Ein Zehnjähriger, der auf einer Mülldeponie arbeitet, zeigt seine schmutzigen Hände.
Bildrechte: picture alliance/dpa | Vijay Pandey

Auch Kinder sind von moderner Sklaverei betroffen. (Symbolbild)

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Moderne Sklaverei: Welche Rolle der Westen spielt

50 Millionen Menschen leben in moderner Sklaverei. Das zeigt eine neue Studie, in der auch die Rolle des globalen Nordens hinterfragt wird - Konsum ist ein Stichwort: Denn die Nachfrage unterstützt Zwangsarbeit bei der Produktion bestimmter Güter.

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"Sie ist in unsere Kleidung eingewoben, beleuchtet unsere Elektronik und würzt unser Essen", erklärt Grace Forrest, Gründungsdirektorin der Organisation Walk Free. Kurz: "Die moderne Sklaverei durchdringt jeden Aspekt unserer Gesellschaft."

Der neue Global Slavery Index der Menschenrechtsorganisation Walk Free zeigt: Die Zahl der weltweit in Sklaverei-ähnlichen Verhältnissen lebenden Menschen ist in den vergangenen Jahren massiv gestiegen. Schätzungsweise 50 Millionen Menschen seien betroffen, zehn Millionen mehr als vor fünf Jahren, teilte die Organisation Walk Free mit. Globale Krisen wie der Klimawandel sowie bewaffnete Konflikte tragen demnach zu dieser Entwicklung bei - aber auch die Nachfrage nach Gütern, die in Verbindung mit Zwangsarbeit stehen.

Systematischer "Entzug der Freiheit": Wie viele Kinder sind betroffen?

Walk Free definiert den Begriff der modernen Sklaverei als "systematischen Entzug der Freiheit eines Menschen". Dazu gehören unter anderem Menschen- und Kinderhandel sowie erzwungene Arbeit und sexuelle Ausbeutung. Bei den Opfern moderner Sklaverei handelt es sich nach dem Bericht um knapp 28 Millionen Zwangsarbeiter und rund 22 Millionen in einer Zwangsehe lebenden Menschen. Etwas mehr als die Hälfte der weltweit Betroffenen seien Frauen und Mädchen, ein Viertel Kinder.

Besonders in der Gefahr, ausgebeutet zu werden, sind dem Bericht zufolge Menschen, die wegen Klimawandel, Konflikten und intensiver Wetterereignisse ihre Heimat verlassen müssen. Auch eine weltweite Einschränkung der Frauenrechte, sowie wirtschaftliche und soziale Auswirkungen der Corona-Pandemie verschärfen demnach die Situation. "Immer heftigere Wetterereignisse führen zur Vertreibung von Gemeinschaften und erhöhen das Risiko moderner Sklaverei", stellt Walk Free fest.

Negativliste: In diesen Ländern gibt es besonders viele Betroffene

Nordkorea weist der Studie zufolge die höchste Quote moderner Sklaverei im Verhältnis zur Bevölkerungsgröße auf. Von 1.000 Menschen lebten dort im Schnitt 104 in solchen Verhältnissen. Eritrea, wo im Schnitt rund 90 von 1.000 Menschen betroffen sind, liegt in der Negativliste auf Platz zwei. Danach folgen Mauretanien, Saudi-Arabien, Türkei, Tadschikistan, die Vereinigten Arabischen Emirate, Russland, Afghanistan und Kuwait.

In den genannten Ländern gibt es laut Free Walk nur einen "begrenzten Schutz von Bürger- und Menschenrechten". In einigen dieser Staaten herrschten zudem Konflikte, politische Instabilität oder ein großer Zulauf an "verletzlichen Menschen" wie Flüchtlingen oder Migranten.

Das Problem betrifft demnach auch reichere Staate, die zu den wichtigsten Industrie- und Schwellenländern der G20 gehören. Allein in Indien wird dem Bericht zufolge von einer Zahl von 11 Millionen ausgegangen; 5 Millionen sind es demnach in China, 1,8 Millionen in Russland, 1,3 Millionen in der Türkei und 1,1 Millionen in den Vereinigten Staaten.

Nachfrage nach gewissen Gütern lässt Opferzahl ansteigen

Kritisch sehen die Menschenrechtler aber auch den Import von Gütern, die häufig in Verhältnissen hergestellt werden, die auf Zwang oder Abhängigkeit basieren. Sogenannte Risikoprodukte werden demnach jedes Jahr im Wert von 468 Milliarden US-Dollar (umgerechnet etwa 434 Milliarden Euro) in die G20-Staaten importiert.

Dazu gehören unter anderem Elektronik, Bekleidung, Solarzellen und Palmöl. Die G20 müssten sich daher über ihre Lieferketten indirekt die Hälfte aller Opfer moderner Sklaverei zurechnen lassen, glauben die Menschenrechtler. "Die Vereinigten Staaten waren mit Abstand der größte Importeur von Risikoprodukten", erklärte Walk Free.

Nicht genug: Aktivisten fordern mehr als das Lieferkettengesetz

Die Aktivisten fordern entschiedeneres regulatorisches Eingreifen in Lieferketten, um Ausbeutung zu verhindern. "In den letzten Jahren haben Australien, Kanada, Deutschland und Norwegen Gesetze erlassen, um Unternehmen und Regierungen für die Ausbeutung in globalen Lieferketten zur Verantwortung zu ziehen." Dies gehe in die richtige Richtung, sei aber bei weitem nicht genug. Seit Anfang dieses Jahres gibt es in Deutschland ein Lieferkettengesetz. Es verpflichtet Unternehmen, auf Produkte etwa aus Kinderarbeit zu verzichten. Die EU plant ähnliche Vorgaben.

Daneben fordern die Menschrechtler von Regierungen auch die Bekämpfung moderner Sklaverei stärker in den Bereichen humanitäre Hilfe und beim Aufbau einer grünen Wirtschaft einzubeziehen. Bei der Zusammenarbeit mit repressiven Regimen müsse darauf geachtet werden, dass Handel, Geschäfte und Investitionen nicht zu staatlich verordneter Zwangsarbeit beitragen oder davon profitieren. Zudem müssten Kinder, insbesondere Mädchen, besser durch das Ermöglichen von Schulbildung und das Verhindern von Zwangsehen geschützt werden.

Mit Informationen von AFP und dpa

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