Der frühere japanische Regierungschef Shinzo Abe
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Der frühere japanische Regierungschef Shinzo Abe wurde bei einem Attentat erschossen.

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Verdächtiger gesteht Attentat auf Japans Ex-Regierungschef Abe

Der gleich nach dem Attentat festgenommene Verdächtige hat gestanden, den früheren japanischen Regierungschef Abe erschossen zu haben. Die Waffe sei selbstgebaut. Laut Medienberichten ist der mutmaßliche Täter ein früherer japanischer Marinesoldat.

Über dieses Thema berichtet: BR24 am .

Der ehemalige japanische Ministerpräsident Shinzo Abe ist tot. Der 67-Jährige war am Freitag angeschossen und in einem kritischen Zustand per Hubschrauber in ein Krankenhaus eingeliefert worden. Abe habe neben zwei Halswunden, die eine Arterie beschädigten und starke Blutungen verursachten, schwere Schäden an seinem Herzen erlitten, sagte der Leiter der Notaufnahme des Universitätsklinikum in Nara. Als er im Krankenhaus angekommen sei, habe er sich in einem Zustand eines Herz-Kreislauf- und Lungenstillstands befunden.

Die Schüsse fielen gegen 11.30 Uhr Ortszeit (4.30 Uhr morgens nach mitteleuropäischer Sommerzeit), als Abe vor einem Bahnhof in der alten Kaiserstadt Nara eine Wahlkampfrede hielt. Etwa fünfeinhalb Stunden später, um 17.03 Uhr, wurde im Krankenhaus sein Tod festgestellt.

Mutmaßlicher Täter hat gestanden

Der mutmaßliche Täter, ein 41 Jahre alter Japaner, wurde von der Polizei noch am Tatort festgenommen und hat mittlerweile seine Tat gestanden. "Der Verdächtige gab an, dass er einen Groll gegen eine bestimmte Organisation hege und die Tat begangen habe, weil er glaubte, dass der ehemalige Ministerpräsident Abe eine Verbindung zu ihr habe," sagte ein hochrangiger Polizeibeamter. Nähere Angaben dazu machte er zunächst nicht.

Er sei "unzufrieden" mit Abe und habe ihn "töten" wollen, wurde der Mann nach seiner Festnahme vom Sender NHK zitiert. Er habe "keinen Groll gegen Abes politische Überzeugungen", hieß es.

Laut Medienberichten ein früherer Marinesoldat

Medien berichteten, dass es sich bei dem mutmaßlichen Täter um einen früheren Marinesoldaten handeln soll, der in Nara wohnt. Laut dem öffentlich-rechtlichen Fernsehsender NHK war er bis 2005 drei Jahre bei der Marine. Wegen der pazifistischen Verfassung Japans wird das Militär dort Selbstverteidigungsstreitkräfte genannt. Ein Vertreter einer Arbeitsvermittlungsfirma sagte, dass er seine Beschäftigung bei einer Firma im Mai hingeschmissen habe.

Offenbar eine selbstgebaute Waffe

Nach Polizeiangaben gab der mutmaßliche Attentäter an, für den Angriff eine selbstgebaute Waffe verwendet zu haben. Dies habe er den Ermittlern gesagt, sagte ein Polizeivertreter. Die Untersuchung sei noch nicht abgeschlossen, aber die verwendete Waffe sei "eindeutig" nicht aus professioneller Herstellung, fügte er hinzu. Die Polizei durchsuchte seine Wohnung und stellte laut Medien selbstgebaute Waffen sicher.

Erschossen während einer Wahlkampfrede

Vom Sender NHK ausgestrahlte Aufnahmen zeigen, wie Abe auf einer Bühne steht, als ein lauter Knall zu hören und Rauch in der Luft zu sehen ist. Anschließend wird ein Mann - der mutmaßliche Täter - von Sicherheitskräften überwältigt.

Nach Schilderung eines Reporters der japanischen Nachrichtenagentur Kyodo war der Angreifer schweigend auf Abe zugegangen, bevor er plötzlich auf den Politiker schoss. Medienberichten zufolge feuerte der Mann zweimal mit der selbstgebauten Schusswaffe von hinten auf den früheren Regierungschef. Der rechtskonservative Politiker brach daraufhin zusammen, blutete in der linken Brust und am Hals. "Nach dem zweiten Schuss haben Leute ihn (Abe) umringt und ihm eine Herzdruckmassage gegeben", berichtete eine Frau vor Ort dem Sender NHK.

