Gepflückte Baumwolle wird in einem Korb auf einen Sammelplatz getragen.
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Kritik an der UN-Ernährungsorganisation wegen einer umstrittenen Firmen-Kooperation.

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UN-Organisation wirbt für umstrittene chinesische Baumwoll-Firma

Die Digitalisierung der Landwirtschaft ist ein zentrales Ziel der UN-Ernährungsorganisation. Deswegen kooperiert sie mit IT-Firmen, auch mit einer chinesischen. Und das, obwohl diese offenbar Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren toleriert.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der Titel der Broschüre klingt zukunftsweisend: "Digitale Landwirtschaft in der Praxis". Repräsentanten von verschiedenen Firmen stellen darin vor, in welchen Bereichen schon jetzt moderne Technologien, Apps und künstliche Intelligenz zum Einsatz kommen. Die UN-Organisationen Food and Agriculture Organization (FAO) und die International Telecommunication Union (ITU) haben die gut 100-seitige Broschüre 2021 veröffentlicht.

Zum Kreis der Autorinnen gehört eine Führungskraft des chinesischen Unternehmens XAG, einem Hersteller von Agrar-Drohnen. Die kommen nach eigenen Angaben inzwischen in mehr als 40 Ländern zum Einsatz. Besonders weit verbreitet seien sie in China bei der Herstellung von Baumwolle. "Die Baumwoll-Zucht hat sich zum größten Markt für Agrar-Drohnen entwickelt", schreibt die Autorin. Sie ergänzt, dass XAG seit 2019 mit einer Firma aus dem "Nordwesten" Chinas beim Aufbau einer beispielhaften "smart farm" kooperiert. Der Partner heißt Lihua Cotton Industry Co. Ltd.

Schätzungen: Eine Million Uiguren in China in Haft

Dass Lihua seinen Sitz in der chinesischen Provinz Xinjiang hat, diese Information fehlt. In Xinjiang im Nordwesten Chinas lebt das mehrheitlich muslimische Turkvolk der Uiguren, das seit Jahren vom Regime in Peking unterdrückt wird. Expertinnen und Experten sprechen von Zwangsarbeit, Umerziehungslagern, Folter und sexualisierter Gewalt.

Schätzungen zufolge befinden sich eine Million Uiguren in Haft. Im Mai vergangenen Jahres haben nationale und internationale Medien, darunter der BR, unter dem Titel "Xinjiang Police Files" erstmals anhand geleakter Dokumente und Fotos über das Ausmaß der Unterdrückung von Uiguren berichtet. Das UN-Hochkommissariat für Menschenrechte bestätigt 2022 "Verbrechen gegen die Menschlichkeit". China bestreitet bis heute eine systematische Unterdrückung von Uiguren in Xinjiang.

Zwangsarbeit und Menschenrechtsverletzungen von Kooperations-Partnern?

Der Text in der FAO/ITU-Broschüre zur digitalen Landwirtschaft verschweigt außerdem, dass sowohl die Firma Lihua als auch deren Mutter-Konzern Zhongtai seit Jahren mit Menschenrechtsverletzungen gegen Uiguren in Verbindung gebracht werden.

Zhongtai ist ein weit verzweigter Staatskonzern mit über 40 Tochtergesellschaften. Im Juni setzte das US-Ministerium für Innere Sicherheit den Konzern Zhongtai auf eine Liste mit Firmen, die nach Erkenntnissen Washingtons mit der Regierung von Xinjiang zur Rekrutierung von Zwangsarbeitern zusammengearbeitet haben. Damit ist ein Importverbot verbunden.

Anthropologe: Kooperation der FAO ist ein "No-Go"

Der Anthropologe Adrian Zenz forscht seit vielen Jahren zur Lage der Uiguren in Xinjiang. Gerade erst hat er eine wissenschaftliche Untersuchung zum Thema Zwangsarbeit in der Baumwoll-Industrie von Xinjiang veröffentlicht. Er kommt darin unter anderem zu dem Schluss, dass eine fortschreitende Automatisierung in diesem Bereich Zwangsarbeit sogar noch befördert. Im Interview mit dem BR sagt er: "Firmen wie Zhongtai, aber auch Lihua sind ganz explizit an diesen Menschenrechtsverletzungen beteiligt." Zenz spricht von einer "aktiven Rolle" der Firmen: "Die Art und Weise, wie dann die Uiguren zu denen transferiert werden: Das ist eine Dimension höher als bei Privatfirmen."

