Verurteilt wegen Volksverhetzung: Der Sänger einer rechtsextremen Band am 15.10.2012 im Amtsgericht Meppen
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Der Sänger einer rechtsextremen Band am 15.10.2012 im Amtsgericht Meppen. Er wurde unter anderem wegen Volksverhetzung verurteilt.

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Straftat Volksverhetzung: Ist Deutschland besonders streng?

Wer zu Hass und Gewalt gegen Minderheiten aufruft, macht sich in Deutschland wegen Volksverhetzung strafbar. Gilt das nur hierzulande und soll damit die Bevölkerung "auf Linie gehalten werden"? Der #Faktenfuchs klärt, warum das nicht so ist.

Im November kursierte ein Video im Netz: Es zeigt, wie dunkelhäutige Männer angeblich in der Münchner Innenstadt randalieren. Ein klassischer Fall von Fake News, denn das Video stammt aus Florenz. Die Münchner Polizei vermutete aber eine fremdenfeindliche Motivation hinter der Verbreitung des Videos und nahm Ermittlungen wegen Volksverhetzung auf. Unter dem Artikel entspann sich eine Diskussion über den §130 des Strafgesetzbuches, der die Volksverhetzung definiert. Ein Nutzer schrieb:

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Behauptungen eines BR24-Nutzers zum Straftatbestand der Volksverhetzung

Stimmt das?

1. Behauptung: "Es gab den Straftatbestand der Volksverhetzung ursprünglich in der Bundesrepublik nicht"

Das stimmt so nicht. Der §130 stand schon im Strafgesetzbuch für das Deutsche Reich von 1871: "Wer in einer den öffentlichen Frieden gefährdenden Weise verschiedene Klassen der Bevölkerung zu Gewaltthätigkeiten gegen einander öffentlich anreizt, wird mit Geldstrafe bis zu zweihundert Thalern oder mit Gefängniß bis zu zwei Jahren bestraft." Dieser Paragraph hatte damals noch keinen offiziellen Namen, wurde aber von Strafrechtlern als "Anreizung zum Klassenkampf" bezeichnet.

Die Bundesrepublik Deutschland übernahm nach dem Zweiten Weltkrieg das Strafgesetzbuch des Deutschen Reiches. Unter dem Eindruck von antisemitischen Briefen an Abgeordnete und einer Welle antisemitischer Schmierereien änderte der Bundestag den §130 StGB 1960 das erste Mal seit 1871: Strafbar machte sich nun, "wer die Menschenwürde anderer dadurch angreift, dass er zum Hass gegen Teile der Bevölkerung aufstachelt, zu Gewalt- oder Willkürmaßnahmen gegen sie auffordert oder sie beschimpft, böswillig verächtlich macht oder verleumdet".

Bei dieser Gelegenheit bekam der §130 auch einen Namen: "Volksverhetzung". Seitdem hat der Gesetzgeber den Tatbestand der Volksverhetzung als Reaktion auf fortgesetzte antisemitische und ausländerfeindliche Umtriebe mehrmals erweitert und verschärft:

  • 1994 nahm der Bundestag die Leugnung des Holocausts in einem eigenen Absatz auf - wobei dieses Vergehen vorher auch schon im Zusammenhang mit anderen Paragraphen des StGB strafbar war.
  • Seit 2005 steht auch die "Verherrlichung oder Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft" unter Strafe.
  • 2011 präzisierte der Bundestag den Personenkreis, gegen die sich die Anfeindungen richten: Seitdem sind "nationale, rassische, religiöse oder durch ihre ethnische Herkunft bestimmte Gruppen bzw. Einzelne, die zu diesen Gruppen gehören" explizit genannt.

2. Behauptung: "Der Straftatbestand der Volksverhetzung ist ein politischer Straftatbestand"

Den Begriff "politischer Straftatbestand" gibt es so nicht. Die deutschen Strafverfolgungsbehörden sprechen von "politisch motivierter Kriminalität". Dazu zählen Straftaten, die den deutschen Staat als solchen angreifen.