Nach Partei-Angaben vor dem Angriff keine Drohungen

Abes liberaldemokratische Partei LPD erklärte, es habe vor dem Angriff keine Drohungen gegen den Ex-Regierungschef gegeben und seine Rede sei öffentlich angekündigt worden.

Eine vergleichbare Tat habe sich in Japan zuletzt 1960 ereignet, als ein Anschlag auf den Vorsitzenden der Sozialistischen Partei, Inejiro Asanuma, verübt wurde, sagte der Politikwissenschaftler Corey Wallace von der Kanagawa Universität. Asanuma war von einem rechtsextremen Studenten erstochen worden.

Japanische Politiker unterbrechen Wahlkampf

Am Sonntag finden in Japan Wahlen zum Oberhaus des Parlaments statt. Politiker mehrerer Parteien kündigten nach den Schüssen auf Abe an, ihren Wahlkampf auszusetzen. Ministerpräsident Fumio Kishida brach einen eigenen Wahlkampfauftritt ab und flog nach Tokio zurück, ebenso wie die anderen Kabinettsmitglieder. Kishida sprach von einem heimtückischen und barbarischen Angriff.

Attentat löst weltweit Entsetzen aus

Politiker weltweit reagierten bestürzt auf das Attentat. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) schrieb auf Twitter: "Das tödliche Attentat auf Shinzo Abe macht mich fassungslos und tieftraurig. Wir stehen auch in diesen schweren Stunden eng an der Seite Japans." Der Kanzler drückte Abes Familie und dem amtierenden Ministerpräsidenten Fumio Kishida sein "tiefes Mitgefühl" aus.

US-Außenminister Antony Blinken äußerte sich ebenfalls erschüttert über das Attentat. "Dies ist ein sehr, sehr trauriger Moment", sagte Blinken am Rande des G20-Treffens auf der indonesischen Insel Bali. Die USA seien "zutiefst besorgt".

Shinzo Abe war zweimal Premierminister Japans

Abe trat sein Amt erstmals 2006 als Japans jüngster Ministerpräsident seit dem Zweiten Weltkrieg an. Nach einem Jahr, das von politischen Skandalen, der Empörung der Wähler über verlorene Rentenunterlagen und einer Wahlniederlage für seine Regierungspartei geplagt war, hörte er unter Berufung auf seine schlechte Gesundheit auf.

2012 wurde er dann erneut Regierungschef. Mit den nach ihm benannten "Abenomics" krempelte Abe das Land um. Durch diese aktive Wirtschaftsförderung aus lockerer Geldpolitik, hohen Staatsausgaben und Reformen gelang es ihm, seit 2012 die Wirtschaft anzukurbeln. Doch die Corona-Krise machte die Erfolge zunichte. Heute steckt Japan in einer schweren Rezession.

Abe krempelte Japans Sicherheitspolitik um

In Abes Amtszeit fiel auch eine tiefgreifende Änderung der Außen- und Sicherheitspolitik. So schraubte er die Verteidigungsausgaben nach oben. 2014 legte seine Regierung die Verfassung neu aus, so dass japanische Truppen erstmals seit dem Zweiten Weltkrieg an Auslandseinsätzen teilnehmen konnten. Ein Jahr später wurden Gesetze verabschiedet, die ein Verbot der Ausübung des Rechts auf kollektive Selbstverteidigung oder der Verteidigung eines angegriffenen befreundeten Landes aufheben.

Der Kurswechsel stieß jedoch in der Bevölkerung teils auf Kritik. Auch wegen seines Umgangs mit dem Coronavirus wurde Abe kritisiert, selbst wenn Japan nicht unter explosionsartigen Ausbrüchen zu leiden hat wie andere Staaten. Abe stammte aus einer wohlhabenden politischen Familie. Sein Vater war einst Außenminister und sein Großvater diente als Ministerpräsident.

Japans Ex-Regierungschef Shinzo Abe
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