Archivbild (15.09.2022): Der russische Präsident Wladimir Putin in Samarkand, Usbekistan.
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Archivbild (15.09.2022): Der russische Präsident Wladimir Putin in Samarkand, Usbekistan.

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Wladimir Putin vor Gericht – wie realistisch ist das?

Der Internationale Strafgerichtshof hat im März Haftbefehl gegen Putin erlassen – wegen der Verschleppung von Kindern im Ukraine-Krieg. Im Sommer steht nun eine heikle Staatsreise für Russlands Präsidenten an: Könnte er dort festgenommen werden?

Über dieses Thema berichtet: Dossier Politik am .

Es war eine Überraschung, als der Internationale Strafgerichtshof (ICC) in Den Haag am 17. März verkündete, dass Haftbefehl gegen den russischen Präsidenten und seine Kinderrechtsbeauftragte erlassen wurde – wegen Verschleppung ukrainischer Kindern nach Russland.

Festnahme in Südafrika?

Ein möglicher Besuch des russischen Präsidenten in Südafrika stellt das Land vor eine schwierige Situation. Im August findet dort der jährliche BRICS-Gipfel statt - das Treffen der Länder Brasilien, Russland, Indien, China und Südafrika. Das Gastgeber-Land und Russland sind enge Verbündete, bisher gibt sich Südafrika im Ukraine-Konflikt neutral. Dass Putin festgenommen wird, können sich politische Beobachter aber nicht vorstellen, auch wenn dies die Rechtslage so vorschreibe.

Am Dienstag sah es kurzfristig so aus, als ob Südafrika seine internationalen Partner lieber durch einen Austritt aus dem ICC brüskieren wolle, als Putin festzunehmen. Nach einigen Stunden ruderte das Land aber zurück: Ein Austritt sei nicht geplant.

Doch auch wenn Südafrika Mitglied bleibt, muss das nicht heißen, dass sie die Vorgaben des Gerichts erfüllen: Vor einigen Jahren hatte das Land den sudanesischen Machthaber Al-Baschir in einer ähnlichen Situation entkommen lassen, als gegen diesen ebenfalls ein Haftbefehl des ICC vorlag.

Befehlsketten nachvollziehbar

Der Erlass des Haftbefehls gegen Putin und die russische Kinderrechtsbeauftragte Maria Lvova-Belova erfolgte im Vergleich zu anderen Verfahren am ICC schnell. Das ließe darauf schließen, dass viele Beweise vorliegen und das Gericht glaube, damit die Befehlsketten bis zum russischen Präsidenten nachvollziehen zu können, vermutet Ludger Kazmierczak, Korrespondent im ARD-Studio Den Haag. Damit könnte eine persönliche Verantwortung des russischen Präsidenten nachgewiesen werden. Bisher dauert es oft viele Jahre, bis in Prozessen vor internationalen Gerichten Anklage erhoben wird oder ein Haftbefehl ergeht.

Komplizierter dürfte es werden, die Befehlsketten dann nachzuweisen, wenn beispielsweise Söldnertruppen involviert sind und es sich nicht um staatliche Truppen handelt. Auch eine Anklage wegen eines Angriffskrieges ist juristisch schwierig, da weder Russland noch die Ukraine dem zuständigen Internationalen Strafgerichtshof beigetreten sind.

Der Freiburger Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann berät als Mitglied einer internationalen Expertengruppe, der "Atrocity Crimes Advisory Group", die Ukraine bei der Ermittlung von Kriegsverbrechen. Sein Eindruck: Dort wo die russische Armee rund um Kiew stationiert war, wurde sie schnell und überhastet wieder abgezogen. So konnten Ermittler schnell an die Tatorte und Beweismaterial sichern.

Schwierige Beweissicherung in besetzten Gebieten

Anders sei das in den besetzten Gebieten. Da werde es bei einer Befreiung dieser Gebiete deutlich schwieriger, über diesen langen Zeitraum hinaus Beweise zu sichern. "Wir hören jetzt zum Beispiel, dass die russische Armee in den Gebieten, die sie zum Teil räumt, sehr systematisch Beweise vernichtet, teilweise sogar ganze Gebäudekomplexe vernichtet, um spätere Aufklärung von Verbrechen zu erschweren", erklärt Hoffmann im "Dossier Politik".

Oberstaatsanwalt berät ukrainische Behörden

Die Beratung der ukrainischen Behörden umfasse einen ganzen Katalog von praktischen Maßnahmen, so Oberstaatsanwalt Hoffmann: So wurden für die Befragung von russischen Kriegsgefangenen Standard-Fragebögen entwickelt, um sicherzustellen, dass nicht nur einzelne Taten aufgeklärt werden, sondern, dass russische Soldaten auch zu Befehlsketten zu den Vorgesetzten befragt werden.

Außerdem sei es wichtig, Befragungen von Opfern so durchzuführen, dass diese nicht wieder retraumatisiert würden - das betreffe etwa Opfer von sexueller Gewalt. Und eine große Herausforderung liege darin, die Masse der Verfahren und an Beweisen ordentlich zusammenzuführen und zu sammeln.

Gut gemeint - aber wirkungslos?

In der Vergangenheit seien viele Verfahren an der mangelnden Beweisführung gescheitert, so Den-Haag-Korrespondent Kazmierczak. Zum Teil liege das daran, dass Zeugen eingeschüchtert worden seien, wie etwa beim Jugoslawien-Tribunal. Immer dort, wo Unruhen herrschten, gebe es Korruption und Gewalt, die ordentliche Gerichtsverfahren behinderten. Einer der Kritikpunkte am Internationalen Strafgerichtshof daher seit vielen Jahren: der ICC sei ein zahnloser Tiger.

Verfahren wichtig für gesellschaftliche Aufarbeitung von Verbrechen

Trotz der Schwierigkeiten verweist Hoffmann darauf, dass schon öfter Machthaber vor Gericht gestellt wurden, so etwa nach dem Jugoslawien-Krieg und dem Konflikt auf dem Balkan. Das mache ihn optimistisch, dass eine juristische Aufarbeitung möglich sei. Auch für eine gesellschaftliche Aufarbeitung seien internationale Verfahren wichtig, genauso wie für die Opfer.

Dass Putin in Südafrika festgenommen werden könnte, halten Hoffmann und Kazmierczak für unwahrscheinlich. Es ist gut möglich, dass Putin schlicht auf den Besuch verzichtet, nur digital teilnimmt oder jemand anderen schickt, um das Partnerland nicht unter Druck zu setzen. Dass es langfristig aber eine juristische Aufarbeitung der russischen Kriegsverbrechen in der Ukraine geben könnte - dazu äußern sich beide hoffnungsvoll.

Hören Sie das ganze Gespräch mit Oberstaatsanwalt Klaus Hoffmann und Ludger Kazmierczak im "Dossier Politik" - im Artikel oben über den Play-Button, im BR-Podcast-Center oder in der ARD-Audiothek.

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