Satellitenfoto vom Kernkraftwerk Saporischschja
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Nach Angriff auf AKW in der Ukraine: Experten geben Entwarnung

Der russische Angriff auf das AKW Saporischschja in der Ukraine hat international für Bestürzung gesorgt. Experten geben nun vorsichtig Entwarnung: Sie sehen derzeit keine Hinweise auf einen Austritt von Radioaktivität oder Gefahren für Deutschland.

Über dieses Thema berichtet: radioWelt am .

Nach dem russischen Angriff auf das Gelände der ukrainischen Atomanlage Saporischschja in der Stadt Enerhodar sehen Experten und Behörden derzeit keine unmittelbare Gefahr eines Atomunfalls. Die Internationale Atomenergie-Behörde (IAEA) bestätigte, dass keine Radioaktivität ausgetreten sei. Die Gesellschaft für Anlagen- und Reaktorsicherheit (GRS) erklärte, das Kraftwerk sei zum jetzigen Zeitpunkt "in sicherem Zustand". Auch das Bundesumweltministerium wies darauf hin, dass keine Hinweise auf erhöhte Radioaktivität vorlägen.

Russische Truppen hatten in der Nacht das Kraftwerk angegriffen und mit Panzern und aus der Luft beschossen. Mittlerweile haben die Soldaten das Gelände besetzt, nach ukrainischen Angaben wird das AKW aber weiterhin vom regulären Personal bedient. In Betrieb ist momentan ohnehin nur einer von sechs Reaktorblöcken.

Grossi bietet an, Anlage eigenhändig zu prüfen

Bei dem Angriff in der Nacht traf laut Angaben des Chefs der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA, Rafael Mariano Grossi, ein russisches Geschoss ein Ausbildungsgebäude auf dem Gelände. Der Reaktor von Saporischschja sei nicht betroffen. Ukrainische Einsatzkräfte löschten am Morgen ein Feuer, das im Zuge der Attacke ausbrach. Grossi erklärte, er sei bereit, selbst in die Ukraine zu reisen und die Anlage zu prüfen.

Zwar sei das Gelände laut der ukrainischen Aufsichtsbehörde von russischen Truppen umstellt oder besetzt, sagte auch GRS-Abteilungsleiter Sebastian Stransky. Die Betriebsmannschaften würden jedoch in ihrem regulären Betriebsmodus arbeiten. "Zum jetzigen Zeitpunkt ist das Kraftwerk laut Aufsichtsbehörde in sicherem Zustand und wird entsprechend den Betriebsvorschriften durch die Betriebsmannschaft betrieben", sagte er der Nachrichtenagentur dpa. "Wichtig ist, dass das Betriebspersonal in Ruhe arbeiten kann und regelmäßig im Schichtbetrieb ausgewechselt wird."

Das Trainingszentrum, in dem ein Brand gemeldet worden war, befinde sich auf dem Gelände des Standortes in größerer Entfernung zu den Reaktoranlagen. Außerdem sei in der Nacht auf Freitag auf ein Nebengebäude des Kraftwerkblockes 1 geschossen worden. Es habe einen Treffer abgekommen und sei beschädigt worden, so die GRS. Sicherheitsrelevante Teile seien aber nicht betroffen.

Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA
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Rafael Grossi, Generaldirektor der Internationalen Atomenergiebehörde IAEA

Experten: Keine Gefahr für Deutschland

Der Präsident des Bundesamtes für die Sicherheit der nuklearen Entsorgung, Wolfram König, sieht derzeit keine Gefährdung für Deutschland durch den Brand im ukrainischen Atomkraftwerk Saporischschja. "Die aktuelle Situation zeigt, dass es keine erhöhte Radioaktivität gibt", sagte er im Interview mit der Bayern2-radiowelt im Bayerischen Rundfunk. "Wir müssen uns in Deutschland keine Sorgen machen hinsichtlich der jetzt bekanntgewordenen Situation in der Ukraine."