Dass die FAO vor dem Hintergrund der Partner von XAG seit Jahren mit dem Drohnen-Hersteller kooperiert, hält Zenz für höchst problematisch: "Organisationen wie die FAO vertreten Werte der Vereinten Nationen, die ja auf Verbesserung von Menschenrechten zielen. Und deswegen ist es ein absolutes No-Go. Da gibt es auch keine Ausrede, das herunterzuspielen."

Befolgt die FAO eigene Leitlinien nicht?

Das sieht auch Kendyl Salcito so. Sie leitet die US-Menschenrechtsorganisation NomoGaia. Salcito hält es für "alarmierend", dass die FAO mit Partnerschaften dieser Art offenbar ihre eigenen Leitlinien nicht befolgt. Die Organisation hat gemeinsam mit der OECD Leitlinien herausgegeben, an die sich Agrar-Firmen halten sollen, wenn sie Zwangsarbeit in ihrer Lieferkette ausschließen wollen.

Zenz fordert von der FAO, sich von dieser Kooperation zurückzuziehen: "Diesen Organisationen ist mittlerweile seit Jahren bewusst, was in Xinjiang passiert. Und das dann als Modellbeispiel herauszustellen und zu verschweigen, dass es um Xinjiang geht, das ist in mehrfacher Hinsicht sehr, sehr problematisch." Trotz mehrfacher Versuche hat die FAO nicht auf ARD-Anfragen reagiert. Auch die Firmen Lihua und Zhongtai ignorierten E-Mails. Die ITU als Mitherausgeberin der Broschüre teilte dem BR mit, die Veröffentlichung der Texte bedeute nicht, dass die FAO oder die ITU die Firmen unterstützten. Das sei in der Broschüre kenntlich gemacht.

Allerdings arbeitet die FAO auch auf anderen Ebenen mit XAG zusammen. So nahm ein Vertreter des Unternehmens im März 2022 an einem FAO-Webinar zum Thema "smart agriculture" teil. Er präsentierte dort die Produktpalette. Ein Mitschnitt des Webinars ist bis heute auf der FAO-Internetseite abrufbar.

Auch Bayer arbeitet mit XAG zusammen

Auf dem Weg hin zur digitalen Farm ist XAG offenbar auch in Deutschland ein gefragter Partner. So hat der Chemie-Riese Bayer schon vor Jahren eine Kooperations-Vereinbarung mit XAG unterzeichnet – "zur Entwicklung und Vermarktung digitaler Agrartechnologien in Südostasien und Pakistan", so Bayer in seinem Geschäftsbericht 2020.

Ein Unternehmenssprecher teilte der ARD auf Anfrage mit, "Informationen zum Einsatz von XAG-Drohnen im Baumwollanbau bei Lihua liegen uns derzeit nicht vor". Bayer bekenne sich zur Menschenrechtscharta der Vereinten Nationen, so der Sprecher weiter, "um in unserem eigenen Geschäftsbereich und bei unseren Lieferanten ein striktes Verbot von Kinder- und Zwangsarbeit durchzusetzen".

FAO nach Recherchen in der Kritik

Die FAO war vor wenigen Wochen in die Kritik geraten, nachdem BR, MDR, SWR und rbb eine gemeinsame Recherche veröffentlicht hatten, wonach China die UN-Ernährungsorganisation für eigene Zwecke instrumentalisiert. Anfang Juni hatten die FAO-Mitgliedstaaten den seit 2019 amtierenden Generaldirektor, Qu Dongyu, für eine zweite Amtszeit gewählt. Qu war zuvor stellvertretender Landwirtschaftsminister Chinas.

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