Solarzellen auf zwei Hausdächern, von denen eines in einem Verkehrsspiegel sichtbar ist
Bildrechte: BR/Alexander Krauß

Solardächer, wohin man auch schaut – doch das bringt nichts für die Energiewende, wenn es an anderer Stelle hakt.

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Was die Energiewende bremst: Solardächer ohne Anschluss

Deutschland erlebt einen Solarboom. Bürger investieren viel Geld, um die Energiewende mitzugestalten. Doch es hakt in der Umsetzung – zum Ärger der Privatpersonen mit entsprechenden Anlagen auf dem Dach. Wie in der Oberpfälzer Gemeinde Flossenbürg.

Über dieses Thema berichtet: report MÜNCHEN am .

Flossenbürg könnte man auf den ersten Blick auch als "Solardorf" bezeichnen – so viele Solarzellen sind auf Hausdächern, Scheunen und Fahrradschuppen installiert, selbst auf der Schule und der Turnhalle. Die Bürgerinnen und Bürger der Oberpfälzer Gemeinde scheinen die Energiewende ernst zu nehmen.

Doch es gibt einen großen Haken: Ein Teil der Anlagen speist keinen Strom ins Netz. Irmgard Heinrich blickt hoch zu ihrem Dach, kneift die Augen zusammen, so sehr blendet die Sonne. Es ist wieder ein aus ihrer Sicht verschwendeter Tag.  "Ich habe 30.000 Euro bezahlt und kann die Anlage jetzt nicht nutzen. Da will man was machen für die Energiewende und dann geschieht nichts!"

  • Zum Artikel: "Photovoltaik auf Dächern: Bayern geht fast leer aus"

Kein Zähler, kein Geld

Irmgard Heinrich ist Rentnerin. Mit ihrem Ersparten hat sie eine Solaranlage gekauft, seit dem Frühjahr ist diese betriebsfähig, könnte Strom ins Netz einspeisen. Doch das darf sie nicht, weil ein bestimmter Zähler fehlt, ein sogenannter Zweirichtungszähler. Der erfasst sowohl den Strom, den sie verbraucht, als auch den Strom, den sie ins Netz einspeist. Die Installation dieses Zählers lässt auf sich warten, der Netzbetreiber bittet seit Monaten um Geduld. Und so vergehen Sonnentage, die Anlage steht still.

Irmgard Heinrich ist nicht die Einzige mit diesem Problem in Flossenbürg, mehrere Personen sind betroffen. Die Wut ist groß. "Es sind Gelder, die die Leute aus ihrer Tasche zahlen, privat, um die Energiewende voranzubringen", sagt Werner Rosner, der Bruder von Irmgard Heinrich. Auch seine Anlage kann keinen Strom ins Netz einspeisen.      

Bundesweiter Bremsklotz in der Energiewende

Ist Flossenbürg ein Einzelfall? Absolut nicht, sagt Carsten Körnig, Geschäftsführer des Bundesverbands der Solarwirtschaft mit Sitz in Berlin. "Man kann generell inzwischen sagen, dass Verzögerungen beim Netzanschluss zu den großen Bremsklötzen der Energiewende zählen, nicht nur in einzelnen Bundesländern, sondern bundesweit."

Zukünftig achtmal so viel Solarleistung

Andrees Gentzsch vom ebenfalls in Berlin ansässigen Bundesverband der Energie- und Wasserwirtschaft räumt Verzögerungen beim Netzanschluss durch Netzbetreiber ein. Grund sei die sehr stark gewachsene Nachfrage nach Photovoltaikanlagen. "Viele Netzbetreiber fahren Sonderschichten, um diesen enormen Anstieg zu bewältigen. Zum Teil versuchen sie es mit Samstagsarbeit hinzubekommen." Man arbeite außerdem daran, Prozesse zu digitalisieren und zu standardisieren. Denn in den nächsten Jahren soll die Nachfrage noch weiter steigen. Laut Prognosen der Regionalnetzbetreiber wird sich die Photovoltaikleistung in fünf Jahren verdreifacht haben, in zehn Jahren verfünffacht. 2045 soll es achtmal so viel Leistung sein wie heute.

Neben der schieren Masse an Anfragen gibt es aber einen anderen Grund für Verzögerungen: der unzureichende Zustand der Stromnetze. Die Leitungen hinken dem Ausbau der erneuerbaren Energien hinterher.

Überlastete Stromnetze

In Lehrte, östlich von Hannover, spürt man das besonders. Hier sitzt Tennet, einer von vier Übertragungsnetzbetreibern in Deutschland, die die überregionalen Stromnetze betreiben. Im Hauptschaltraum von Tennet überwachen Mitarbeitende an großen Bildschirmen einen Teil der "Stromautobahnen" in Deutschland.

Die Arbeit in diesem Schaltraum hat sich komplett verändert, seitdem Energiequellen dezentraler und weniger vorhersehbar geworden sind. "Das heißt, wir müssen jetzt reagieren und die Last anpassen an die Erzeugung, und das führt dazu, dass wir viel mehr eingreifen in unseren Netzbetrieb. Während wir vor 20 Jahren zwei- bis dreimal im Jahr eingegriffen haben, machen wir es heute 20 bis 30 Mal am Tag", sagt Geschäftsführer Tim Meyerjürgens.

Kein Anschluss für Wärmepumpen

Die deutschen Stromnetze müssen ausgebaut werden. Der jetzige Zustand bremse die Energiewende, bestätigt auch Kai Warnecke, Präsident des Verbandes Haus & Grund: "Es vergeht praktisch kein Tag, an dem wir nicht mit Fällen konfrontiert sind, wo Wärmepumpen nicht in Betrieb genommen werden können, weil das Stromnetz nicht ausreichend ist, weil die letzten 100, 200 Meter bis zum Verteilknoten nicht ausreichend sind, weil eben inzwischen schon viele Wärmepumpen eingebaut werden. Und deswegen brauchen wir dringend eine Ertüchtigung der Energienetze in Deutschland. Sonst lässt sich die Wärmewende definitiv nicht umsetzen."

Zumindest in Flossenbürg geht es nach monatelangem Warten voran. Werner Rosner hat für sich und seine Schwester Irmgard Heinrich Druck beim Netzbetreiber gemacht, sogar dem Vorstand geschrieben. Mit Erfolg: Der Zweirichtungszähler wird installiert.

Nach den Dreharbeiten von "report München" wurde auch bei weiteren Betroffenen der Zähler installiert. Der zuständige Netzbetreiber teilte außerdem auf Nachfrage mit, in Flossenbürg würden derzeit Trafostationen erneuert und Kabel verstärkt.

Dieser Artikel ist erstmals am 29. August 2023 auf BR24 erschienen. Das Thema ist weiterhin aktuell. Daher haben wir diesen Artikel erneut publiziert.

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