Fahrverbote Österreich Klage EuGh
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Die Fahrverbote gelten immer am Wochenende bis Mitte September.

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Verstoßen die österreichischen Fahrverbote gegen EU-Recht?

Seit vergangenem Wochenende dürfen Autofahrer auf der Durchreise in Österreich nicht mehr auf die Landstraßen ausweichen. Der deutsche Verkehrsminister Scheuer droht nun mit einer Klage. Könnte er damit Erfolg haben? Ein #Faktenfuchs.

Über dieses Thema berichtet: Tagesgespräch am .

Auch an diesem Wochenende gelten sie wieder: Die Fahrverbote auf den österreichischen Landstraßen. Autofahrer dürfen nicht mehr von der Inntal- oder Brennerautobahn abfahren und stattdessen auf der Landstraße durch die umliegenden Dörfer fahren. Viele Urlaubsreisende machen das, um Staus zu umgehen oder sich die Mautgebühr zu sparen. Wie wirksam die Methode aus österreichischer Sicht ist, zeigte schon das vergangene Wochenende: Mehr als 1.000 Autofahrer leitete die Tiroler Polizei von den Landesstraßen bei Innsbruck auf die Autobahn zurück.

Die Fahrverbote gelten von nun an jedes Wochenende bis Mitte September. Für das Wochenende am 6./7.Juli hat die Tiroler Landesregierung angekündigt, die Fahrverbote noch auszuweiten: Auch in den Bezirken Kufstein und Reutte wird es Fahrverbote geben. Solange die Sperrungen in Kraft sind, werden nur noch Anwohner oder Touristen mit einem Ziel in den Dörfern durchgelassen. Zusätzlich hemmt die Tiroler Regierung an Tagen mit besonders viel Verkehrsaufkommen den Lkw-Verkehr: An den Grenzübergängen findet dann eine Blockabfertigung statt. Tirol lässt nur bis zu 300 Lastwagen pro Stunde aus Bayern in Richtung Innsbruck durchfahren, um die eigene Autobahn zu entlasten. Die Folge sind lange Lkw-Schlangen auf der bayerischen Seite.

Scheuer will gegen Fahrverbote und Blockabfertigung klagen

In Deutschland löste der österreichische Vorstoß Unmut aus. Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer kündigte auf einer CSU-Vorstandssitzung am Montag an, Klage gegen die Fahrverbote und die Blockabfertigung einreichen zu wollen. Diese seien "zutiefst diskriminierend". Unterstützung erhielt er umgehend vom bayerischen Ministerpräsidenten Markus Söder (CSU). Der sprach von einem "diskriminierenden und europarechtswidrigen Verhalten von Tirol". Die Reisefreiheit in Europa dürfe nicht eingeschränkt werden. Doch wie aussichtsreich wäre eine solche Klage?

Scheuer: "Klarer Verstoß gegen EU-Recht"

Abschließend beantworten lässt sich das noch nicht. Letztlich kann nur der Europäische Gerichtshof (EuGH) entscheiden, ob eine konkrete Maßnahme gegen europäisches Recht verstößt. Aber: Man kann die verschiedenen Perspektiven schon jetzt auf ihre Plausibilität überprüfen.

Auf Nachfrage des BR erklärte Verkehrsminister Scheuer:

"Die Tirol-Blockade ist eine massive Störung des europäischen Verkehrs und damit ein klarer Verstoß gegen EU-Recht und den freien Warenverkehr. Das sehen im Übrigen nicht nur wir so, sondern vor allem auch die Italiener." Andreas Scheuer, Bundesverkehrsminister (CSU)

Tirol: Maßnahmen "100 Prozent EU-rechtlich gedeckt"

Der Tiroler Landeshauptmann Günther Platter hingegen ist sich sicher: Die Fahrverbote und Kontrollen sind "zu 100 Prozent EU-rechtlich gedeckt". Der österreichischen Nachrichtenagentur APA sagte er: "Wir haben diese Maßnahmen nicht aus Jux und Tollerei verhängt. Es sind vielmehr Notmaßnahmen, um die Verkehrs- und Versorgungssicherheit in unserem Land zu gewährleisten."

Seine Stellvertreterin Ingrid Felipe wehrte sich im BR-Interview gegen den Vorwurf, Österreich diskriminiere mit den Maßnahmen EU-Ausländer: "Wir machen da keine Unterscheidung nach Nationalstaatlichkeit oder Kennzeichen. Deshalb ist der Vorwurf des Nationalismus unberechtigt."

Europarechtler Michl sieht Aussichten skeptisch

Auch der Münchner Europarechtler Walther Michl hält die deutsche Argumentation für wenig überzeugend - egal, ob Verkehrsminister Scheuer auf Diskriminierung oder die Einschränkung des freien Warenverkehrs abzielt. "Eine indirekte Diskriminierung könnte man mit sehr, sehr viel Aufwand argumentieren", so Michel im Tagesgespräch auf Bayern2. Dieses Argument greife nur, wenn sich nachweisen ließe, dass sich die Streckensperrung "weit überwiegend" auf EU-Ausländer auswirke, sagte Michl.

Für den Ausgang des möglichen Verfahrens wäre dadurch noch nichts gewonnen. Österreich muss erklären, warum es zu diesen Maßnahmen greift. Hält das Gericht diese für gerechtfertigt, wäre gegebenenfalls sogar eine indirekte Diskriminierung erlaubt.

