Ein Holzstempel mit Bundesadler und mit der Aufschrift "Finanzamt" vor mehreren Stapeln mit Euro
Bildrechte: picture alliance / SULUPRESS.DE | Torsten Sukrow/SULUPRESS.DE

Ein Holzstempel mit Bundesadler und mit der Aufschrift "Finanzamt" vor mehreren Stapeln mit Euro

Per Mail sharen
Artikel mit Bild-InhaltenBildbeitrag

Hohe Steuerzinsen sind seit 2014 verfassungswidrig

Die hohen Steuerzinsen von sechs Prozent im Jahr sind angesichts der anhaltenden Niedrigzinsphase seit 2014 verfassungswidrig. Das gelte für Zinsen auf Steuernachzahlungen und auf -erstattungen, teilte das Bundesverfassungsgericht in Karlsruhe mit.

Über dieses Thema berichtet: Nachrichten am .

Der von Finanzämtern erhobene Zinssatz von sechs Prozent jährlich bei verspäteter Steuerzahlung ist realitätsfern und verfassungswidrig. Diese Entscheidung hat das Bundesverfassungsgericht veröffentlicht.

Schieflage in der Niedrigzinsphase moniert

Die Höhe des Zinssatzes ist seit Jahrzehnten unverändert. In der historischen Niedrigzinsphase nach Ausbruch der Finanzkrise 2008 war dadurch eine viel kritisierte Schieflage entstanden: Denn die Zinsen sollen potenzielle Gewinne ausgleichen, die in dieser Höhe am Kapitalmarkt derzeit gar nicht zu erzielen sind. Die Verfassungsrichter urteilten, spätestens seit 2014 sei der Zinssatz wegen des "strukturellen Niedrigzinsniveaus" als "evident realitätsfern" einzustufen.

Das Gericht ordnete eine rückwirkende Korrektur des Zinssatzes an, die allerdings nur alle noch nicht bestandskräftigen Steuerbescheide für Verzinsungszeiträume ab dem Jahr 2019 betrifft. Für den Zeitraum bis Ende 2018 könne das bisherige Recht trotz der Diskrepanz zur Entwicklung am Kapitalmarkt noch angewandt werden. Für den Zeitraum danach müsse der Gesetzgeber bis Ende Juli 2022 eine Neuregelung finden, erklärte das Bundesverfassungsgericht.

Steuerzahler können profitieren - aber auch Einbußen haben

Die Zinsen gibt es bei der Einkommen-, Körperschaft-, Vermögen-, Umsatz- und Gewerbesteuer. Sie werden fällig, wenn sich eine Steuernachzahlung oder -erstattung um mehr als 15 Monate verzögert. Im ersten Fall profitiert der Fiskus, im zweiten der Steuerzahler.

Da die Karlsruher Entscheidung auch die Erstattungen umfasst, werden also nicht alle Steuerzahlerinnen und -zahler profitieren. Wer nachzahlen musste, dürfte einen Teil der Zinsen zurückbekommen. Aber wer vom Finanzamt zu viel gezahlte Steuern zurückerhalten hat, wird möglicherweise die Verzinsung teilweise zurückzahlen müssen.

Zum Artikel "Steuererklärung 2020: Worauf Arbeitnehmer achten sollten"

Keine Neuregelung für Zeitraum 2014-2018

Für die Zeit von 2014 bis 2018 beließen die Richterinnen und Richter des Ersten Senats die beanstandete Vorschrift in Kraft. Hier sei der Gesetzgeber nicht verpflichtet, rückwirkend eine verfassungsgemäße Regelung zu schaffen. In den Jahren bis 2013 waren die allgemeinen Zinsen zwar auch schon in den Keller gegangen. Damals sei der starre Zinssatz aber "noch in einem rechten Verhältnis" gewesen, hieß es, seit 2014 sei er aber "realitätsfern".

Auch der Bundesfinanzhof hatte 2018 die Verfassungsmäßigkeit der hohen Zinsen infrage gestellt. Wegen dieser Entscheidungen und der unklaren Rechtslage haben die Finanzämter die Zinsen seit Mai 2019 nur noch vorläufig festgesetzt. Das heißt, die Bescheide können nun nachträglich geändert werden. Außerdem hatten die Behörden in bestimmten Fällen vorläufig auf das Eintreiben der Zinsen verzichtet.

In Karlsruhe hatten zwei Unternehmen geklagt, die nach einer Steuerprüfung allein Zinsen in sechsstelliger Höhe nachzahlen sollten. Weil es hier um Zeiträume zwischen 2010 und 2014 ging, hatte nur eine dieser Verfassungsbeschwerden teilweise Erfolg.

Opposition und Verbände kritisieren Regierung

FDP und Grüne kritisierten, dass die Regierung den Zinssatz nicht schon längst gesenkt hat. "Einmal mehr muss Karlsruhe dafür sorgen, dass Selbstverständlichkeiten wieder gelten", sagte der FDP-Finanzpolitiker Florian Toncar der Nachrichtenagentur Reuters. "Das Urteil ist nicht überraschend - der Bundesfinanzhof hatte bereits 2018 erste Zweifel angemeldet", sagte die Grünen-Finanzpolitikerin Lisa Paus. "Die Bundesregierung und allen voran Olaf Scholz haben es verschlafen, hier frühzeitig aktiv zu werden."

Der Bund der Steuerzahler forderte nach dem Urteil, dass der Steuerzins mindestens um die Hälfte abgesenkt werden müsse. Präsident Holznagel sagte dem Redaktionsnetzwerk Deutschland, dass der Gesetzgeber die Zinssätze regelmäßig prüfen müsse. Der Bundesverband der mittelständischen Wirtschaft kritisierte zudem, dass Erstattungen nur rückwirkend bis 2019 gelten sollen.

"Hier ist Bayern": Der BR24-Newsletter informiert Sie immer montags bis freitags zum Feierabend über das Wichtigste vom Tag auf einen Blick – kompakt und direkt in Ihrem privaten Postfach. Hier geht’s zur Anmeldung!