Türkei, Antakya: Rettungskräfte bergen einen syrischen Migranten aus den Trümmern eines zerstörten Gebäudes. Eine Woche nach der Erdbeben-Katastrophe in der Türkei und Syrien steigt die Zahl der Toten weiter.
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Türkei, Antakya: Rettungskräfte bergen einen syrischen Migranten aus den Trümmern eines zerstörten Gebäudes.

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Eine Woche nach Beben: Zahl der Toten steigt auf mehr als 37.500

Sieben Tage nach den Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet gleicht es einem Wunder, dass noch vereinzelt Menschen gerettet werden. Die Zahl der bestätigten Toten liegt inzwischen bei über 37.500. Deutsche Hilfsteams beenden nun ihren Einsatz.

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Eine Woche nach dem verheerenden Erdbeben im türkisch-syrischen Grenzgebiet rechnen die Rettungskräfte kaum noch mit Überlebenden. Die Zahl der bestätigten Todesopfer ist auf über 37.500 gestiegen. Dennoch werden noch vereinzelt Verschüttete lebend geborgen.

  • Spenden: Hilfe für die Menschen in der Türkei und in Syrien

Rund 175 Stunden unter Trümmern

In der Provinz Hatay sei am Montagmorgen eine Frau lebend aus den Trümmern gezogen worden, berichtete die Tageszeitung "Hürriyet" - eine weitere Person nach 176 Stunden. Auch aus der Provinz Gaziantep gab es gute Nachrichten: Die Retter holten eine 40-Jährige am Montagmorgen nach 170 Stunden lebend aus der Ruine eines fünfstöckigen Hauses hervor, wie der Staatssender TRT berichtete. In der Stadt Besni in der Provinz Adiyaman wurde eine 60-jährige Frau von Rettungsteams Manisa aus den Trümmern gezogen. "Wir haben die Nachricht von einem Wunder aus Besni erhalten, das dazu beigetragen hat, das Feuer, das in unseren Herzen wütet, ein wenig einzudämmen", schrieb der Bürgermeister der Stadt, Cengiz Ergün, auf Twitter.

Auch wenn die Überlebenschancen mit jeder Stunde sinken, geben die Einsatzkräfte die Hoffnung nicht auf. So arbeiten auch in der Provinz Kahramanmaras Helfer fieberhaft weiter. Dort wird eine Mutter mit ihrer Tochter und einem Säugling noch lebend unter den Trümmern vermutet. Suchhunde hätten angeschlagen, berichtete der Sender CNN Türk.

Zahl der bestätigten Todesopfer steigt auf mehr als 37.500

Am frühen Montagmorgen vor einer Woche hatte das erste Beben der Stärke 7,7 um 2.17 Uhr die Region erschüttert, Stunden später folgte ein zweites schweres Beben der Stärke 7,6. Die Zahl der bestätigten Toten liegt inzwischen bei mehr als 37.500.

Alleine in der Türkei wurden mittlerweile mehr als 31.643 Tote bestätigt, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu am Montag unter Berufung auf die Katastrophenschutzbehörde Afad. Mehr als 80.000 Menschen wurden demnach verletzt. Nach Angaben der Weltgesundheitsorganisation WHO beträgt die Opferzahl in Syrien mindestens 5.900.

Der UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths rechnet damit, dass die Zahl der Toten auf bis zu 50.000 steigen könnte. Tausende Menschen werden noch vermisst.

Deutsche Hilfsteams beenden ihren Einsatz in der Türkei

Auch mehrere deutsche Hilfsorganisationen waren in dem türkischen Erdbebengebiet im Einsatz. Das 50-köpfige Team des Technischen Hilfswerks (THW) fliegt heute zurück nach Deutschland. Die Helfer der "Schnell-Einsatz-Einheit Bergung Ausland" (Seeba) waren in der Nacht zum Mittwoch in das Katastrophengebiet geflogen. Weitere Einsätze des THW in der Türkei, bei denen es dann um "andere technische Fähigkeiten geht", seien nicht ausgeschlossen.

Das gemeinsame Team von Isar Germany und der Rettungshunde-Organisation BRH wird ebenfalls heute zurückkehren. Die Einsatzkräfte der Hilfsorganisation @fire flogen bereits am Sonntag nach Deutschland zurück.

"Hinter unserem Team liegt der bislang umfangreichste Auslandseinsatz in der Geschichte der Organisationen", erklärte BRH-Präsident Jürgen Schart. Der Geschäftsführer von ISAR Germany, Michael Lesmeister, lobte die Einsatzkräfte für ihre "großartige Arbeit". Die Helfer hätten "teilweise bis an den Rand der Erschöpfung gearbeitet, um Menschen zu retten". Beide Organisationen kündigten an, ihr Engagement für die Menschen in der Erdbebenregion fortzusetzen.

UNO beklagt internationales Versagen bei Hilfe für Opfer in Syrien

Bezüglich der Lieferung von Hilfsgütern in die betroffenen Gebiete in Syrien spricht die UNO von "internationalem Versagen". Die Betroffenen fühlten sich "zurecht" alleine gelassen, schrieb UN-Nothilfekoordinator Martin Griffiths am Sonntag im Kurzbotschaftendienst Twitter. "Wir haben die Menschen im Nordwesten Syriens bisher im Stich gelassen", schrieb Griffiths weiter. Es sei seine Pflicht, dies schnellstmöglich zu verbessern.

