Mitten in der Corona-Pandemie hofft die türkische Regierung auf viele Touristen aus Deutschland.
Bildrechte: picture alliance / imageBROKER | Belisama

Mitten in der Corona-Pandemie hofft die türkische Regierung auf viele Touristen aus Deutschland.

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Türkei: Hochinzidenzgebiet und schwierige Menschenrechtslage

Mitten in der Corona-Pandemie hofft die türkische Regierung auf viele Touristen aus Deutschland. Experten zweifeln an den Corona-Statistiken. Derweil hält die Justiz im Land zwei deutsche Staatsbürgerinnen wegen Terror-Vorwürfen fest.

Um Touristen ins Land zu locken, lässt sich der türkische Staat viel einfallen. Vergangene Woche stellte das Tourismusministerium ein Video ins Netz, das in der Branche Beschäftigte mit bedruckten Coronamasken zeigt. Darauf stand: "Ich bin geimpft. Genießen sie es." Die Beschäftigten waren empört und kritisierten, sie seien keine abgestempelten Sklaven. Nach wenigen Stunden löschte das Ministerium das Video.

Türkei: Hotelmitarbeitende priorisiert geimpft

Tatsächlich führt der Staat bei Mitarbeitenden von Hotels seit mehreren Wochen eine priorisierte Impfkampagne durch, damit sich Urlauber in der Türkei sicher fühlen. Außerdem wurde scharfe Regeln für Hotels und Beschäftigte eingeführt. Diese müssen überall und immer Maske tragen, während Touristen von der Maskenpflicht befreit sind.

Dennoch sind in diesem Jahr Gäste aus Deutschland bisher zurückhaltend mit Buchungen von Türkeiurlauben. Die Sorge, sich im Urlaub zu infizieren oder der Umstand von PCR-Tests vor Ein- und Ausreise inklusive einer möglichen Quarantäne nach der Rückkehr hält viele davon ab, die verhältnismäßig günstigen Angebote wahrzunehmen.

  • Pfingsturlaub in der Türkei: Das müssen Sie wissen

Die drei Freunde Christofer, Kai-Michael und Maciej sind aus Ratingen bei Düsseldorf an die Ägäis gekommen und überzeugt, es war die richtige Entscheidung trotz vieler Warnungen von Politikern und Experten in Deutschland. Christofer Atmannsperger erklärt, Sorgen um sich selbst habe er sich nicht gemacht. Im Hotel würden Abstände eingehalten, es werde viel desinfiziert, warum sollte man dann nicht kommen.

Solange sich keiner infiziert, ist die Urlaubsidylle perfekt. Falls es jemanden doch mit dem Virus erwischen sollte, halten inzwischen viele Hotels Quarantänezimmer vor. In den meisten Fällen für die Urlauber kostenfrei, bis sie wieder gesund sind.

Zwei deutsche Staatsbürgerinnen werden festgehalten

Zwei deutsche Staatsbürgerinnen, die sich derzeit im ägäischen Badeort Didim aufhalten, würden allerdings lieber heute als morgen die Türkei verlassen.

Wenige hundert Meter vom Strand entfernt haben die deutsch-kurdische Sängerin Hozan Cane und ihre Tochter Gönül Örs eine vorübergehende Bleibe gefunden. Die Kölnerin Cane saß wegen haltloser Terrorvorwürfe zweieinhalb Jahre im Gefängnis. Das Urteil wurde aufgehoben. Jetzt gibt es einen neuen Prozess. Ihre Tochter wollte vor zwei Jahren die Mutter in Haft besuchen. Direkt nach der Einreise in die Türkei erließ ein Richter eine Ausreisesperre, die Vorwürfe sind ähnlich haltlos. Auch gegen sie läuft ein Verfahren. Beide sehen sich als Gefangene des türkischen Präsidenten Erdogan, dürfen das Land nicht verlassen.