Zu diesen sogenannten Staatsschutzdelikten zählen zum Beispiel Hochverrat oder Terrorismusfinanzierung. Zum anderen aber auch die sogenannte Hass-Kriminalität, also Straftaten, die "sich gegen eine Person wegen ihrer politischen Einstellung, Nationalität, Volkszugehörigkeit, Rasse, Hautfarbe, Religion, Weltanschauung, Herkunft oder aufgrund ihres äußeren Erscheinungsbildes, ihrer Behinderung, ihrer sexuellen Orientierung oder ihres gesellschaftlichen Status richten", wie es beim Bundesinnenministerium heißt. Auch Volksverhetzung zählt zur "politisch motivierten Kriminalität".

3. Behauptung: "Der Straftatbestand der Volksverhetzung wird politisch angewendet"

In Deutschland gilt die Gewaltenteilung. "Die legislative (gesetzgebende), die exekutive (vollziehende) und die judikative (Recht sprechende) Gewalt sollen sich gegenseitig kontrollieren und staatliche Macht begrenzen", heißt es auf der Seite des Bundestages.

Jochen Bung, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht und Rechtsphilosophie an der Universität Hamburg geht nicht davon aus, dass Gerichte den §130 StGB anwenden, "um die Bevölkerung gefügig zu machen". Dass mit der Anwendung des Volksverhetzungs-Paragraphen bestimmten Meinungen der Boden der Öffentlichkeit entzogen werden solle, folge logisch aus der Norm selbst, die genau dies bezwecke, sagte Bung zu BR24. Das habe auch eine historische Plausibilität, sagte Bung mit Blick auf die NS-Zeit. "Darüber kann man streiten oder versuchen, eine Mehrheit zur Abschaffung der Vorschrift zu organisieren, entscheidend ist aber, dass die Vorschrift Ergebnis eines demokratischen Prozesses und als solche zu respektieren ist."

4. Behauptung: "Die meisten demokratischen Länder haben keine vergleichbaren Straftatbestände"

Das ist falsch. 2008 hat die EU einen Rahmenbeschluss zur strafrechtlichen Bekämpfung von Rassismus und Fremdenfeindlichkeit verabschiedet, den die Mitgliedstaaten in nationales Recht umsetzen müssen. Die 2011 erfolgte Änderung des §130 StGB ist ein Beispiel dafür. Einige europäische Länder hatten sinngemäße Tatbestände schon zuvor in ihren Strafgesetzbüchern, etwa Österreich ("Verhetzung", § 283 Strafgesetzbuch), die Schweiz ("Rassendiskriminierung", §261 des Schweizerischen Strafgesetzbuchs) oder Frankreich ("Anstiftung zum Rassenhass", Code pénal - Artikel R625-7).

In einigen europäischen Ländern ist das Leugnen des Holocausts ein Straftatbestand, aber auch in Israel, Australien, Neuseeland und Kanada. Manche Länder wie Ungarn, Litauen, Lettland und die Schweiz stellen des Leugnen von Völkermord generell unter Strafe.

Richtig ist, dass das US-amerikanische Strafrecht die Volksverhetzung nicht kennt und dort auch das Leugnen des Holocausts nicht strafbar ist. "In den USA wird die Meinungsfreiheit umfassend gewährleistet, dort ist keine Meinung verboten, auch nicht die, dass es den Holocaust gar nicht gegeben haben soll", erklärte Christoph Safferling, Inhaber des Lehrstuhls für Strafrecht, Strafprozessrecht, Internationales Strafrecht und Völkerrecht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg im Gespräch mit BR24. Strafbar sind allerdings so genannte "Hate Crimes", also Verbrechen, die durch den Hass auf Hautfarbe, Religion, Herkunft, Geschlecht, sexuelle Orientierung oder Behinderung bestimmter Personen motiviert sind.

Fazit:

Den Straftatbestand der Volksverhetzung gibt es in Deutschland schon seit 1871. Damals stellte er die Aufstachelung zum Klassenkampf unter Strafe. Unter dem Eindruck der NS-Herrschaft hat der Bundestag den entsprechende Paragraph 130 des Strafgesetzbuches 1960 umformuliert. Seitdem ist §130 StGB mehrmals erweitert und verschärft worden; so steht zum Beispiel die Leugnung des Holocausts explizit unter Strafe. Auch viele andere demokratische Länder, vor allem EU-Mitgliedsstaaten, haben ähnliche Straftatbestände.

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