Selbst bei einem "ganz großen Unfall, der nicht ausgeschlossen werden kann oder eben hier durch den Beschuss einer derartigen Anlage entstehen könnte", ist nach Königs Worten "die Wahrscheinlichkeit, dass wir hier in einem größeren Maß betroffen sind, sehr, sehr gering."

Dieselbe Auffassung vertritt auch Achim Neuhäuser, Pressesprecher des Bundesamtes für Strahlenschutz. Bei einem "radiologischen Notfall" müsse in Deutschland vor allem die landwirtschaftliche Produktion von Lebensmitteln untersucht werden, man müsse dann darüber reden, was man zu sich nehmen können. "Eine darüber hinausgehende Gefahr für die Bevölkerung ist derzeit nicht zu erwarten", sagte Neuhäuser im BR24 Thema des Tages.

Sorgen müsse man sich vor allem um die Menschen in der Ukraine machen, sagte der Präsident des Bundesamtes Wolfram König: "Grundsätzlich ist es so, dass die Anlagen nicht ausgelegt sind, jeglichen militärischen Angriffen auch standzuhalten. Aber sie haben natürlich eine große Schutzwirkung gegen Einflüsse von außen. Wenn sie nicht systematisch, gezielt und nach den Regeln gekühlt und runtergefahren werden können, dann kann es zu kritischen Situationen kommen."

Keine "absolute Sicherheit" bei AKWs auch im Normalbetrieb

In einer solchen Situation sei es generell sicherer, Atomkraftwerke vom Netz zu nehmen. Mit Blick auf die deutsche Diskussion um eine Laufzeitverlängerung der drei noch verbliebenen AKW sagte König: Es könne bei Atomkraftwerke "keine absolute Sicherheit" geben, "schon im Normalbetrieb nicht".

Mögliche Folgen seien "extrem" und gerade zentrale Anlagen könnten wegen ihrer großen Bedeutung für die Versorgungssicherheit "strategische Ziele" sein. Dies mache deutlich, "dass der Weg in die Erneuerbaren die Zukunft beschreibt und nicht das Festhalten an dieser alten Technologie mit dem Erzeugen von hochgiftigen Abfällen".

  • Zum Artikel "Risikofaktor Atomreaktor: Welche Gefahren drohen im Krieg?"

Umweltministerium: Kein Anlass zur Einnahme von Jodtabletten

Das Bundesumweltministerium (BMUV) wies am Freitag ebenfalls darauf hin, dass keine Hinweise auf erhöhte Radioaktivität vorlägen. "Alle radiologischen Messwerte an dem Kraftwerk bewegen sich weiter im normalen Bereich", hieß es in einer Erklärung. Die Lageentwicklung um die ukrainischen Atomanlagen werde aber weiter vom Bundesamt für Strahlenschutz beobachtet.

Sofern es dort "relevante Entwicklungen" gebe, werde das Umweltministerium darüber informieren. "Sollte das BMUV Hinweise haben, dass sich ein radiologischer Notfall mit erheblichen Auswirkungen in der Ukraine ereignet, würde das radiologische Lagezentrum des Bundes im BMUV die Lage bewerten, die Öffentlichkeit informieren und, soweit erforderlich, Verhaltensempfehlungen geben", hieß es weiter.

Das Ministerium erneuerte seine Warnung vor eigenmächtiger, vorsorglicher Selbstmedikation durch Bürgerinnen und Bürger in Deutschland. Diese "birgt erhebliche gesundheitliche Risiken, hat aktuell aber keinerlei Nutzen", hieß es. So gebe es derzeit "keinen Anlass für die Einnahme von Jodtabletten".

Karte: Die militärische Lage in der Ukraine

Professor Stephan Bierling von der Uni Regensburg im BR-Interview.
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Professor Stephan Bierling von der Uni Regensburg im BR-Interview.

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