Eine Mutter geht mit einem Kleinkind und einem Baby im Kinderwagen spazieren.
Bildrechte: stock.adobe.com/tina7si

Eine Mutter geht mit einem Kleinkind und einem Baby im Kinderwagen spazieren.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Rechtsexperten äußern Zweifel an Elterngeld-Plänen wegen Frist

Rechtsexperten zweifeln laut BR-Recherchen an der Verfassungsmäßigkeit der Elterngeld-Änderung zum Januar 2024. Problematisch sei vor allem die Situation von Paaren, die aktuell ein Kind erwarten und von der Neuregelung ab Januar betroffen wären. 

Über dieses Thema berichtet: quer mit Christoph Süß am .

Kein Thema wurde wohl unter Eltern und solchen, die es werden wollen, in den vergangenen Wochen so kontrovers diskutiert wie die Pläne von Bundesfamilienministerin Lisa Paus, das Elterngeld für manche Paare zu streichen. Wer gemeinsam ein zu versteuerndes Einkommen ab 150.000 Euro hat, soll künftig keinen Anspruch mehr haben. Eine Petition gegen die Änderung bekam über 500.000 Unterschriften, es war Gesprächsthema im Netz und auf Spielplätzen – und ein weiterer Streitpunkt in der Ampelkoalition. Nach Recherchen des BR-Magazins quer gibt es nun rechtliche Bedenken gegen die geplante Streichung ab Januar 2024.

Übergangsfristen sind zu kurz

Der Verfassungsrechtler Professor Gregor Kirchhof von der Universität Augsburg hält Änderungen am Zeitplan für notwendig. "Aus rechtlicher Sicht ist jedenfalls eine deutlich längere Übergangsfrist geboten", sagt der Experte gegenüber dem Bayerischen Rundfunk. 

Problematisch sei vor allem die Situation von Paaren, die aktuell ein Kind erwarten und von der Neuregelung ab Januar betroffen wären. Die geplante Streichung des Elterngeldes für Einkommen ab 150.000 Euro soll für Geburten ab dem 1. Januar 2024 gelten. Wer bereits Elterngeld bezieht, hätte weiterhin Anspruch – ebenso Eltern, deren Kind bis Ende des Jahres geboren werden.

Problematisch wegen "Vertrauensschutz"

Wer sich im Vertrauen darauf, Anspruch auf Elterngeld zu haben, für Nachwuchs entschieden hat, würde nach den Plänen der Ministerin leer ausgehen, wenn das Kind nach Januar zur Welt kommt und die Eltern über der Einkommensgrenze liegen. Betroffen könnten also auch werdende Mütter sein, die bereits im vierten Monat schwanger sind.

Prof. Kirchhof meint dazu: "Eine Streichung des Elterngeldes für Partner, die aufgrund einer Schwangerschaft ein Kind erwarten, ist im Hinblick auf den Vertrauensschutz sehr problematisch. Im Verfassungsrecht gilt der Grundsatz des schonenden Übergangs. Eine komplette Elterngeld-Streichung ohne hinreichende Übergangsregeln würde dem widersprechen." Bisher ist die Neuregelung des Elterngelds nur ein Vorschlag – der Bundestag soll den Haushalt Anfang Dezember beschließen.

Juristen tun sich schwer mit Prognose

Quer hat zahlreiche Gespräche mit Professorinnen und Professoren für Verfassungsrecht sowie für Steuerrecht zu den geplanten Änderungen des Elterngelds geführt. Während einzelne Experten eher keine Verletzung des Vertrauensschutzes sahen, war die Mehrheit der befragten Professoren der Ansicht, dass ein Scheitern des Gesetzes in seiner aktuell geplanten Form vor dem Bundesverfassungsgericht zumindest möglich sei.

Für den Tübinger Verfassungsrechtsexperten Prof. Christian Seiler handelt es sich um eine schwierige verfassungsrechtliche Abwägung: "Dem Grundsatz nach muss man als Bürger immer damit rechnen, dass die derzeit geltenden Gesetze mit Wirkung für die Zukunft geändert werden. Hat der Staat jedoch ein schutzwürdiges Vertrauen der Bürger begründet, müssen die Übergänge angemessen gestaltet werden. Ob das Bundesverfassungsgericht dies für die recht kurzfristige Änderung der Elterngeldregelung annehmen würde, lässt sich nur schwer vorhersehen."

Familienministerium beruft sich auf Präzedenzfall

 Das Bundesfamilienministerium nimmt auf den Aspekt des Vertrauensschutzes auf Anfrage des BR keinen Bezug. Stattdessen führt das Ministerium als Beleg für die Verfassungsmäßigkeit der kurzfristigen Elterngeldänderung einen Präzedenzfall ins Spiel. 

"Eine Stichtagsregelung, wonach Eltern, deren Kind am oder nach einem Stichtag geboren wird, keinen Anspruch auf Elterngeld haben, ist verfassungsgemäß. Dies hat das Bundesverfassungsgericht anlässlich der Einführung des Elterngeldes entschieden (Nichtannahmebeschluss vom 20.04.2011, 1 BvR 1811/08). Seinerzeit betraf dies Eltern, die aufgrund ihres Einkommens keinen Anspruch auf das vorherige Erziehungsgeld, jedoch einen Anspruch auf Elterngeld gehabt hätten und deren Kind vor dem Stichtag zur Einführung der Elterngeldregelungen geboren waren."

Experten sehen allerdings einen gravierenden Unterschied zwischen dem damaligen Fall und der heutigen Situation: Damals führte der Gesetzgeber zusätzliche Leistungen ein, heute sollen bestehende Leistungen gestrichen werden.

Juristen stellen Begründung in Frage

Prof. Seiler von der Universität Tübingen hält die Argumentation des Ministeriums nicht für stichhaltig: "Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist nicht auf die hiesige Fragestellung übertragbar. Damals hat das Gericht zutreffend festgestellt, dass der Gleichheitssatz Stichtagsregelungen bei der Einführung einer neuen Leistung nicht entgegensteht. Heute stellt sich die Frage, ob und inwiefern die Bürger in den Fortbestand aktuell geltender Gesetze vertrauen dürfen."

Auch Prof. Kirchhof weist die rechtliche Begründung des Ministeriums zurück: "Verfassungsrechtlich ist zu unterscheiden, ob eine Leistung zu einem Stichtag gewährt wird oder ob sie reduziert resp. entzogen werden soll. Der Vertrauensschutz von Leistungsberechtigten auf eine bestehende Zuwendung ist deutlich höher. Das Grundgesetz drängt hier zu einem schonenden Übergang."

Kürzungen wegen Schuldenbremse

Ob die Grenze für das Elterngeld zum 1. Januar 2024 wirklich sinkt, wird sich erst noch entscheiden. Aktuell liegt die Grenze für das Elterngeld bei einem gemeinsamen zu versteuernden Einkommen von 300.000 Euro. Hintergrund des Vorschlags von Familienministerin Paus ist die geplante Einhaltung der Schuldenbremse. Bundesfinanzminister Christian Lindner forderte Ministerien auf, ihre Ausgaben zu kürzen, um Schulden zu begrenzen.

Zum Hören: Wie Ministerin Paus die neuen Elterngeld-Pläne verteidigt

Familienministerin Paus
Bildrechte: Picture alliance/dpa | Bernd von Jutrczenka
Artikel mit Audio-InhaltenAudiobeitrag

Lisa Paus

Das ist die Europäische Perspektive bei BR24.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht's zur Anmeldung!