Darstellung einer indigenen Frau
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"Isabela of the Miranha People" (2020) von Gê Viana

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Ausstellung in München: "Es war ein regelrechter Menschenhandel"

Zwei bayerische Wissenschaftler reisen 1817 durch Brasilien. Ihr Mitbringsel nach Deutschland: sechs indigene Menschen. Die Ausstellung "Travelling back" in München rekonstruiert jetzt die Expedition.

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

1817: An Bord der "Austria" brechen die beiden Forscher Johann Baptist Spix und Carl Friedrich Philipp von Martius nach Brasilien auf. Im majestätischen Auftrag von Maximilian Joseph, dem König von Bayern. Drei Monate später kommen sie in Rio de Janeiro an und machten sich auf bis in die Wildnis des Amazonas, ein fast unerforschtes Gebiet damals. So weit die Fakten.

Eine Zeichnung aus dem später erschienenen Band "Reise in Brasilien" zeigt Spix und Martius inmitten des Urwaldes an einem Fluss, umgeben von Vögeln, die sie aufmerksam beobachten. Hier beginnt also die Geschichte, von zwei Abenteurern, von einem Botaniker und einem Biologen, die nicht nur im Auftrag des Königs, sondern der Wissenschaft fremdes Territorium erforschen. Ein hehres Vorhaben. Das ist die europäische, deutsche, bayerische Lesart bis heute.

Stereotype Beschreibungen und Kidnapping

Es gibt aber – natürlich – auch eine andere Lesart und die möchte die brasilianische Kunsthistorikerin Sabrina Moura in der Ausstellung "Travelling Back" zeigen: "Natürlich, das waren zwei wichtige bayerische Wissenschaftler, die relevante Studien und Forschungsergebnisse geliefert haben", sagt sie. "Aber es gibt eben auch Widersprüche. Wie so oft in der naturwissenschaftlichen Forschung. Die andere Seite dieser Geschichte ist fast nicht präsent."

In der Ausstellung "Travelling back" ist sie nun zu sehen und nachzulesen, angefangen bei den stereotypen Beschreibungen der indigenen Bevölkerung, mit der Spix und Martius in Kontakt kamen: "Die kurze, ins breite gehende Statur, die breiten Schultern, das breitgedrückte Gesicht, besonders die kurze, platte, an ihrer Wurzel stark eingedrückte Nase, die kleinen dunkelbraunen, mehr gegen die Nase schiefgerichteten Augen, scheinen jedoch mehr den allgemeinen Charakter der Inder, als bey dem Knaben zu verrathen."

"Es war ein regelrechter Menschenhandel"

Ganz ähnlich wie Kolonialherren bemächtigten sich auch die Forscher der "Wilden", untersuchten, demütigten, entführten sie, erklärt Sabrina Moura: "Aus heutiger Sicht sehen wir, dass das gewalttätig ist. Ich glaube, das war den Forschern damals auch schon bewusst. Es war ein regelrechter Menschenhandel, sie tauschten Menschen gegen Waren, rissen sie aus ihren Gemeinschaften, kidnappten sie."

Sechs indigene Menschen aus Brasilien nahmen Spix und Martius mit nach Deutschland, vier starben bereits während der Rückreise, zwei kamen in München an, erhielten hier europäische Namen (Johannes Juri und Isabella), wurden der Öffentlichkeit vorgeführt, erkrankten und starben nur ein paar Monate später. "Es ist wichtig, dass wir hier über das Schicksal von Individuen reden. Nicht nur von indigenen Gruppen. Das waren Menschen mit Namen und Lebens-Geschichten", sagt Moura.

Was hier kaum Thema ist, beschäftigt die Bevölkerung in Brasilien

Die Kunst kann helfen, solche Schicksale spür- und nachvollziehbar zu machen. In der Ausstellung bewirken das zusätzlich die Werke von sechs zeitgenössischen Künstlerinnen und Künstlern. Zum Beispiel verleiht Gê Viana dem historischen Porträt des entführten Mädchens Isabella mithilfe von Farben und indigenem Schmuck Persönlichkeit. Die Autorin Micheliny Verunschk hat deren Geschichte in einem Roman gleich ganz neu aufgeschrieben – aus brasilianischer Perspektive.

Das zeigt auch: Was hierzulande kaum Thema ist, beschäftigt die Bevölkerung in Brasilien. Und sollte auch hier nicht länger unsichtbar bleiben, meint Moura. Im Münchner Stadtbild stehen die Büsten der Forscher Spix und Martius sowie exotische südamerikanische Artefakte nach wie vor fast ohne kritische Einordnung. Das müsse sich ändern. Gerade auf der institutionellen Ebene. Ein narrativer Anfang sei mit dieser Ausstellung gemacht, sagt Moura, jetzt müssten auch die historischen Objekte – viele davon in der Sammlung des Museums Fünf Kontinente und des Botanischen Gartens in München – neu ausgestellt und kontextualisiert werden.

Die Ausstellung "Travelling back: Blickwechsel auf eine Expedition von München nach Brasilien im 19. Jahrhundert München" wurde vom Käte Hamburger Research Center global dis:connect an der LMU München konzipiert und ist bis zum 5. April 2024 im Zentralinstitut für Kunstgeschichte der LMU München zu sehen. Mehr Infos gibt es hier.

Dieser Artikel ist erstmals am 09.02.2024 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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