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Mesale Tolu

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Prozess gegen Mesale Tolu beginnt: ihre Familie in Neu-Ulm bangt

Der Vater und die Anwältin - sie sind Fixpunkte im Leben der in der Türkei inhaftierten deutschen Journalistin Mesale Tolu. Vor dem Beginn des Prozesses gegen Tolu morgen geben sie Einblicke in ein seltsames Terror-Verfahren. Von Andreas Herz

Das Gespräch mit Mesale Tolus Vater dauert schon eine Weile, da beginnt man sich zu fragen, ob man wirklich mit dem Mann spricht, dessen Tochter womöglich schon am Mittwoch zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wird. Vor einem sitzt die personifizierte Zuversicht: Mesale gehe es gut, sie sei gut auf den Prozess vorbereitet und überhaupt werde es einen Freispruch geben.

Schlaflos in Neu-Ulm

Vielleicht ist es der Mut-Mach-Modus, aus dem Ali Riza Tolu nicht mehr herauskommt. Immer wieder hat er seine Tochter nach ihrer nächtlichen Verhaftung durch ein Spezialkommando im Frauengefängnis besucht. Zuletzt hat er ihren zweijährigen Sohn, der mit Mesale im Gefängnis lebt, zu dessen ebenfalls inhaftierten Vater mitgenommen.

Erst im alten Zimmer von Mesale bröckelt die Fassade: "Es geht mir nicht gut, wenn ich nicht bei ihr in der Türkei bin. Hier in Deutschland fühle ich mich hilflos, als wären mir die Hände gebunden." In Gedanken ist er schon längst vor Gericht. Seit Wochen hat er Schlafstörungen:

"Mesale ist eine Geisel. Warum sonst hält man sie ohne Beweise gefangen?" Ai Riza Tolu

Die Beweise: Eine Zeitschrift und ein Grab-Besuch

Das fragt sich auch Kader Tonc, Mesale Tolus Anwältin. Auch sie ist aus Istanbul zur letzten Mahnwache in Ulm eingeflogen. Terrorpropaganda und Mitgliedschaft in einer Terrorvereinigung - gemeint sein kann nur die linksextreme Partei MLKP -, lautet der Vorwurf gegen ihre Mandatin.

"Mesale wird vorgeworfen, bei der Beerdigung kommunistischer Aktivistinnen gewesen zu sein. Aber sie ist Journalistin. Was sie gemacht hat, ist durch die Pressefreiheit gedeckt. Sie hat dort keine Plakate gehalten oder so etwas", stellt Tonc klar.

"Als man in ihrer Wohnung durchwühlt hat, hat man angeblich Waffen gesucht. Man hat dann eine Zeitschrift irgendeiner Druckerei aus der Zeit des Referendums gefunden. Darauf steht 'Nein zum Diktator'. Das ist nun ein Beweisstück." Kader Tonc

Eine Zeitschrift und Besuche am Grab - dafür also drohen Mesale Tolu bis zu 15 Jahre Haft. Von einem Rechtsstaat könne man da nicht mehr reden, sagt die Anwältin. Auch sie hat Angst vor der Regierung Erdogan. Trotzdem will sie Mesale weiter verteidigen.

Ein Vater, der Leid gewöhnt ist

Ihr Vater hat noch weitere Anwälte engagiert - die Spenden, die bei den Mahnwachen eingenommen wurden, werden dafür aber nicht ausreichen. Im Zweifel werde er wieder arbeiten gehen, sagt Ali Riza Tolu - auch wenn er seit zehn Jahren in Rente ist.

Ali Riza Tolu ist Leid gewöhnt. Seine Frau starb bei einem Unfall. Vor Jahren wollte sich eine Cousine in türkischer Haft zu Tode hungern, nachdem sie bei einer Demonstration verhaftet worden war. Bis heute kann sie kaum laufen. Ein ähnliches Schicksal will er seiner Tochter mit aller Macht ersparen:

"Ich werde sie nicht alleine lassen, ich werde bei ihr in der Türkei bleiben, wenn sie eine langjährige Haftstrafe erhält. Ich bin zu allem bereit." Ali Riza Tolu

Man sitzt nun einem Mann gegenüber, dem man sofort glaubt, dass seine Tochter womöglich schon heute zu einer langjährigen Haftstrafe verurteilt wird.