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VW-Skandal: BGH spricht Neuwagen-Käufern Restschadenersatz zu

Diesel-Besitzer, die im Abgasskandal nicht rechtzeitig gegen VW geklagt haben, haben dennoch Anspruch auf Restschadenersatz. Das hat der Bundesgerichtshof (BGH) in Karlsruhe entschieden.

Sechseinhalb Jahre nach Auffliegen des Abgasskandals öffnet der Bundesgerichtshof (BGH) die Tür für neue Klagen gegen VW. Die Karlsruher Richterinnen und Richter urteilten am Montag, dass betroffene Diesel-Besitzer, die zu spät oder noch gar nicht vor Gericht gezogen sind, trotzdem Anspruch auf finanzielle Entschädigung haben können. Grundvoraussetzung für sogenannten Restschadenersatz ist allerdings, dass das Auto neu gekauft wurde.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hat damit also Diesel-Neuwagenkäufern einen Restschadenersatz im VW-Abgasskandal zugesprochen. Obwohl sie ihre Ansprüche zu spät geltend gemacht haben, steht den Käufern Schadenersatz von VW zu, urteilten die Richter in Karlsruhe am Montag (Az. VIa ZR 8/21 u.a.). Es ist bereits die zweite Verhandlung zum sogenannten Restschadenersatz: Für Gebrauchtwagenkäufer hatte der BGH vor einigen Tagen einen solchen Anspruch verneint. Betroffene gingen damit endgültig leer aus.

Schadenersatz muss binnen drei Jahren beantragt werden

Geklagt hatten zwei Diesel-Besitzer, die mehrere Jahre vor Bekanntwerden der Manipulationssoftware an Dieseln jeweils einen neuen Volkswagen gekauft hatten. Ihre Klagen auf Rückzahlung des Kaufpreises wurden wegen Verjährung abgewiesen, denn Schadenersatz-Ansprüche müssen binnen drei Jahren geltend gemacht werden.

Die Oberlandesgerichte Koblenz und Oldenburg sahen diese Frist als verstrichen an, weil Kläger und Klägerin schon 2015 oder 2016 hätten wissen können, dass ihr Auto betroffen war.

Tausende Betroffene zu spät vor Gericht gezogen

Tausende sind zu spät vor Gericht gezogen. Viele andere haben gar nichts unternommen und sind deshalb leer ausgegangen.

Im Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzungen steht deshalb seit geraumer Zeit eine spezielle Vorschrift im Bürgerlichen Gesetzbuch, Paragraf 852. Danach kann es auch nach Eintritt der Verjährung noch Ansprüche geben, wenn "der Ersatzpflichtige durch eine unerlaubte Handlung auf Kosten des Verletzten etwas erlangt" hat. Denn niemand soll daraus Profit schlagen, dass er einem anderen Schaden zugefügt hat - nur weil der nicht rechtzeitig klagt.

Gebrauchtwagenkäufer gehen leer aus

Der BGH entschied jetzt zum ersten Mal, dass sich Neuwagen-Käufer im Dieselskandal auf diesen Paragrafen berufen können. Dabei spielt es keine Rolle, ob sie ihr Auto direkt bei VW oder über einen Händler erworben haben. Gleichzeitig bekräftigten die obersten Zivilrichterinnen und -richter die Urteile eines anderen Senats vom 10. Februar, wonach Gebrauchtwagen-Käufer generell leer ausgehen.

Nach Angaben von Volkswagen betrifft die Gerichtsentscheidung rund 3.000 laufende Verfahren. Dabei gebe es allerdings viele unterschiedliche Konstellationen. Nicht alle Punkte ließen sich anhand der zwei Fälle klären, die am Montag vor Gericht verhandelt wurden.

Wie hoch ist der "Restschadensersatz?

Im Mittelpunkt der juristischen Auseinandersetzungen um den VW-Skandalmotor EA189 steht damit nun der sogenannte Restschadenersatz. Unklar ist, wie der berechnet wird, denn unklar ist, was "etwas erlangt" eigentlich bedeutet.

Der Wolfsburger Autobauer vertritt die Auffassung, dass damit nur der reine Gewinn gemeint sein kann, die Herstellungskosten für das Auto also berücksichtigt werden müssten.

Das sieht der BGH allerdings anders. Die Richter lassen keine Abzüge zu, denn VW habe sich "böswillig bereichert". Damit läuft die Berechnung wie beim eigentlichen Schadenersatz: VW muss den Kaufpreis größtenteils zurückerstatten; beim Kauf über einen Händler wird nur dessen Gewinnmarge abgezogen. Dafür muss der Kunde sein Auto hergeben und sich die damit zurückgelegten Kilometer anrechnen lassen.

Gerichte klären Betragshöhe

Wie viel Geld jeweils übrig bleibt, haben die Gerichte im Einzelfall zu bestimmen. In den beiden Musterfällen, die sich der BGH ausgesucht hatte, müssen das nun die Oberlandesgerichte in Koblenz und Oldenburg nachholen. Die Richter dort waren der Ansicht gewesen, dass dem Kläger und der Klägerin generell kein Restschadenersatz zusteht, und hatten sich mit den Einzelheiten deshalb nicht näher befasst.

Offene Fragen

Von der Entscheidung profitieren Käufer von rund 3.000 Neuwagen in ihren laufenden Gerichtsverfahren, wobei momentan auch noch Fragen offen bleiben, denn nicht alle Konstellationen lassen sich gleich auf die beiden BGH-Urteile übertragen: Es gibt unter den Verfahren auch Kunden, die ihr Auto als Reimport, Vorführwagen oder mit Tageszulassung erworben haben. Andere Fälle betreffen Dieselautos der VW-Konzernmarken Skoda und Audi, für die Volkswagen ausschließlich den Motor hergestellt hat.

Klagen auch jetzt noch möglich

Betroffene können aber auch jetzt noch auf Restschadenersatz klagen. Die Frist dafür beträgt zehn Jahre ab Kauf. Damit kommt eine Klage noch für Diesel-Besitzer infrage, die ihr Auto zwischen Februar 2012 und September 2015 erworben haben. Damals kam der Skandal ans Licht.

Rechtsanwalt Claus Goldenstein, dessen Kanzlei zahlreiche Diesel-Verfahren führt, nennt die Entscheidung deshalb ungemein wichtig". "VW droht nun eine neue Klagewelle", teilte er mit.

Allerdings sind vom Abgasskandal betroffene Autos inzwischen mindestens sechseinhalb Jahre alt und dürften in vielen Fällen reichlich Kilometer auf dem Tacho haben. Hier kann es passieren, dass der sogenannte Nutzungsersatz, den Klägerinnen und Kläger an VW zahlen müssen, den ursprünglichen Kaufpreis nahezu auffrisst. Dazu kommt die Frage, ob man sich wirklich von seinem Auto trennen möchte.

VW erklärte: "Es kommt auf den Einzelfall an, ob die Geltendmachung eines solchen Anspruchs für Kunden wirtschaftlich überhaupt sinnvoll ist." Die Anspruchshöhe sei "für die in der Regel älteren und intensiv genutzten Fahrzeuge stark beschränkt".

  • Zum Artikel "Automarkt bricht 2021 europaweit ein"

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