Protestierende in Dubai: Schilder u.a. mit der Aufschrift "Stop the wars, top the warming" ("Stoppt die Kriege, Stoppt die Erwärmung").
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Protestierende in Dubai

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Klimaprotest: Entfremdung über den Krieg in Israel und Gaza?

Bei der "COP28" haben sich tausende Klimaaktivisten getroffen. Auf den Demos ging es aber nicht nur um den geforderten Ausstieg aus fossilen Energien, sondern auch um Israel und Gaza. Unumgänglich, sagen die einen – ein Fehler, finden die anderen.

Der indonesische Aktivist Daffa Praditya nimmt sich auf der Rückreise nach Jakarta Zeit, um auf die Klimakonferenz zu blicken: "Der Krieg in Israel und Gaza hat den Klimaaktivismus massiv beeinflusst." Die Forderung nach einer Waffenruhe in Gaza sei auf jeder Demonstration sichtbar gewesen, meint er. Auf dem Gelände in Dubai wurden etwa bunte Kinderschuhe aufgereiht – wie Aktivisten aus Chile und Tansania der ARD sagten, "für die Kinder in Gaza".

Auf dem Konferenzgelände des jeweiligen Austragungsorts ist es zudem seit 2009 Tradition, dass das "Climate Action Network" – ein internationaler Dachverband von umweltpolitischen Organisationen – pro Konferenztag einen Negativpreis für das "Fossil des Tages" verleiht. Ein Tool, um Aufmerksamkeit für ihre Anliegen zu generieren. "Preisträger" der Vergangenheit waren etwa die USA, Kanada, Saudi-Arabien, die Türkei, Deutschland oder Polen.

In diesem Jahr wurde unter anderem Neuseeland negativ für das Vorhaben prämiert, die bereits eingestellte Öl- und Gassuche an seinen Küsten wieder aufzunehmen, ebenso Saudi-Arabien für seine Weigerung, in der Konferenz-Abschlusserklärung den fossilen Ausstieg als Ziel zu benennen.

Negativpreis "Fossil des Tages" auch an Israel vergeben

Einer der diesjährigen Negativpreise ging auch an Israel. Nicht für mögliche Versäumnisse in der Klimapolitik – Israel hat nach wie vor kein Klimagesetz zur Reduktion der Treibhausgase umgesetzt –, sondern wegen der Kämpfe im Gazastreifen. Dass der israelischen Gegenoffensive ein Anschlag der Hamas auf Israel und seine Bevölkerung vorausgegangen waren, wird beim Award nicht thematisiert. Der Pädagoge, Autor und Antisemitismus-Experte Burak Yilmaz bezeichnet das als "verkürzt". Den Preis für ein Statement gegen Israel zu nutzen, werde "dem wichtigen Kampf gegen die Klimakrise" nicht gerecht und lenke vom eigentlichen Thema ab.

Laut einem Bericht der "Süddeutschen Zeitung" hätten sich deutsche Gruppen dagegen eingesetzt, Israel den Negativ-Award zu geben. Dass der Krieg in Israel und Gaza für die Aktivisten ein spaltendes Thema ist, zeigt sich auch daran, dass die europäische Sektion des "Climate Action Network" die Entscheidung für den Negativpreis im Gespräch mit BR24 nicht kommentieren will. Leiterin Chiara Martinelli verweist lediglich darauf, dass sich die unterstützten Forderungen nach einer Waffenruhe sowie der Kampf für Menschenrechte auf alle laufenden Kriege beziehe.

Jüdisch-muslimischer Appell der "Klima-Allianz Deutschland"

Im Verlauf der Weltklimakonferenz hat dagegen die "Klima-Allianz Deutschland", ein Bündnis zivilgesellschaftlicher Organisationen, einen jüdisch-muslimischen Appell für mehr interreligiöse und interkulturelle Zusammenarbeit veröffentlicht. Nasrin Bani Assadi forscht an der Universität Bonn zu komparativer Theologie und hat den offenen Brief der Klima-Allianz mitverfasst. Sie sieht diesen Austausch als eine Art "Modell, wie solche Debatten stattfinden können". Es komme demnach auf Geduld, Empathie und die Bereitschaft an, anderen Narrativen als den eigenen zuzuhören.

Auch für Mitinitiator Alon Wallach ist es wenig überraschend, dass der Krieg in Israel und Gaza von vielen Aktivistinnen und Aktivisten auf der COP zum Thema gemacht wurde: Man könne Klima- und Umweltpolitik nicht unabhängig denken von "gesellschaftlichen und politischen Themen, die uns beschäftigen", so der in Jerusalem geborene und in Stuttgart arbeitende Musiker. Israel diene für Menschen aus dem Ausland oft als Projektionsfläche, so Wallach.

In dem Appell, der auf die palästinensischen wie israelischen Opfer der vergangenen beiden Monate eingeht, heißt es: "Wir alle brauchen gerade jetzt eine Klimabewegung, die nicht durch einseitige Schuldzuweisungen zur Spaltung beiträgt." Dazu sei laut Wallach globales Vertrauen notwendig, das jedoch durch Kriege und Krisen erodiere.

Greta Thunbergs Positionierung im Vorfeld der Konferenz

Bereits Wochen vor der 28. UN-Weltklimakonferenz hatte auch die wohl bekannteste Klimaaktivistin Stellung zum Krieg im Nahen Osten bezogen: Greta Thunbergs Äußerungen auf Instagram und einer Bühne in Amsterdam hatten vor allem in der deutschsprachigen Medienlandschaft für Aufruhr gesorgt.

