zu kleinteiligen und stimmungsvollen Kompositionen ausgearbeitet. Die japanischstämmige Londoner Ambient-Musikerin Hinako Omori spielt Klavier und Synthesizer, die Streicher wurden von der klassisch ausgebildeten Musikerin Violeta Vicci arrangiert und eingespielt, die klackernden Beats aus der Dose steuerte der Co-Produzent Dan Carney bei.

Referenzen zu Radiohead und Nick Cave

Das Ergebnis erinnert manchmal an die erwähnten Radiohead mit ihrem Dichter und Denker Thom Yorke, an Nick Cave, und an die schmerzlich vermisste Psychedelic Pop-Gruppe Broadcast. Grian Chattens Hauptband Fontaines D.C. wurde in der Musikpresse häufig mit Post-Punk-Bands wie Joy Division verglichen. Diese Referenzen greifen bei "Chaos For The Fly" nicht mehr. Aber wie bei Fontaines D.C. sind auch hier die Songtexte es wert, genau hinzuhören. Die Menschen, über die Chatten auf seinem Soloalbum schreibt, sind einsam: egal ob sie in einem Pub, auf einem Jahrmarkt oder in New York sind. Sie sind verbittert, verletzt, verschlossen, ohne große Ambitionen außer einem schnellen Tod.

Chatten, geboren in England, aufgewachsen an der Küste im Norden von Dublin, lebt mittlerweile in London. Während der dortigen Lockdowns stauten sich bei ihm Ängste und Wut an, die nun nicht nur zwischen den Zeilen seiner Songs hörbar sind: "People are scum", singt er an einer Stelle, Menschen sind Abschaum. Diese akute Phase der Verzweiflung hat Grian Chatten hinter sich gebracht – und mit "Chaos For The Fly" ein modernes Songwriter-Album gemacht, das es verdient, gehört zu werden.

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