Die ohnehin schwierige Lage für Rettungskräfte und Hilfslieferungen im Erdbebengebiet wird in Syrien zusätzlich durch die politisch heikle Situation erschwert. Das Katastrophengebiet ist dort in von Damaskus kontrollierte Gebiete und Territorien unter der Kontrolle regierungsfeindlicher und überwiegend islamistischer Milizen geteilt.

Hilfsorganisation warnt Syrer vor Rückkehr in zerstörte Häuser

Die Hilfsorganisation SAMS warnte in Syrien angesichts zu weniger Notunterkünfte in der Erdbebenregion vor den katastrophalen Konsequenzen für die Bevölkerung. Am Montag mahnte sie die Menschen im Land eindringlich dazu, nicht in ihre zerstörten Häuser zurückzukehren.

Das Beispiel einer Familie aus der von den Beben schwer getroffenen Kleinstadt Dschindiris, die laut SAMS zwei Mal gerettet werden musste, zeige die Gefahr. Eine schwangere Frau sei zunächst wenige Stunden nach den Erdstößen unter ihrem halb eingestürzten Haus mit leichten Verletzungen herausgezogen worden, berichtete die in den Rebellen-Gebieten aktive Hilfsorganisation. Nach der Geburt ihres Kindes seien sie und ihr Mann zurück in das halb zerstörte Haus gezogen.

Während eines Nachbebens stürzte das Zuhause der Familie den Angaben nach schließlich vollständig ein. Die Frau sei schwer verletzt ins Krankenhaus gebracht worden. Auch das Baby befinde sich in einem kritischen Zustand. Ob auch der Mann verletzt wurde, war zunächst unklar.

EU verspricht weitere Hilfe - Deutschland will Visa-Vergabe vereinfachen

EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen sagte dem türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan am Sonntag in einem Telefonat die Lieferung von weiteren Zelten, Decken und Heizvorrichtungen zu. Über das sogenannte EU-Katastrophenschutzverfahren wurden der Türkei nach Angaben vom Sonntag schon jetzt 38 Rettungsteams mit 1.651 Helfern und 106 Suchhunden angeboten. Zudem hätten zwölf EU-Staaten bereits 50.000 winterfeste Familienzelte, 100.000 Decken und 50.000 Heizgeräte zur Verfügung gestellt. Hinzu kämen 500 Notunterkünfte, 8.000 Betten und 2.000 Zelte, welche die Kommission mobilisiert habe.

Die Bundesregierung kündigte an, die Visa-Vergabe über ein unbürokratisches Verfahren zu vereinfachen, damit Betroffene zeitweilig bei Angehörigen in Deutschland unterkommen können. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Baden-Württemberg, Gökay Sofuoglu, rief die Behörden im RND dazu auf, bei der Visa-Vergabe tatsächlich schnelle Entscheidungen zu treffen. "Es wird für alle ein Aufwand sein, aber in dieser schwierigen Lage sollten die Behörden sowohl in Deutschland, aber auch in der Türkei alles daran setzen, dass diese Menschen reisen können."

Sorge vor eskalierender Gewalt im Erdbebengebiet

Der Vorsitzende der Kurdischen Gemeinde, Ali Ertan Toprak, warnte indes vor eskalierender Gewalt in der Erdbebenregion. "Es macht mir zunehmend Sorgen, dass die Menschen aufeinander losgehen", sagte er dem Redaktionsnetzwerk Deutschland (RND). "Viele Ortschaften haben bis heute keine Hilfe erhalten. Deshalb ist die Wut so groß."

Die Menschen fragen sich auch, weshalb so viele Gebäude einstürzen konnten. Erste Haftbefehle wurden erlassen. Die Beschuldigten sollen für Baumängel verantwortlich sein, die den Einsturz der Gebäude begünstigt hätten, meldete die staatliche Nachrichtenagentur Anadolu unter Berufung auf Strafverfolger. Experten kritisieren, dass Bauvorschriften für mehr Schutz vor Beben nicht umgesetzt werden.

"Die Türkei hat auf dem Papier eine der besten Baunormen der Welt. Wenn es um die Umsetzung geht, sind wir die Schlechtesten", sagte Städtebauexperte Orhan Sarialtun von der Ingenieur- und Architektenkammer der Deutschen Presse-Agentur. Die meisten beschädigten Gebäude in den betroffenen Provinzen wiesen dieselben Mängel an Stahl- und Eisenstangen auf. Beton minderer Qualität sei verwendet worden und bei Bodenuntersuchungen habe es Fehlberechnungen gegeben, sagte Sarialtun. Die Opposition macht die Regierung für den Pfusch am Bau verantwortlich.

  • Zum Artikel: "Erdbeben-Katastrophe: Welche Hilfe jetzt sinnvoll ist"

Mit Informationen von dpa, AFP und Reuters

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