Die USA erleben eine tödliche Epidemie, verursacht durch Xylazin, ein Beruhigungsmittel für Pferde. 2021 registrierte man über 110.000 Drogen-Überdosis-Todesfälle. So viele wie noch nie zuvor.
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Ein drogenabhängiger Mann wird in einer mobilen Krankenstation nahe Philadelphia behandelt.

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Tranq: Wie gefährlich die hautfressende "Zombie-Droge" ist

Die USA erleben eine tödliche Epidemie durch das Pferde-Beruhigungsmittel Xylazin, als gemixte Droge "Tranq" genannt. 2021 starben 110.000 Menschen an einer Drogen-Überdosis – so viele wie nie zuvor. Wie wahrscheinlich ist eine Verbreitung in Bayern?

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Jessica aus New Castle im US-Bundesstaat Delaware ist nur eines der vielen Opfer dieser verheerenden Drogen-Krise. Xylazin, das auch als "Zombie-Droge" bekannt ist, verätzt die Haut und führt in einigen Fällen sogar zur Amputation von Gliedmaßen. Jessica zeigt auf die tiefen Wunden an ihren Beinen, die typisch sind für die Injektion dieses starken Sedativs, und sagt: "Es frisst dir einfach die Haut weg. Du hast ein Loch im Arm und eine Narbe."

Produktion und Profit der Drogenkartelle

Dem Beruhigungsmittel für Pferde, Xylazin, wird Fentanyl beigemischt, um dessen Straßenpreis von umgerechnet 30 Euro noch weiter zu drücken. Hergestellt wird die Droge meist im mexikanischen Dschungel. Die Grundstoffe kommen jedoch aus China. Für die Drogenkartelle ist die Produktion äußerst lukrativ: Zehn Gramm des hochpotenten Fentanyls bringen so viel ein wie 100 Kilogramm Heroin.

Fentanyl ist eine in Bayern verbreitete Droge. Deutschlandweit starben 2022 laut Bundeskriminalamt 88 Menschen an Drogenvergiftungen mit Fentanyl, davon 33 in Bayern. Am meisten Todesfälle entfallen deutschlandweit auf Heroin oder Gemische mit der Droge - 2022 zählte das BKA hier 749 Fälle. Wird sich auch das gefährlich Gemisch mit Xylazin - als Drogenmix mit Fentanyl oder Heroin auch "Tranq" genannt - in Bayern verbreiten?

Explosionsartiger Anstieg der tödlichen Überdosen in den USA

In den USA ist die Zahl der tödlichen Überdosen, bei denen Xylazin mit im Spiel ist, bereits dramatisch gestiegen. Viele Experten sind über die Geschwindigkeit, mit der sich diese beiden Drogen ausbreiten, schockiert. Die US-Forderungen nach einem stärkeren Vorgehen gegen den grenzüberschreitenden Schmuggel von Fentanyl haben zu einem Zerwürfnis mit Mexiko geführt.

Nach Angaben des Bayerischen Landeskriminalamtes (LKA) haben derzeit weder Xylazin noch Tranq eine besondere polizeiliche Relevanz in Bayern. Polizeiliche Sicherstellungen von Tranq hätten bislang nicht stattgefunden.

Kritik an den Maßnahmen der US-Behörden

In den USA stehen die Behörden in der Kritik, zu spät zu erfahren, welche Drogen aktuell populär werden und zu wenig Daten zu sammeln. Nabarun Dasgupta, ein Mediziner an der Universität von North Carolina, der Drogenproben aus dem ganzen Land sammelt, sagt: "Wir erfahren erst, was in den Straßendrogen drin ist, wenn es zu spät ist, wenn die Leute entweder tot oder verhaftet sind. Dasgupta sagt, die Polizei wisse oft nicht, welche Drogen überhaupt im Umlauf seien.

Jetzt rächt sich eine Politik in den USA, die sich vor allem auf die Strafverfolgung konzentriert hat: Wer mit harten Drogen erwischt wurde, kam ins Gefängnis. In die öffentliche Gesundheit wurde aber offenbar zu wenig investiert. Auch die Zusammenarbeit zwischen den Behörden sei schleppend. Abwässer würden oft nicht auf illegale Drogen getestet, bemängeln Experten. Ein funktionierendes landesweites Melderegister für neue Drogen gebe es in den USA nicht - ebenso wie in Deutschland.

Wie gefährlich ist Tranq?

Aufgrund der besonderen Gefährlichkeit von Xylazin hat die Biden-Regierung Fentanyl, das mit Xylazin vermischt ist - also "Tranq", als "aufkommende Bedrohung" für die USA eingestuft. Das ist das erste Mal, dass Washington eine chemische Substanz auf diese Weise ins Visier nimmt.