Naheliegender wäre vor Gericht aber ohnehin eine andere Strategie, erläuterte Michl: Mit der Einschränkung verschiedener europäischer Grundrechte zu argumentieren. Das könnte einerseits die Reisefreiheit sein, die für alle EU-Bürger garantiert ist, aber eben auch die Warenverkehrs- und Dienstleistungsfreiheit. Um sich gegen diese Beschränkungen zu wehren, könnte Deutschland den Weg eines sogenannten Vertragsverletzungsverfahrens vor dem EuGH einschlagen.

Der Klageprozess

Dieser Weg, den das Verkehrsministerium offenbar plant, könnte lange dauern. Experten gehen von rund zwei Jahren aus. Denn zunächst müsste die Bundesregierung die Klage auf den Weg bringen. Erst danach würde sich die EU-Kommission mit dem Thema befassen. Diese hört den betroffenen Mitgliedsstaat an und gibt schließlich eine Einschätzung ab. Sollten sich die Kommission und Österreich nicht einig werden, könnte die Kommission Klage erheben. Sieht sie dazu keinen Grund, kann Deutschland sich auch direkt an den Europäischen Gerichtshof wenden. Allerdings müsste die Bundesregierung diesen Schritt mehrheitlich beschließen.

Selbst wenn es letzten Endes zu einer Klage kommen sollte, könnte es sein, dass Österreich am Ende Recht bekommt. Da das Land die oben genannten Grundfreiheiten einschränken will, müsste es diese Einschränkungen rechtfertigen – "mit Zahlen, Daten und Fakten", so Europarechtler Michl. Das Land könnte zum Beispiel argumentieren, dass die gesundheitlichen Belastungen für die Dorfbewohner durch den Ausweichverkehr erheblich seien oder dass der Verkehr umweltpolitisch nicht zu rechtfertigen sei.

Beides müsste es mit Messwerten – beispielsweise des Lärmpegels oder der Stickoxide – belegen. Das Gericht würde dann darüber entscheiden, ob die Maßnahme "verhältnismäßig" ist. Da sie auf die Wochenenden und die Sommermonate begrenzt ist, "kann es sehr gut sein, dass sie das ist", so Michl.

Europarechtler Obwexer: "Verkehrsbelastung in den Dörfern belegt"

Auch der Europarechtsexperte Walter Obwexer aus Innsbruck räumt den Österreichern gute Chancen ein, einen solchen Prozess zu gewinnen. Er sagte der österreichischen Nachrichtenagentur APA, Österreich könne einer deutschen Klage "relativ gelassen entgegensehen". Denn Tirol handle ja "nicht willkürlich". Die Verkehrsbelastung in den Dörfern sei durch Daten belegt. Die von den Fahrverboten betroffenen Straßen zu einzelnen Ortschaften seien nie für den Ausweichverkehr ausgelegt worden.

Ähnliche Argumente dürften auch in einem möglichen Rechtsstreit um die Blockabfertigung der Lkw vorgebracht werden. Nur: Hier könnte es eine Rolle spielen, dass Autobahnen für den Individualverkehr mit Pkw freigehalten werden müssen, erklärt Walther Michl. Österreich argumentiert, dass sich durch die Maßnahme Staus auf den Autobahnen vermeiden ließen. Andererseits entstehen durch die Blockabfertigungen lange Staus auf der deutschen Seite der Grenze. Hier müsste das Gericht zwischen freien Warenverkehr einerseits und dem Personenverkehr andererseits abwägen.

Fazit: Bundesverkehrsminister Scheuer und der bayerische Ministerpräsident Söder argumentieren, die österreichischen Fahrverbote verstießen gegen die in Europa geltende Reise- und Warenverkehrsfreiheit und seien diskriminierend. Zwei befragte Europarechtler finden diese Einschätzung nicht überzeugend. Selbst wenn diese Freiheiten tatsächlich beschränkt wären oder die Fahrverbote vor allem EU-Ausländer beträfen, gehen die Experten nicht von einem Erfolg einer Klage aus. Sowohl Fahrverbote, wie auch Blockabfertigung könnten zulässig sein, wenn Tirol die Maßnahmen begründen kann und sie verhältnismäßig sind.

💡 Was steckt hinter dem aktuellen Konflikt?

Der Verkehrsstreit zwischen Deutschland und Österreich ist viele Jahre alt. Das Urteil des EuGH gegen die geplante Pkw-Maut in Deutschland im Juni 2019 ist dabei nur ein Kapitel. Österreich hatte das Verfahren angestrengt. Seit annähernd zehn Jahren streiten die beiden Länder außerdem um den sogenannten Brenner-Basistunnel. Dieser soll helfen, einen Teil des Güterverkehrs in den Alpen von der Straße auf die Schiene zu verlagern. Während in Österreich schon seit 2007 an dem Tunnel gebaut wird, ist in Deutschland noch nicht einmal endgültig beschlossen, ob eine neue Strecke durch das Inntal überhaupt gebaut wird. Bisher hat die Deutsche Bahn nur einen Planungsauftrag. Doch in vielen Gemeinden regt sich Widerstand gegen das Projekt. (Erklärt von Julia Ley, BR24-Verifikation)