Bei den schweren Unruhen im zentralasiatischen Kasachstan sind offiziellen Angaben zufolge 164 Menschen getötet worden. Das berichtete das Staatsfernsehen am Sonntag unter Berufung auf das Gesundheitsministerium. Allein in der Wirtschaftsmetropole Almaty seien 103 Menschen getötet worden. Zudem sind laut offiziellen Angaben mehr als 2.200 Menschen in den vergangenen Tagen verletzt worden. Zuvor hatten die Behörden von insgesamt mehr als 40 Getöteten gesprochen - darunter auch Sicherheitskräfte.
Am Sonntagmorgen teilte das Innenministerium der autoritär geführten Ex-Sowjetrepublik mit, dass über 6.000 Menschen festgenommen worden seien, darunter eine erhebliche Zahl ausländischer Staatsbürger. Details nannte die Regierung dazu nicht. Die Justizbehörden hätten Ermittlungen gegen die Festgenommenen wegen mehrerer Vergehen aufgenommen.
Ministerium schätzt Sachschaden auf 175 Millionen Euro
Den Festgenommenen werde unter anderem Zerstörung von mehr als 100 Einkaufszentren oder Bankgebäuden zur Last gelegt, sagte der amtierende Innenminister Erlan Turgumbajew dem TV-Sender "Chabar 24". Während der Unruhen seien etwa 400 Fahrzeuge zerstört worden, die meisten davon Polizeiwagen. Den Sachschaden schätzte das Ministerium demnach auf umgerechnet rund 175 Millionen Euro.
Lage soll sich "stabilisiert" haben
Inzwischen habe sich "die Lage in allen Teilen des Landes stabilisiert", erklärte Innenminister Jerlan Turgumbajew weiter. Der "Anti-Terror-Einsatz" werde jedoch fortgesetzt, um "die Ordnung im Land wiederherzustellen". Eine Reihe strategischer Einrichtungen stehe unter Bewachung des von Russland geführten Militärbündnisses OVKS, teilte das kasachische Präsidialamt mit. Um welche Einrichtungen es sich handelt, blieb offen.
Die Behörden bemühten sich unterdessen, im Land wieder etwas Normalität herzustellen. Dazu sei etwa die Versorgung auch entlegener Regionen mit Grundnahrungsmitteln gesichert worden, teilte das Handelsministerium am Sonntag nach Angaben der Agentur Tass mit. Auch die Versorgung mit Kraftstoff und Flüssiggas sei angelaufen, hieß es aus dem Energieministerium.
Russisch dominiertes Militärbündnis berät über weiteres Vorgehen
So zeichnete sich auch in Almaty am Sonntag eine leichte Entspannung der Lage ab. Rund 30 Supermärkte öffneten laut Medienberichten wieder. Der Flughafen, der während der Proteste kurzzeitig von Demonstranten besetzt worden war, werde jedoch weiterhin geschlossen bleiben, teilten die Behörden mit.
Das von Russland dominierte Militärbündnis OVKS, das bei den Protesten eingegriffen hatte, kündigte unterdessen an, am kommenden Montag über das weitere Vorgehen zu beraten. Eine Video-Konferenz mit den Mitgliedsländer zu den schweren Ausschreitungen sei geplant, sagte Kremlsprecher Dmitri Peskow der Nachrichtenagentur Interfax zufolge.
Die Organisation des Vertrags über kollektive Sicherheit um Unterstützung, der auch Armenien, Belarus, Kirgistan und Tadschikistan angehören, hatte auf Bitte Kasachstans 2500 Soldaten in die Ex-Sowjetrepublik entsandt.Schießbefehl auf Demonstranten
Schießbefehl des Präsidenten
Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte Polizei und Armee am Freitag angewiesen, "ohne Vorwarnung" auf Demonstranten zu schießen, die er als "Terroristen" und "Banditen" bezeichnete. Befürchtet wurde, dass es viele zivile Todesopfer geben könnte - insbesondere in der von den Ausschreitungen schwer erschütterten Millionenstadt Almaty im Südosten Kasachstans.
- Zum Artikel: "Kasachischer Präsident erteilt Schießbefehl gegen Demonstranten"
Die Proteste in Kasachstan begannen vor einer Woche, als die Regierung die Preise für Autogas drastisch erhöhte. Unmut über gestiegene Treibstoffpreise an den Tankstellen schlug in vielerorts friedliche, aber teils auch gewaltsame Proteste gegen die Staatsführung um.
Russland unterstützt kasachische Regierung
Präsident Kassym-Schomart Tokajew hatte die Verbündeten um Unterstützung gebeten. Allen voran Russland hat Soldaten in sein Nachbarland im Süden geschickt. Die Führung in Moskau reagiert sehr sensibel auf Spannungen und Konflikte in früheren Sowjetrepubliken, die sie weiterhin als ihre Einflussgebiete erachtet. Neben dem ölreichen Kasachstan, das zudem weltweit der größte Uran-Produzent ist, gilt das auch etwa für die Ukraine, Belarus sowie den Konflikt zwischen Armenien und Aserbaidschan.
Die "Neue Zürcher Zeitung am Sonntag" kommentiert Putins Einschreiten: "Dass sich der plötzlich ausgebrochene Protest an krasser Ungleichheit und Vetternwirtschaft in diesem rohstoffreichen Riesenland entzündet hat, interessiert nicht. Ebenso wenig, dass die Verdoppelung der Treibstoffpreise die Not der einfachen Leute verschärft hat." Ohne ein hartes Einschreiten könnten die Kasachen Gefallen an gerechteren Verhältnissen finden und den russischen Einflussbereich verlassen wollen, so der Kommentar. "Für Putin wäre das ein Albtraum. Er befürchtet bereits, die Ukraine zu verlieren, und drängt die USA darauf, die beiderseitigen Einflussgebiete in Europa verbindlich abzustecken."
Russland fordert Nicht-Erweiterung der Nato
Vor Verhandlungen mit den USA an diesem Montag in Genf hat Russland erneut verbindliche Sicherheitsvereinbarungen mit der Nato gefordert. "Wir brauchen Garantien über eine Nicht-Erweiterung der Nato", sagte Vize-Außenminister Sergej Rjabkow am Sonntag der Agentur Interfax. Zu dem Treffen in Genf kommt es vor dem Hintergrund der Ukraine-Krise.
Die USA werfen Russland einen Truppenaufbau in Gebieten an der Grenze zur Ukraine vor. Befürchtet wird, dass russische Soldaten in der Ex-Sowjetrepublik einmarschieren könnten. Russland bestreitet solche Pläne und wehrt sich seinerseits vor allem gegen eine mögliche Aufnahme der Ukraine in die Nato. Am 12. Januar ist zudem eine Sitzung des Nato-Russland-Rates in Brüssel angesetzt - die erste seit zweieinhalb Jahren. Vor bilateralen Verhandlungen haben sowohl die russische als auch die US-Seite die Erwartungen gedämpft.
Papst betet für Menschen in Kasachstan
Papst Franziskus hat sich besorgt über die schweren Unruhen in Kasachstan geäußert. Das katholische Kirchenoberhaupt forderte eine schnellstmögliche Rückkehr zu "sozialer Harmonie". Dies sei nur durch Dialog, Gerechtigkeit und Gemeinwohlorientierung möglich. Franziskus betete für die Toten und bat die Muttergottes um Beistand für das gesamte kasachische Volk.
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