Archivbild: Die deutsche und die palästinensische Flagge wehen in Jalazoon (Palästinensisches Autonomiegebiet)
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Warum die Bundesregierung Palästina nicht als Staat anerkennt

Norwegen, Irland und Spanien wollen Palästina als Staat anerkennen. Das hat in diplomatischen Kreisen für viel Wirbel gesorgt. Die Bundesregierung bewegt sich in der Frage nicht – und die EU spricht erneut nicht mit einer Stimme. Eine Analyse.

Über dieses Thema berichtet: BAYERN 3-Nachrichten am .

Über drei Viertel aller UN-Mitgliedsstaaten haben Palästina mittlerweile als Staat anerkannt. In Westeuropa entschloss sich bislang kaum ein Land dazu. Das ändert sich nun. Kurz vor der Europawahl verkündeten Norwegen, Irland und Spanien eine gemeinsame Initiative: Sie werden Palästina als Staat anerkennen.

Und die Bundesregierung? Die hat klargemacht, dass sie bei diesem Schritt nicht mitzieht. Bundesaußenministerin Annalena Baerbock kritisierte das Vorgehen der drei Staaten als Symbolpolitik. Am Rande eines Treffens des Weimarer Dreiecks mit ihren Amtskollegen aus Frankreich und Polen erklärte die Grünen-Politikerin: "Für eine Lösung dieser furchtbaren Situation, die wir gerade erleben müssen, da braucht es eben keine symbolische Anerkennung, sondern da braucht es eine politische Lösung."

Deutschlands Haltung: Anerkennung Palästinas nicht am Anfang eines Prozesses

Die deutsche Haltung ist diesbezüglich seit Jahren gleich: "Wir als Bundesrepublik Deutschland sind zutiefst davon überzeugt, dass nur die Zweistaatenlösung nachhaltigen Frieden für Palästinenser und Israelis bringen wird", sagte Baerbock. Doch die Anerkennung Palästinas soll im Laufe oder am Ende von Verhandlungen stehen – und nicht am Anfang. Konkrete nächste Schritte wären aus deutscher Sicht: die Befreiung der verbliebenen Geiseln und mehr humanitäre Hilfe für die Menschen in Gaza. "Ohne diese akute Krisendiplomatie wird ein eigenständiger palästinensischer Staat nicht Wirklichkeit werden", so Baerbock.

"Deutschland sagt, dass jetzt noch nicht der richtige Zeitpunkt gekommen sei", erklärte Muriel Asseburg, Senior Fellow in der Forschungsgruppe Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) in Berlin im Deutschlandfunk-Interview. Es soll ein Baustein in diesem politischen Prozess sein, man sei jetzt aber nicht weit genug – so sieht Asseburg die deutsche Haltung.

Kein Kurswechsel zu erwarten

Dass die Bundesregierung in naher Zukunft ihre Haltung ändert, ist unwahrscheinlich – auch wenn die Stimmen in Berlin lauter werden, die das fordern. Nach der Deutlichkeit aber, mit der die Außenministerin auf den Schritt von Spanien und Co. reagiert hat, würde ein Kurswechsel an der Glaubwürdigkeit Deutschlands kratzen.

Was kein offizieller Vertreter der Bundesregierung so sagen wird: Über einen eigenständigen Palästinenser-Staat zu verhandeln, dürfte wohl erst wieder möglich sein, wenn Benjamin Netanjahu nicht mehr Premierminister Israels ist. Denn der machte jüngst erneut klar, was er vom Plan einer Zweistaatenlösung hält – nämlich gar nichts.

Dass die Bundesregierung vom Schritt Norwegens, Irlands und Spaniens nicht überrascht war, ließ eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes auf der Bundespressekonferenz durchblicken. Im Kreise der Mitgliedstaaten der Europäischen Union werde das Thema regelmäßig besprochen. "Auf diesem Wege gibt es natürlich einen intensiven Austausch, und die Positionierungen - das kann man nicht verhehlen - unterscheiden sich etwas voneinander." Neben Deutschland bleiben auch andere diplomatische Schwergewichte in Europa wie Frankreich und Großbritannien bei ihrem Nein zum jetzigen Zeitpunkt.

Was bedeutet die deutsche Haltung?

Dass Norwegen, Irland und Spanien Palästina als Staat anerkannt haben, ist in erster Linie ein symbolischer Akt. Rechtlich ändert sich dadurch so gut wie nichts. Genauso hat Deutschlands Haltung, sich der Initiative nicht anzuschließen, keine direkten Auswirkungen. Die drei Länder haben durch ihr Vorgehen aber den Druck auf ihre europäischen Partner erhöht und zwingen sie damit, erneut ihre Haltung zu erklären.

Auf palästinensischer Seite dürfte man enttäuscht sein, dass Deutschland sich nicht angeschlossen hat. Eine Sprecherin des Auswärtigen Amtes verweist darauf, dass man seit Langem den Aufbau von palästinensischen Institutionen unterstütze und palästinensische Behörden durch Reformen stärke, was Teil dieses gewünschten politischen Prozesses sei. Auch Baerbock selbst erklärte, dass Deutschland "bekanntermaßen einer der größten Unterstützer der Palästinenser" sei.