Kritiker bezeichneten Thunbergs Solidarisierung mit den Palästinensern, die die israelischen Opfer des Hamas-Anschlags vom 7. Oktober nicht gleichermaßen benannte, als einseitig und verkürzt sowie israelfeindlich und antisemitisch. Später sprach Thunberg von einem "Völkermord", den Israel in Gaza begehe.

Die Debatte drehte sich auch um den auf dem internationalen Instagram-Account von "Fridays for Future" geposteten pauschalisierenden Vorwurf, westliche Medien würden "Gehirnwäsche" zugunsten Israels betreiben. Dieser Post, der von Experten als antisemitisch und verschwörungstheoretisch eingeordnet wurde, ist mittlerweile gelöscht. Der BR24-Diskussionspodcast "1 Thema, 3 Köpfe" befasste sich im November mit der deutschen und internationalen Debatte.

Kritik an Thunberg

Die Posts und Äußerungen blieben nicht unbeantwortet: Über 100 israelische Klimawissenschaftler und Aktivistinnen hatten, wie die Zeitung "Jerusalem Post" berichtet, im Oktober einen Brief an Greta Thunberg verfasst und sich "tief verletzt" und "enttäuscht" gezeigt. Ein Sprecher des israelischen Militärs sagte der US-amerikanischen Tageszeitung "Politico", "wer auch immer sich mit Greta Thunberg in irgendeiner Art und Weise in der Zukunft identifiziert, ist meiner Ansicht nach ein Terror-Unterstützer". Diese Aussage nahm er später jedoch wieder zurück und entschuldigte sich.

Thunberg selbst kommentierte nach weiteren Vorwürfen, sie würde die Taten der Hamas verharmlosen, einen ihrer eigenen Posts und schrieb, sie dachte, "es sei klar, dass sie gegen die schrecklichen Taten der Hamas sei". Fridays for Future Deutschland hatte sich von den Äußerungen Thunbergs distanziert.

Klimabewegung: Entfremdet über Nahost-Konflikt?

Professor Stefan Aykut, der an der Universität Hamburg zu ökologischen Krisen und Konflikten forscht, sprach in Dubai auf der Klimakonferenz mit Vertretern der Klimabewegung aus verschiedenen Ländern. Er beobachtet eine "Entfremdung zwischen dem deutschen und dem internationalen Teil".

Es habe keinen offenen Konflikt gegeben, aber wenig gemeinsame Aktionen. Aykut spricht von einer "besonderen Färbung und Vorsicht der Debatte in Deutschland vor dem Hintergrund der Verantwortung für die Shoah" und sagt, international werde die Dynamik des deutschen Diskurses "sehr schlecht verstanden".

Soziologe: Palästinafrage international stark mobilisierend

Umgekehrt seien internationale aktivistische Forderungen, Slogans wie "Free Palestine" oder "Ceasefire now" (dt.: Waffenruhe jetzt) aus deutscher Perspektive sehr schwer verstanden worden, so Aykut. Es sei für den Kontext wichtig zu wissen, dass die Palästinafrage international sehr stark mobilisierend wirke und identitätsstiftend für einen Teil der internationalen Linken sei.

Aykut hat seiner Aussage nach beobachtet, dass der Versuch von "Fridays for Future Deutschland", dem Thema gegenüber neutral zu bleiben, teilweise spiegelbildlich als eine mangelnde Empathie mit den palästinensischen Opfern der israelischen Bombardements in Gaza empfunden wurde. Man befindet sich, laut dem Soziologen, in "einer schwierigen Situation". Auch der aus Jakarta angereiste "Fridays for Future"-Aktivist Daffa Praditya sagt, er sei mit deutschen Aktivisten und Aktivistinnen wegen der Differenzen zum Krieg in Israel und Gaza nicht ins Gespräch gekommen: "Wir haben einen unterschiedlichen Standpunkt."

Spalten die Kriege den Klimaprotest?

Luisa Neubauer sagte dagegen in Dubai gegenüber der ARD, man müsse "über Differenzen sprechen, aber immer mit dem Ziel, dass wir wieder zusammenfinden". Nach der UN-Weltklimakonferenz wollte sich "Fridays for Future" zu den Begegnungen in Dubai gegenüber BR24 nicht mehr äußern: Man habe zum Nahost-Konflikt und zur Zusammenarbeit mit der internationalen Vernetzung gerade nichts hinzuzufügen.

Der Konflikt- und Krisensoziologe Aykut betont, dass es generell schwierig sei, "in einer so extrem konflikthaften, teilweise gespaltenen Welt" eine globale Bewegung aufzubauen. Das sehe man nicht nur am Krieg im Nahen Osten, sondern auch angesichts des Angriffskriegs Russlands auf die Ukraine: "Diese Konflikte gehen nicht spurlos an der Klimadebatte und an den klimapolitischen Auseinandersetzungen vorbei und bringen ihr eigenes Spaltungspotenzial." Chiara Martinelli, Leiterin des "Climate Action Network Europe", sieht das ganz anders: "Die Diversität einer großen, globalen Bewegung macht ihre Stärke aus."

Der BR24-Diskussionspodcast "1 Thema, 3 Köpfe" hat sich vor der 28. UN-Weltklimakonferenz ausführlich mit der Frage "Schadet Greta Thunberg der Klimabewegung?" befasst. Die Folge finden Sie hier.

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