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C. Bernd Sucher

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Antisemitismus: C. Bernd Sucher kritisiert "Sonntagsreden"

Der Münchner Kulturkritiker schrieb ein Buch über das Nachkriegs-Deutschland als "Unsichere Heimat" von Juden. Er misstraut den Solidaritäts-Bekundungen deutscher Politiker, weil die Bevölkerung nicht dahinter stehe: "Worte, die nichts aussagen."

Über dieses Thema berichtet: kulturWelt am .

"Früher wurden Synagogen am Schabbat und anderen Feiertagen geschützt", so der Münchner Autor C. Bernd Sucher im Gespräch mit der "kulturWelt" auf Bayern 2: "Jetzt ist das 24 Stunden rund um die Uhr der Fall, jeden Tag. Wir sind angehalten, die Synagoge sofort nach dem Gottesdienst zu verlassen und ja nicht mehr zu diskutieren, was wir sonst taten, sondern so rasch wie möglich raus, damit die Polizei nicht noch länger auf uns aufpassen muss." Anfang November erscheint Suchers Buch "Unsichere Heimat" über jüdisches Leben in der Nachkriegszeit, worin er die Frage stellt, ob es für die rund 91.000 Mitglieder der jüdischen Gemeinden hierzulande eine sichere Zukunft gibt.

Auf jeden Fall wächst in den Gemeinden die Beunruhigung, so seine Einschätzung, auch, wenn Bundeskanzler Olaf Scholz in seiner jüngsten Regierungserklärung versprach, "klare Kante" gegen Antisemitismus zu zeigen: "Das sind Worte, die eigentlich wunderbar klingen, aber nichts aussagen. Diese Sonntagsreden, wonach Juden zu Deutschland gehören und ihre Kultur das Land bereichert habe, die gibt es ewig, nur, die Bevölkerung steht nicht hinter diesen politischen Statements, glaube ich."

"Jeder redet über Juden, aber ist nie einem begegnet"

Sucher, der bei der "Süddeutschen Zeitung" für die Schauspiel-Berichterstattung verantwortlich war und an der Münchner Hochschule für Film und Fernsehen Kritiker ausbildet, verwies auf eine Umfrage aus dem Jahr 2018, wonach 19 Prozent der Befragten keinen Juden in der Verwandtschaft haben wollten. 27 Prozent hätten sich zu "antisemitischen Gedanken" bekannt: "Natürlich denkt man dann, das, was der Scholz sagt, ist zwar schön, nur, wie überzeugt er die anderen."

Die nicht jüdische Bevölkerung müsse deutlich mehr über jüdisches Leben erfahren, damit das Thema nicht länger "wie ein Gespenst" wirke, so der Publizist: "Jeder redet über Juden und ist noch nie einem begegnet, weil es viel zu wenige in diesem Land gibt. Also wäre in erster Linie wichtig, das Miteinander deutlich zu machen. Wir sind Angehörige dieses Staates und habe verschiedene Religionen. Bildung ist wichtig: Es müsste in den Schulen verstärkt die deutsche Geschichte nach 1933 unterrichtet werden und Schulstunden geben über Juden in Deutschland."

Bestätigt fühlen darf sich Sucher durch eine Umfrage von 2018, wonach nur 22 Prozent der Deutschen der Meinung waren, gut oder ausreichend über "Geschichte, Bräuche und Rituale von jüdischen Mitbürgern" informiert zu sein. Er selbst habe zeitweise überlegt, nach Frankreich auszuwandern, so Sucher, aber dort sei die Lage, was den Antisemitismus betrifft, ähnlich wie in Deutschland: "Israel ist für mich keine Alternative, weil mein Hebräisch nur rudimentär ist. Was aber stimmt, es gibt dort die Sicherheit, dass in Israel selbst keine Antisemiten leben. Innerhalb des Staates wirst du nicht angegriffen, sondern von außen. Das macht eine Art Sicherheitsgefühl aus."

"Trotzdem hatte ich Angst"

Dass der Münchner Oberbürgermeister Dieter Reiter das Gespräch mit den Vertretern der islamischen Gemeinden sucht, begrüßte Sucher: "Ein starkes Zeichen wäre es ja, wenn friedliebende Muslime sich mit den Protesten der Juden solidarisieren würden gegen das, was da in Israel und Palästina passiert." Er fürchte die aktuellen Demonstrationen von Palästinenser-Sympathisanten auf deutschen Straßen, so der Autor: "Ich war gerade in Berlin, um meinen Verleger zu treffen und traute mich nicht nach Kreuzberg und Neukölln. Ich wollte da nicht hin, obwohl ich keine Kippa trage. Trotzdem hatte ich Angst."

Er habe sich nicht vorstellen können, mit rund 800 gleich gesinnten Leuten vor der Münchner Feldherrnhalle für Solidarität mit Israel zu demonstrieren, während zeitgleich auf dem nahe gelegenen Marienplatz 350 Demonstranten gefordert hätten: "Israel muss weg."

Sucher rechnet damit, dass durch die Kriegsbilder der erwarteten israelischen Bodenoffensive im Gaza-Streifen die internationale Solidarität mit Israel "weiter schrumpfen" werde. Das sei das "Kalkül der Hamas". Zum Auftritt des slowenischen Philosophen und Kulturtheoretikers Slavoj Žižek bei der Eröffnung der Frankfurter Buchmesse, der Proteste ausgelöst hatte, weil der Redner Verständnis für die Palästinenser eingefordert und darum gebeten hatte, den Hintergrund des Nahost-Konflikts im Auge zu behalten, sagte Sucher: "Ich finde es richtig, dass Menschen sich auch so äußern dürfen, ohne sofort mit dem Finger drauf zu zeigen. Ich finde es auch richtig, dass jeder Nichtjude in Deutschland das Recht haben muss, Netanjahu und die Siedlungspolitik in Israel zu kritisieren. Was er nicht machen sollte, Israel und die Israelis mit den Juden gleichzusetzen, das sind zwei verschiedene Dinge."

"Unsichere Heimat. Jüdisches Leben in Deutschland von 1945 bis heute", Piper-Verlag, 24 Euro, erscheint am 2. November 2023

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