Vielleicht sollte man angesichts eines so düsteren Gegenwartsszenarios, wie es der Kameruner Historiker und Philosoph Achille Mbembe in seinem neuen Essay "Politik der Feindschaft" zeichnet, mit dem positiven, fast heiteren Ende des Buches anfangen. Am Ende nämlich steht der Passant – ein Mensch, der durch die Welt wandert und die Heimat in seinem Herzen trägt. Nicht als Wirtschaftsflüchtling, nicht als Globalisierungsopfer, nicht als Kriegsvertriebener, nicht als Bittsteller. Sondern hoch erhobenen Hauptes und in selbstbestimmter Freiheit – ohne dass Grenzen ihn vom Wandern abhielten.
Zeitgeist des Nanorassismus
Diese Vision erscheint allerdings nur in einem fahlen Licht am Horizont einer mitleidlosen, gewinnorientierten, zunehmend autoritär regierten Welt, die Mbembe in dunklen Farben malt.
"In dieser von Profitgier beherrschten Zeit begünstigt die Mischung aus Lüsternheit, Brutalität und Sinnlichkeit die Aufnahme des Rassismus durch die 'Gesellschaft des Spektakels' und seine Molekularisierung durch die Dispositive des heutigen Konsums. Ein ausgelassener, fideler, ganz und gar idiotischer Nanorassismus, der sich vergnügt in seiner Ignoranz ergeht und das Recht auf Dummheit und die ihr zugrunde liegende Gewalt beansprucht – das also ist der Zeitgeist."
Was so apokalyptisch klingt, ist für den Historiker Mbembe unter anderem das Erbe des Kolonialismus. Mbembe spinnt den Faden weiter, den er in seinen beiden früheren Büchern geknüpft hat: Ausgehend von der Geschichte der Sklaverei und der Kolonialisierung ist er über das NS-Regime und die Politik der Apartheid nun in der Gegenwart angekommen.
Moderne Sklaverei
Interessant ist Mbembes Deutung der Sklaverei. Der innere Frieden im Westen basierte in der Vergangenheit auf der Gewalt in der Ferne. Kolonialismus und Sklaverei bildeten den bitteren Bodensatz der Demokratie. Hass und Gewalt richteten sich gegen "den Anderen" – oder vielmehr gegen eine Projektion. Gegen den Schwarzen, den Juden, den Araber. Davon ausgehend macht Mbembe den entscheidenden Schritt in die Gegenwart: Die Angst vor dem Anderen – aber auch Gewalt und Hass – haben sich verlagert, aus der Kolonie mitten hinein in unsere westlichen Demokratien. Die Angst geht einher mit Terror und Gegenterror, mit Ausnahmegesetzen, der Einschränkung von Rechten und Rassismus. Die Forderung nach Zäunen, Grenzen, schärferen Gesetzen und Überwachung ist Ausdruck dieser "Gesellschaft der Feindschaft".
Ein aufrüttelndes Buch
Mbembe warnt: All diese Maßnahmen gefährdeten die Werte der Demokratie, sie führten zu Trennung und Hass. Er schreibt nicht als distanzierter Wissenschaftler, sondern als engagierter Bürger, der sich um seine Welt größte Sorgen macht. "Politik der Feindschaft" ist ein aufrüttelndes, wichtiges Buch. Gerade in einer aus den Fugen geratenen Zeit, die ihre eigenen Werte der Zivilisation und der Menschlichkeit aufs Spiel setzt.