Keine zusätzliche Belastung der deutsch-israelischen Beziehungen

Gerade Baerbock versucht durch zahlreiche Reisen in den Nahen Osten, Deutschland als Makler in dem Konflikt zu positionieren. Hier einen überraschenden Kurswechsel zu vollziehen, hätte besonders das Verhältnis zu Israel belastet. Um das stand es in den vergangenen Wochen nicht immer bestens: Vor knapp einem Monat soll es zu einer heftigen Auseinandersetzung zwischen Baerbock und dem israelischen Premier Netanjahu gekommen sein.

Zudem dürfte man sich in Berlin unter keinen Umständen dem Vorwurf aussetzen wollen, dass eine Anerkennung Palästinas eine indirekte Folge des 7. Oktobers sei. Das ist die Argumentation Netanjahus gegen den Schritt der Regierungen in Madrid, Oslo und Dublin: "Die Absicht von mehreren europäischen Partnern, einen palästinensischen Staat anzuerkennen, ist eine Belohnung für Terrorismus", erklärte der israelische Premier und machte erneut deutlich, dass es mit ihm keine Verhandlungen über eine Zweistaatenlösung geben werde. "Dem Bösen kann kein Staat gegeben werden. Das wäre ein terroristischer Staat."

Netanjahus Vorwurf: Belohnung für Terrorismus

Ob eine Anerkennung Palästinas Terrorismus belohne, wie Netanjahu kritisiert - das sehen mehrere Beobachter anders. "Man muss Wege finden, auch mal unorthodox zu denken, die Pyramide auf den Kopf zu stellen und zu sagen: Wie kommen wir aus dieser Bredouille, dieser sehr schwierigen Lage – natürlich veranlasst durch den brutalen Terrorangriff der Hamas – wieder heraus und in einen neuen Friedensprozess?", fragt Martin Kobler, der ehemalige Leiter der deutschen Vertretung in den palästinensischen Autonomiegebieten, im Gespräch mit dem Deutschlandfunk.

Man habe die Zweistaatenlösung "als Monstranz die letzten 30 Jahre" vor sich hergetragen, aber keine großen Anstrengungen unternommen, tätig zu werden, sagte Kobler. Er sieht den Schritt der drei Länder deswegen positiv: "Wenn es der Sicherheit Israels dient und die Anerkennung der Staatlichkeit Palästinas zum jetzigen Zeitpunkt eine gute Sache ist, dann bin ich dafür."

"Falsches Signal zur falschen Zeit"

Ähnlich argumentiert Muriel Asseburg von der Stiftung Wissenschaft und Politik. "Es ist an der Zeit, ganz konkrete Schritte zu gehen in Richtung Konfliktregelung – eine Konfliktregelung, die auch die Umsetzung, das Selbstbestimmungsrecht beider Völker, beinhalten muss." Und dies sei ein Schritt in diese Richtung. Eine Belohnung für Terror sei dies nicht, stattdessen gehe es darum, "den Palästinenserinnen und Palästinensern Hoffnung zu geben und aufzuzeigen, es gibt eine Alternative zum bewaffneten Kampf zu Terror und zu Hoffnungslosigkeit".

Auch die Länder, die Palästina nun anerkannt haben, sehen es anders als Netanjahu: "Palästina als Staat anzuerkennen, bedeutet, die moderaten Kräfte zu stärken", erklärte beispielsweise Norwegens Premierminister Jonas Gahr Støre. Alle drei Regierungschefs wollten den Schritt nicht als antiisraelisch bewertet sehen, sondern als Beschleuniger einer Zweistaatenlösung. Die Kritik daran ist dennoch laut. So sprach der Vorsitzende des Auswärtigen Ausschusses, Michael Roth (SPD), beispielsweise von einem "falschen Signal zur falschen Zeit".

Das Europa der vielen Stimmen

Der Fall zeigt abermals, dass Europa in wichtigen außenpolitischen Fragen nicht mit einer Stimme spricht. Das zeigt sich beim Krieg in der Ukraine, bei dem beispielsweise Ungarn gerne mal querschießt. Und es zeigt sich noch deutlicher im Nahost-Konflikt.

"Ich bedauere es sehr, dass es nicht im europäischen Rahmen gelungen ist, das zu machen", sagt Ex-Diplomat Kobler. Es gab zwar mehrere Initiativen aus Brüssel im Nahost-Konflikt, doch bisher ist kaum Erfolg eingetreten. Das hat auch damit zu tun, dass der EU-Außenbeauftragte, Josep Borrell, für manche eine unglückliche Rolle spielt. So sagte er beispielsweise im Januar, dass Israel die Hamas finanziert habe, um die Palästinenser-Behörde im Westjordanland zu schwächen – ohne dafür allerdings Belege zu liefern.

Zum anderen liegt es daran, dass einzelne Mitglieder der EU sich immer wieder mit unterschiedlichen Stoßrichtungen zu Wort melden. Zwar bekennen sich alle EU-Länder zu einer Zweistaatenlösung. Doch wie man diese erreicht – da gehen die Meinungen deutlich auseinander, wie die aktuelle Debatte um eine Anerkennung Palästinas zeigt.

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