Permafrost-Region in Russland, aufgenommen am 02.10.2021
Bildrechte: pa/dpa/TASS/Sergei Karpukhin

Permafrost-Region in Russland, aufgenommen am 02.10.2021

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Sibirien: Wenn der Permafrostboden ins Rutschen gerät

In Sibirien schmelzen Permafrostböden und brechen auf. Diese "Thermokrater" sind bis zu 100 Meter tiefe Schlammlöcher. Für die Wissenschaft ist der Zusammenhang mit dem Klimawandel klar – Russlands Präsident Putin verspricht "ehrgeizige" Klimaziele.

Von jeher müssen die Menschen in Sibirien große Schwankungen zwischen extrem hohen und extrem niedrigen Temperaturen aushalten. Doch das, was jetzt in den spärlich bewohnten Weiten geschieht, beunruhigt nicht nur die Einheimischen.

Denn fast nirgendwo sonst hat der Klimawandel so sichtbare Spuren hinterlassen wie in Nord-Sibirien. Grigorij Sawwinow ist Permafrostforscher. Der 64-Jährige zeigt Fotos von einem Krater nahe der Siedlung Batagai, ein Thermokarstkrater, der 1960 entstand.

  • Zum Artikel "Siberian Summer": Fotografien vom tauenden Permafrost

Riesige Krater reißen den Boden auf

"Dort wurden zur Stalinzeit bis in die 1950er-Jahre von Lagergefangenen Wälder abgeholzt. Der Permafrostboden war dadurch nicht mehr von der Pflanzenschicht bedeckt und isoliert, sondern lag blank und der Sonne ausgesetzt da", sagt Sawwinow.

Anfangs war der Krater nur eine Spalte, 80 Meter lang und 30 Meter breit. In 30 Jahren wuchs er rasant. Heute misst der Krater, der aus der Luft wie ein spitzes Ei aussieht, zweieinhalb Kilometer Länge und fast einen Kilometer Breite. Er ist bis zu 100 Meter tief. Der Batagajsky-Thermokrater ist der größte seiner Art – doch im dünn besiedelten Jakutien tun sich vielerorts solche Schlammlöcher auf.

Gebrochene Pipelines, abgesenkte Häuser

Für den Menschen ist es aber dort viel gefährlicher, wo das tiefgefrorene Erdreich zunächst unbemerkt schmilzt – und wo man erst an gebrochenen Pipelines, abgesenkten Straßen und eingesackten Häusern erkennt, dass der aufgetaute Permafrostboden ins Rutschen geraten ist. Über dieses Problem spricht inzwischen auch der russische Präsident Wladimir Putin, bislang kein großer Warner vor dem Klimawandel.

Putin sagt, 70 Prozent des russischen Territoriums liege in den nördlichen Breiten, ein großer Teil davon im sogenannten Permafrost. Es gebe dort dicht besiedelte Gebiete, Infrastruktur. "Wenn das alles taut, hat das ernste soziale und wirtschaftliche Folgen", so Putin.

Immenser Schaden an der Atmosphäre

Den größten Schaden durch den tauenden Permafrostboden erleidet jedoch die Atmosphäre. Denn der über Jahrtausende vereiste Boden enthält abgestorbene Pflanzen- und Tierreste sowie Mikroben, die bei höheren Temperaturen diese fossilen Reste zu fressen beginnen und dabei CO2 sowie Methan freisetzen.

Wie viel genau, das ist in den internationalen Klimaschutzprogrammen noch gar nicht erfasst. Forscher schätzen, dass im Permafrostboden fast doppelt so viel Kohlenstoff schlummert wie derzeit in der gesamten Atmosphäre. Es wird immer mehr Methan und Kohlendioxid freigesetzt, weil es auch in Nord-Sibirien immer wärmer wird.

Es wird schneller heißer als irgendwo sonst

Im Sommer steige das Thermometer inzwischen weit über 30 Grad, sagt Sawwinow. Russland als nördliches Land erwärme sich doppelt so schnell wie der Rest der Welt. Vor allem in den letzten 30, 40 Jahren. Besonders in Sibirien mache sich das bemerkbar. Und je wärmer es wird im Sommer, umso schneller tauen dann die tieferen Schichten des Permafrostbodens. Dazu gibt es immer mehr Waldbrände, dieser Teufelskreis heizt die Atmosphäre immer weiter auf.

Russland unterzeichnete und ratifizierte das Kyoto- sowie das Pariser Klimaprotokoll. Im vorigen Jahr gab Putin ein neues Ziel aus: Die Reduzierung der Treibhausgase auf 70 Prozent gegenüber dem Wert von 1990. Damals sagte Putin: "Wir haben ziemlich ehrgeizige Verpflichtungen übernommen, die der Europäischen Union nicht nur ebenbürtig, sondern sogar überlegen sind, was die Verringerung der Emissionen angeht."

Putins neue Klimaziele - eine Mogelpackung?

Im Frühjahr hat die Europäische Union ihr Reduktionsziel von 40 auf 55 Prozent bis 2030 angehoben. Bis 2050 will sie klimaneutral sein. Doch auch ohne den EU-Vergleich ist Putins angeblich ehrgeiziges Klimaziel für "Greenpeace Russland" eine Mogelpackung. Denn Umweltaktivisten sehen in der geplanten Treibhausgassenkung auf 70 Prozent vielmehr eine Aufweichung früherer Ziele.

Schließlich geht es wohlgemerkt nicht um eine Senkung um, sondern auf 70 Prozent. Was genau genommen ein Rückschritt wäre, da eine Minimierung auf rund 50 Prozent längst geschafft wurde, dank der seit 1990 deutlich geschrumpften Industrieproduktion. Ein "Rückgang" auf 70 Prozent käme somit sogar einer Erhöhung der Treibhausgase gleich.

"Hier ist Bayern": Der BR24 Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!