Die Partei trägt ihren Namen: Sahra Wagenknecht begeistert ihre Mitstreiter beim ersten BSW-Parteitag in Berlin. Nach innen wirbt sie für einen "pfleglichen Umgang". Nach außen teilt sie heftig aus.
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Sahra Wagenknecht (l) und Amira Mohamed Ali (r), Parteivorsitzende der neuen "Bündnis Sahra Wagenknecht - für Vernunft und Gerechtigkeit"-Partei.

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Wagenknecht-Bündnis: Eine Partei als Wutstaubsauger

"Wir haben Großes vor", sagt Sahra Wagenknecht beim Gründungsparteitag in Berlin. Die Parteienlandschaft will sie umkrempeln und der AfD das Wasser abgraben. Doch zum Start arbeitet sich das BSW vor allem an anderen Kräften ab.

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Es ist der Moment, den sie herbeigesehnt haben dürfte. Über viele Monate hat Sahra Wagenknecht gezögert, ob sie eine neue Partei gründet. Jetzt steht die Bundestagsabgeordnete vor den knapp 400 angereisten Mitgliedern des nach ihr benannten Bündnisses und lässt sich feiern. Auf ihrem Gesicht ein Lächeln, das gelöster als sonst wirkt. An Blitzlichtgewitter ist Wagenknecht gewöhnt – nicht aber daran, auf einem Parteitag derart umjubelt zu werden.

Minutenlang applaudieren ihr die Teilnehmer des Parteitags im Berliner "Kosmos", einem ehemaligen Kino. So groß ist der Jubel nach ihrer Rede, dass sie mehrmals mit einer Geste zu verstehen gibt, es sei jetzt aber mal genug. In ihrer bisherigen Partei mied sie zuletzt die große Bühne. Zu tief war der Graben zwischen ihr und der Linken-Führung geworden. Nun also hat Wagenknecht ihre eigene Partei – und es ist ihr wichtig, sich von ihrer alten abzugrenzen.

Wagenknecht will "Partei des Miteinanders"

"Wir sind keine Linke 2.0", ruft Wagenknecht ihren Anhängern zu. Das müsse auch für den internen Umgang gelten. "Lasst uns eine Partei des Miteinanders werden und nicht eine Partei der Intrigen und des Postengeschachers." Im Land macht sie viel Wut und Empörung aus. Immer mehr Menschen seien "politisch heimatlos" geworden. Wer sich unter Parteitagsteilnehmern umhört, wird mit der gleichen Einschätzung konfrontiert: Es gebe eine "Repräsentationslücke" – und die wollen Wagenknecht und ihre Anhänger füllen.

Der Höhenflug der AfD sei nicht das Ergebnis "einer besonders genialen Politik der AfD-Zentrale", sagt die BSW-Chefin in einem Anflug von Ironie. Aus ihrer Sicht ist die Politik der Ampel-Regierung verantwortlich dafür, dass die in Teilen rechtsextreme Partei zu Beginn dieses Superwahljahres in Umfragen so gut dasteht.

BSW fordert andere Einwanderungspolitik

Diese Entwicklung will das BSW stoppen – beispielsweise mit der Forderung nach einem Kurswechsel in der Einwanderungspolitik. Das macht Klaus Ernst im BR24-Interview deutlich. "Wir wollen illegale Zuwanderung begrenzen", sagt der Bundestagsabgeordnete aus Schweinfurt, der wie viele hier im Saal früher Mitglied bei der Linken war. Im Programm für die Europawahl findet sich der Vorschlag, Asylverfahren künftig an den Außengrenzen der Europäischen Union oder in Drittstaaten durchzuführen. Eine Idee, über die bereits parteiübergreifend diskutiert wird.

Der Blick ins Wahlprogramm zeigt auch: Das BSW versteht sich als politisches Angebot für Wähler, die mit der Politik der Bundesregierung generell nichts anfangen können. Die EU-Wahl wird als Möglichkeit beschrieben, Protest gegen die Ampel-Regierung auszudrücken. Tatsächlich scheint die Wagenknecht-Partei für solche Wähler attraktiv zu sein. Das zeigt der ARD-Deutschlandtrend von November. Fast 30 Prozent der Befragten gaben an, dass die Wahl der damals noch nicht gegründeten Partei für sie grundsätzlich infrage käme – 40 Prozent von ihnen aus Enttäuschung über andere Parteien. Besonders groß sind demnach die Sympathien für das BSW auch unter den Anhängern der AfD, aber auch der Linken.

Wagenknecht arbeitet sich an den Grünen ab

Doch Wagenknecht nimmt sich an diesem Samstag vor allem die Ampel vor – und insbesondere die Grünen. Denen wirft die BSW-Vorsitzende Heuchelei vor. Ihrer Ansicht nach steht der Anspruch der Grünen, eine wertegeleitete Außenpolitik zu betreiben, im Widerspruch zum tatsächlichen Kurs von Ministerin Annalena Baerbock. Wagenknecht kritisiert beispielsweise, dass sich die Grünen-Politikerin offen für eine Lieferung von Kampfjets an Saudi-Arabien gezeigt hat. Und fügt bissig hinzu: Wenn aber in Rüstungsverträgen gegendert werde, sei "die grüne Welt wieder in Ordnung".

Von einem anderen Redner ist zu hören, die Grünen seien "die Falken dieser Bundesregierung" – also sicherheitspolitische Hardliner. Und Fabio de Masi, Spitzenkandidat für die Europawahl, macht sich über den Vizekanzler von den Grünen lustig. Es reiche nicht, "wie Robert Habeck die Haare schön zu tragen" und Videos aufzunehmen. Eine Anspielung darauf, dass der Vizekanzler von den Grünen immer wieder versucht, die Regierungspolitik über Social-Media-Kanäle zu erläutern.

Wagenknecht kritisiert Heizungsgesetz

Dass die Grünen bei diesem Parteitag so oft als politischer Gegner benannt werden, hängt auch mit dem Heizungsgesetz der Ampel-Regierung zusammen. Aus Sicht der BSW-Führung ist es schlicht "idiotisch". Den verbreiteten Ärger darüber will die neue Partei in ihre Bahnen lenken. Ebenso wie die Bauernproteste, aus BSW-Sicht die Folge einer verfehlten Politik im Bund und auf EU-Ebene.

Auch die Corona-Politik hält Wagenknecht im Rückblick für einen Fehler. Das verdeutlicht etwa eine Personalie aus Bayern. Mit Friedrich Pürner schickt das BSW den früheren Chef des Gesundheitsamts im Landkreis Aichach-Friedberg ins Rennen um Sitze im Europaparlament. Zu Beginn der Pandemie hat er die Schutzmaßnahmen kritisiert und wurde dann versetzt. Nun fordert Pürner, die Corona-Politik und ihre Folgen aufzuarbeiten – auch auf europäischer Ebene.

Mit dem BSW tritt eine politische Kraft an, wie es sie in der Bundesrepublik noch nicht gegeben hat. Das Bündnis will zugleich Protest- und Programmpartei sein, es verbindet linke Positionen in der Sozialpolitik mit konservativen in Sachen Einwanderung. Und das BSW ist ganz auf seine Namensgeberin zugeschnitten. Insofern ist der Schauplatz gut gewählt: Als das "Kosmos" noch ein Kino war, wurden hier gern Premieren aufgeführt. Wie das BSW beim Publikum ankommt, werden die kommenden Wahlen zeigen.

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