"Ich kann sein, wo ich will, momentan in der Türkei. Es wird nicht enden oder mich definitiv nicht glücklich machen, wenn ich nicht zuhause bin. Ich bin hier Geisel, ich werde hier als Geisel festgehalten," sagt Gönül Örs. Ihre Mutter ist aufgrund der langen Haft seelisch angeschlagen. Sie habe ihr Deutsch im Gefängnis verlernt, sagt sie. Ihr größter Wunsch sei es, nach Köln zurückzukehren. "Ich habe Deutschland immer sehr geliebt und mich wie eine Deutsche gefühlt. Ich träume davon, dort den Rest meines Lebens zu verbringen. Die Türkei hingegen versuche ich zu vergessen. So viel Leid haben sie uns zugefügt", sagt Hozan Cane.

Bildrechte: picture alliance/dpa | Linda Say
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Gönül Örs (r) und ihre ebenfalls in der Türkei angeklagte Mutter Hozan Cane (l.) vor einem Gerichtsgebäude.

Mutter und Tochter wünschen sich, der deutsche Außenminister Maas würde sich mehr für ihre Rückkehr nach Deutschland einsetzen. Entsetzt sind sie über den Besuch des türkischen Außenministers Cavusoglu in Berlin Anfang Mai. Maas macht während der Pressekonferenz mit seinem Amtskollegen für eine rasche Normalisierung des Tourismus in der Türkei stark. "Wir wollen, dass im Sommer so viel Urlaub möglich ist, wie eben verantwortbar ist und daran werden wir weiterarbeiten", so Maas.

Gönül Örs sagt dazu, die sollten erst mal die Deutschen nachhause lassen, die hier unfreiwillig sind und dann könnten gerne die Deutschen, die hier Urlaub machen wollen, kommen. Die Prozesse der beiden Frauen wurden in den vergangenen Monaten immer wieder vertagt. Das Verfahren sei politisch motiviert, so die Sängerin Cane. In einem funktionierenden Rechtsstaat wären beide längst von allen Vorwürfen freigesprochen.

Deutsche Touristen kommen trotzdem noch

Viele deutsche Touristen in der Türkei sehen die rechtstaatlichen Probleme und das Agieren des zunehmend autoritär regierenden Präsidenten Erdogan. Auf den Urlaub verzichten wollen sie deshalb nicht. Horst Kluth erklärt im Park eines Hotels in der Nähe der Stadt Kusadasi, dass Erdogan nicht immer das Richtige sage und mache. Da müsste man mal einen Riegel vorschieben, ergänzt er. Aber das sei auch schwer. Und um die Leute hier zu unterstützen, seien er und seine Familie eigentlich auch gerne immer hier.

Zweifel an den offiziellen Corona-Zahlen

Bis vergangenen Sonntag galt in der gesamten Türkei 17 Tage lang ein verschärfter Lockdown. Die Menschen durften nur noch zum Arbeiten und zum Einkaufen von Lebensmitteln vor die Türe. Selbst den Kauf von Alkohol untersagte die islamisch-konservative Regierung vorübergehend. Touristen hingegen durften sich während des gesamten Lockdowns überall in der Türkei frei bewegen und im Hotel Alkohol trinken.

Osman Küçükosmanoğlu, Generalsekretär der regierungsunabhängigen Istanbuler Ärztekammer, bestätigt einen Rückgang der Inzidenz aufgrund des verschärften Lockdowns. Doch die von der Regierung veröffentlichten Zahlen sieht er kritisch. "Wir hatten von Beginn an Zweifel an den vom Gesundheitsministerium veröffentlichten Zahlen", sagt er. "Aber trotz dieser Zweifel sehen auch wir, dass die Zahlen runtergehen. Die Öffnung muss jetzt kontrolliert und schrittweise stattfinden. Während des Lockdowns hätten mehr Impfungen durchgeführt werden müssen, um die Gesellschaft zu immunisieren. Leider ist aber die Zahl der Impfungen zurückgegangen."

Gönül Örs und ihre Mutter Hozan Cane haben bisher keine Impfung bekommen. Cane hatte vor wenigen Wochen Corona. Einen Arzt konnte sie sich nicht leisten. Ab Juni stehen sie wieder vor Gericht. Beide rechnen damit, dass sie hier weiterhin festsitzen, während ihre deutschen Landsleute in der Türkei Urlaub machen.

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!