Kommentar von Achim Wendler, Leiter der BR-Redaktion Landespolitik
Bildrechte: ARD-Hauptstadtstudio/Jens Müller

Achim Wendler, Leiter der BR-Redaktion Landespolitik

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Kommentar: Lasst die Impfexperten in Ruhe!

Markus Söder und andere bedrängen die Stiko, rasch Corona-Impfungen für Jugendliche zu empfehlen. Eine Anmaßung, kommentiert Achim Wendler.

Wenn ich deine Meinung hören will, sage ich sie dir. Das ist die Haltung, mit der Markus Söder gerade gegenüber der Ständigen Impfkommission auftritt. Die Stiko solle "dringend überlegen, wann sie das Impfen von Jugendlichen empfiehlt", fordert Söder. Nein, kein Vertipper: Söders Frage lautet nicht etwa ob, sondern wann die Stiko in seinem Sinn liefert.

  • Zum Artikel: Söder fordert von Stiko Impfempfehlung für Jugendliche

Anmaßung ohne Parteigrenzen

Ähnlich bedrängen Saskia Esken und Klaus Holetschek die Impfexperten. Jens Spahn erklärt sie für irrelevant, was nicht besser ist. Die Anmaßung kennt keine Parteigrenzen.

Zur Erinnerung: Die Mitglieder dieser Kommission sind unabhängig. Für ihre Empfehlungen wägen sie ab zwischen Risiko und Nutzen einer Impfung. Sie setzen das Wohl des einzelnen Geimpften ins Verhältnis zum Nutzen für die ganze Bevölkerung. Grundlage ihrer Arbeit sind allein wissenschaftliche Erkenntnisse. Sonst nichts. Und Stand jetzt, ist die Faktenlage eben, wie sie ist: Der individuelle Nutzen einer Impfung wäre für Jugendliche gering, weil sie kaum schwer an Corona erkranken, dafür sind Langzeitfolgen nicht auszuschließen. Sobald sich die Faktenlage ändert, wird die Kommission das berücksichtigen. Ganz sicher.

  • Zum Artikel: "Wenig hilfreich": Stiko rügt Söder-Vorstoß zu Kinderimpfungen

Wissenschaft ohne Druck

Druck von außen darf die Stiko keinesfalls beeinflussen, nicht einmal erreichen. Die Gefahr ist weniger, dass die Impfexperten sich tatsächlich beirren lassen. Es geht um den bloßen Verdacht: Er kann das Vertrauen in die Unabhängigkeit der Kommission trüben. Das wäre nicht nur für die Kommission selbst schädlich. Von ihrem Ruf zehrt auch die Politik. Jedenfalls, solange sie ihre Entscheidungen an den Empfehlungen der Stiko orientiert.

Deshalb sollte niemand Druck ausüben. Politiker ebenso wenig wie die Pharmaindustrie. Dass Astrazeneca und Biontech die Stiko bedrängen, in ihrem Sinn Impfstoffe zu empfehlen, verbietet sich von selbst. So sollte es auch Söder halten. Mag sein Motiv für die öffentliche Forderung auch noch so ehrenwert sein und im Einklang mit seiner Corona-Politik.

"Primat der Medizin"

Es war Markus Söder, der zu Beginn der Pandemie das "Primat der Medizin" ausgerufen hat. Das heißt zu wissen, was die beste Medizin ist. Das kann die Stiko besser beurteilen als jeder Politiker (sogar Lauterbach).

Im Übrigen muss ja niemand den Impfexperten folgen. Ihre Empfehlungen sind rechtlich nicht bindend. Wenn die Politik glaubt, es besser zu wissen, soll sie das sagen.

Ein Kommentar von Achim Wendler, Leiter der BR-Redaktion Landespolitik

"Darüber spricht Bayern": Der neue BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!