Nicht nur in Deutschland wünschen sich viele Katholiken Reformen in der Kirche. Auch in anderen Ländern ist die Sehnsucht nach Veränderungen groß. Während in Deutschland bisher beim Reformprozess "Synodaler Weg" aber nur diskutiert und Absichtserklärungen verabschiedet wurden, machen Bischöfe in Belgien nun Nägel mit Köpfen - so schien es zumindest zu Beginn der Woche.
Am Dienstag veröffentlichten die katholischen Bischöfe der belgischen Region Flandern ein Schreiben unter dem Titel "Für eine einladende Kirche, die niemanden ausschließt". Darin enthalten ist auch ein Vorschlag für Gebete und eine kirchliche Segnungsfeier für homosexuelle Paare. Der Vatikan hatte solche Segnungsfeiern im vergangenen Jahr noch ausdrücklich ausgeschlossen.
Erste weltweit förmliche Segensfeiern für homosexuelle Paare?
Aufregung und Verwirrung waren dementsprechend gleichermaßen groß: Eine kirchenpolitische Sensation? Oder nur ein großes Missverständnis? Wollen die flämischen Bischöfe tatsächlich als erste weltweit förmliche Segensfeiern für homosexuelle Paare einführen - gegen die ausdrücklichen Vorgaben des Vatikan? Nein, sagt ein Bistumssprecher. Aber ganz sicher, sagen Liturgiewissenschaftler.
Eine Rückblende als Schlaglicht: Das vatikanische Verbot der Segnung gleichgeschlechtlicher Paare sorgte im Frühjahr 2021 für erhebliche Empörung, besonders unter den belgischen Bischöfen. Johan Bonny aus Antwerpen machte seinem Zorn Luft - und bekam dafür ausdrücklich Rückendeckung von der Belgischen Bischofskonferenz. Nach den Skandalen der vergangenen Jahre sei "entscheidend, das Vertrauen der Gläubigen wiederzugewinnen - und deshalb sagen wir belgischen Bischöfe 'genug ist genug!'", erklärte Bonny. Er schäme sich für seine Kirche und sei wütend.
- Zum Artikel: "Würzburger Bischof: Kirchliche Sexualmoral für viele "überholt"
"Die Hälfte der Kirche in meiner Diözese lebt demnach in Sünde"
"Wenn wir von 'Sünde' sprechen, wo es um irreguläre Verhältnisse mit Blick auf unser Eheverständnis geht, so ist davon tatsächlich die Mehrheit unserer Gläubigen betroffen", so der Antwerpener Bischof. Es gehe nicht nur um Homosexuelle, sondern um alle, die anders zusammenlebten, also auch Geschiedene, Paare ohne Trauschein und so weiter. "Die Hälfte der Kirche in meiner Diözese lebt also demnach in Sünde", sagte Bonny - und berichtete, dass als Reaktion auf das Vatikan-Papier rund 2.000 Personen die Löschung ihres Taufeintrags in den Registern der flämischen Diözesen beantragt hätten.
Der Bischof beklagte, das Papier der vatikanischen Glaubenskongregation sei "theologisch schwach" und zeuge von einer "Unfähigkeit, zeitgenössische Entwicklungen in der biblischen, der Sakramenten- und der Moraltheologie" seit der Zeit von Pius XII. (1939-1958) aufzunehmen. Ihm gehe es nicht um eine Ausweitung der sakramentalen Ehe, so Bonny - aber "es gibt verschiedene Möglichkeiten, einander zu lieben, aufeinander aufzupassen und Verantwortung in Kirche und Gesellschaft zu übernehmen".
Bischöfe sehen sich auf einer Linie mit Papst Franziskus
Im Licht dieses "heiligen Zorns", dem sich damals 281 Theologieprofessoren aus dem deutschsprachigen Raum anschlossen, lässt sich der Vorstoß der flämischen Bischöfe für wertschätzende Segensgebete und -feiern womöglich besser interpretieren. Nimmt man die seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil (1962-1965) gängige Praxis hinzu, durch mehrseitig interpretierbare Dokumente neue pastorale Spielräume aufzutun, so drängt sich die Frage auf: Haben die flämischen Bischöfe ihren Text bewusst offen gehalten, um einerseits römische Sanktionen zu vermeiden - und andererseits dennoch ein klares Zeichen zu setzen?
Mit der Veröffentlichung des neuen Textes wollen sie nach eigenen Worten Betroffenen entgegenkommen und "die Seelsorge und Beratung für homosexuelle Menschen strukturell verankern". Sie sehen sich damit auf einer Linie mit Papst Franziskus und seinen Aussagen in der Enzyklika Amoris laetitia (2016).
Nur gemeinsames Beten? Liturgiewissenschaftler widersprechen
Ein Sprecher betonte nun zwar, "es gibt keinen Segen". Homosexuelle Paare hätten mit den angebotenen Texten aber "die Möglichkeit, gemeinsam zu beten", und "andere können für sie beten". Doch dem widersprechen Liturgiewissenschaftler energisch; etwa Ewald Volgger aus Linz im Interview von katholisch.de (Donnerstag). Er hält fest: "Eine dergestaltige Segensfeier nicht als Liturgie zu bezeichnen, halte ich nicht für sinnvoll." Natürlich handele es sich um eine gottesdienstliche Feier mit sakramentalem Charakter.
Und das "Nederlands Dagblad" analysiert: "Ein Bischof, Priester oder Diakon, der Menschen oder Gegenstände segnet, tut dies nach dem klassischen Ausdruck 'in persona Christi', im Namen Christi. Letztlich segnet nicht der Amtsträger, sondern Gott selbst. Wenn jedoch in einem Gebet um Gottes Segen gebeten wird, ist dies von anderer Art. Da bleibt es Gott überlassen, ob er seinen Segen erteilt oder nicht." Was also geschieht künftig in Flandern? Segen wird erbeten - am Ende steht Segen. Das abschließende Urteil darüber steht noch aus; und ebenso das Votum aus Rom.
Schnelle Antwort aus dem Vatikan wird nicht erwartet
Eine schnelle Antwort, so meinen Vatikanisten, wird es nicht geben. Die Glaubenskongregation befasst sich erst mal intern mit der Angelegenheit - und sie muss dabei in Betracht ziehen, dass die flämischen Bischöfe betonen, dass sie auf dem Boden der katholischen Lehre stehen wollen. Die oberste Liturgiebehörde in Rom wird erst dann aktiv, wenn Beschwerden eingehen. Der betreffende Ortsbischof würde dann zur Stellungnahme aufgefordert; auch das nicht öffentlich. Und das vatikanische Presseamt muss sich nicht zwingend zu pastoralen Handreichungen aus einzelnen Regionen der Weltkirche äußern.
Bleibt noch zu klären: Wo bleiben die Wallonen? Warum nur der flämische Landesteil? Eine Interpretation dafür liegt recht nahe: Der federführende Brüsseler Kardinal Jozef De Kesel, ein Flame, ist bereits 75 Jahre alt, hat seinen altersbedingten Amtsverzicht eingereicht. Das flämische Papier liegt ganz auf seiner pastoralen Linie. Nach einem ungeschriebenen Gesetz folgt auf einen flämischen Primas immer ein wallonischer; und mutmaßlich einer, der schon jetzt eine Diözese leitet. Würfe er nun den dicken Stein mit ins Wasser - dann sähen die Vatikanbehörden ganz sicher die Tropfen auch auf seinem Gewand.
Mit Material der KNA
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