Ingo Lierheimer, Leiter der Redaktion Politik und Hintergrund
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Kommentar: Regieren statt reagieren

Kommentar: Regieren statt reagieren

Die neue Bundesregierung ist im Amt. Ihre erste Messlatte ist die Pandemiebewältigung. Daneben aber muss sie vor allem regieren statt reagieren. Zu viele Reformen sind unter Merkel liegen geblieben, kommentiert Ingo Lierheimer.

Deutschland hat nicht nur eine neue Regierung, sondern eine andere. Das gilt, auch wenn es zwischen alter und neuer eine Verbindung in Form der SPD gibt. Die stellt aber jetzt den Kanzler und gefällt sich in der Rolle des primus inter pares. Womit wir schon bei den Veränderungen wären: Die erste Ampelkoalition auf Bundesebene basiert nicht auf dem Prinzip Koch und Kellner. Die vermeintlichen Juniorpartner sind erwachsene, gleichberechtigte Mitstreiter.

Neuer Ton – kein Zweckbündnis

Grüne und FDP haben in den letzten Wochen den Ton gesetzt. Sich mit der SPD zusammengefunden zu einem Projekt, nicht zu einem Zweckbündnis.

"Mehr Fortschritt" wagen lautet die Überschrift des Koalitionsvertrags in Anlehnung an den ersten sozialdemokratischen Bundeskanzler, Willy Brandt und seinen Spruch "Mehr Demokratie wagen". Der Vertrag heute ist dreimal so lang wie der des rot-grünen Projekts 1998. Damals sind Koch und Kellner, sind Schröder und Fischer voller Emotionen gestartet und ganz schnell ins Stolpern gekommen. Weil nicht von vorneherein klar war, was die Regierung genau will. Das ist jetzt anders. Die Ampelparteien haben nicht nur eine gemeinsame Idee gerade in gesellschaftspolitischer Hinsicht entwickelt, sondern ziemlich viele konkrete Maßnahmen vereinbart – beim Klimaschutz, bei der Sozialgesetzgebung, bei der Digitalisierung.

Enormer Erwartungsdruck

Die hohe Zustimmung aus allen drei Parteien für den Koalitionsvertrag zeigt den Vorschuss, den das Bündnis bekommen hat. Der – und das wird der schwerste Part – muss jetzt zurückgezahlt werden. Der Erwartungsdruck ist enorm, vielleicht so hoch wie noch nie zuvor. Was auch daran liegt, dass in den letzten Jahren viel liegen geblieben ist. Die Klimaschutzpolitik verdiente meist nicht einmal das Attribut halbherzig, die Digitalisierung ist auf dem Niveau, dass Gesundheitsämter in der Pandemie ihre Infektionszahlen faxen mussten und gesellschaftspolitisch kann Deutschland international allein wegen eines fehlenden, modernen, für unsere Zukunft elementaren Einwanderungsrechts nicht mithalten.

Regieren statt reagieren

Angela Merkel hat in den 16 Jahren ihrer Regierungszeit zahlreiche Krisen gemanagt. Mit ruhiger Hand. Aber ihre Politik war geprägt von der Reaktion: Auf den GAU in Fukushima, auf die Internationale Finanzkrise, auf den Druck durch schutzsuchende Menschen. Reformen blieben Mangelware.

Das kann sich die Ampel nicht leisten. Zu groß ist die Last, die ihren Start begleitet. Dieser wird überlagert von der Bekämpfung der Pandemie, die nicht im Koalitionsvertrag steht, aber die erste Messlatte ist, die Rot-Grün-Gelb überspringen muss. Regieren statt reagieren wäre ein gutes Motto für die nächsten vier Jahre.

Ein Kommentar von Ingo Lierheimer, Leiter der Redaktion Politik und Hintergrund

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