Neben den Risiken einer Überdosis und der schädlichen Auswirkungen auf die Haut birgt Xylazin eine weitere Gefahr. Es ist kein Opioid - daher wirkt Naloxon nicht, das üblicherweise als Gegenmittel bei Opioid-Überdosen verwendet wird: "Der Anstieg von Xylazin ist besorgniserregend, es ist kein Opioid. Naloxon ist dadurch wirkungslos", betont Pooni Arunkumar, Leiterin des Gesundheitsamtes von Cook County, einem Bezirk in der Nähe von Philadalephia.

Einige US-Bundesstaaten verschärfen nun die Vorschriften für den Umgang und die Lagerung von Xylazin. Und die Biden-Administration entwickelt nationale Test-, Behandlungs- und Betreuungsprotokolle, um den illegalen Gebrauch zu bekämpfen und Opfern besser zu helfen. Trotz dieser Bemühungen sind viele Experten besorgt, dass die Kriminalisierung von Xylazin die Fähigkeit der Forschenden einschränken könnte, die Droge zu studieren und zu testen. Dies könne dazu führen, dass die Kartelle zu noch gefährlicheren Streckmitteln wechseln.

Die persönliche Tragödie der Xylazin-Opfer

Thomas Kraussmann starb an einer Überdosis – seine Geschichte unterstreicht die Tragödie der Drogenkrise. Seine Eltern glaubten ursprünglich, dass er an einer Überdosis Heroin gestorben sei. Aber der Gerichtsmediziner erklärte, dass das Xylazin in seinem Körper schon ausgereicht hätte, um ihn zu töten. "Selbst der Gerichtsmediziner kannte die Droge nicht. Das Xylazin allein hätte ihn getötet, aber er hatte auch Fentanyl im Blut, das sogar einen Elefanten zu Fall gebracht hätte", erinnert sich sein Vater, Tom Kraussmann im US-Fernsehen.

Die Mutter des jungen Mannes, Laura Kraussmann, betont die Notwendigkeit, Drogenabhängige nicht zu stigmatisieren: "Sie sind nicht die Bösen", sagt sie. Es ist klar, dass die Bekämpfung der Xylazin-Krise mehr als nur Strafverfolgung erfordert. Es erfordert Mitgefühl, Forschung und umfassende Unterstützung für diejenigen, die am meisten leiden.

In Bayern bisher keine besondere polizeiliche Relevanz

Das bayerische LKA geht derzeit nicht von einer Zunahme an Fällen im Zusammenhang mit Xylazin in naher Zukunft aus. Dies liege unter anderem an den unterschiedlichen regionalen Gegebenheiten, teilte die Behörde auf Nachfrage von BR24 mit. Fentanyl werde zwar auch in Bayern als Droge konsumiert, jedoch nicht annähernd in dem Ausmaß wie in den USA.

Zwischen August 2021 und August 2022 wurden in den USA insgesamt rund 100.000 Rauschgifttote registriert, in zwei Drittel der Fälle konnte demnach Fentanyl nachgewiesen werden. Zum Vergleich: Im Jahr 2021 starben in Bayern 265 Personen am Konsum von Rauschgift, davon war der Statistik zufolge in 38 Fällen Fentanyl (mit-)ursächlich für den Tod. Im Jahr 2022 waren 287 Rauschgifttodesfälle zu verzeichnen; in 33 Fällen war Fentanyl (mit-)ursächlich für den Tod, das entspricht einem Anteil von 11,5 Prozent. Der Missbrauch von Fentanyl besitze in Bayern einen weitaus geringeren Stellenwert als in den USA und sei während der letzten Jahre tendenziell eher rückläufig, hieß es.

Substanz hier noch relativ unbekannt

Auch die Bayerische Akademie für Sucht- und Gesundheitsfragen teilte auf Anfrage mit, dass nach ihren Informationen Xylazin in Bayern, aber auch bundesweit bisher noch keine Rolle spiele. Die Substanz sei noch relativ unbekannt. Aktuell bestünden auch keine Hinweise, dass es zu einer Zunahme der Verbreitung von Xylazin im Kontext von Fentanylkonsum komme, da hierzulande missbräuchlich konsumiertes Fentanyl überwiegend aus Apotheken oder dem Pharmagroßhandel stamme und von daher nicht mit einer Verunreinigung zu rechnen sei, hieß es. Beate Erbas von der Geschäftsführung der Akademie erklärte, die Suchthilfe würde kurzfristig reagieren, wenn erste Fälle in Deutschland bekannt würden.

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