Familiennachzug in Deutschland
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Visastelle der deutschen Botschaft in Amman

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#Faktenfuchs: Wie viele Visa gibt es für Familiennachzug?

38.500 Angehörige von Flüchtlingen sollen in diesem Jahr Visa für den Familiennachzug nach Deutschland erhalten haben. Der bayerische AfD-Chef Martin Sichert stellt eine doppelt so hohe Zahl in den Raum. Wie kann das sein? Ein Faktenfuchs.

Die Flüchtlingspolitik war in diesem Jahr ein großes Thema in den Koalitionsverhandlungen. Letztlich einigten sich CDU, CSU und SPD auf eine Obergrenze von 220.000 Flüchtlingen pro Jahr. Laut einem Bericht der "Bild am Sonntag" (16. Dezember 2018) wird in diesem Jahr die Obergrenze an Flüchtlingen nicht erreicht werden.

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Die "Bild"-Zeitung zitiert dazu einen Regierungsbericht, aus dem hervorgeht, dass mit 166.000 Asylanträgen die Gesamtzahl weit unter der Obergrenze liegt. Zahlreiche Medien griffen daraufhin den Bericht auf, darunter auch die Tagesschau.

Trotz Familiennachzug wird Obergrenze nicht erreicht

Zu diesen 166.000 Personen werden auch diejenigen Menschen gezählt, die mit Hilfe des Familiennachzugs nach Deutschland kommen. In Deutschland dürfen Menschen ihre Kernfamilie nachholen, wenn sie subsidiären Schutz zugestanden bekommen haben, anerkannte Flüchtlinge sind oder Schutzstatus nach der Genfer Flüchtlingskonvention erhalten haben. Laut "Bild"-Zeitung geht die Bundesregierung bis Ende des Jahres 2018 von insgesamt 38.500 Menschen aus, die ein Visum im Rahmen des Familiennachzugs erhalten.

Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea, Iran, Yemen

BR24 liegt eine detaillierte Aufstellung des Auswärtigen Amtes vor. Das Ministerium zählt bis zum dritten Quartal dieses Jahres 24.823 Menschen, die mit der Familienzusammenführung ein Visum erhalten haben. Bei dieser Zahl handelt es sich um Menschen aus sechs Hauptherkunftsländern von Asylsuchenden in Deutschland (Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea, Iran, Yemen). Diese Gruppe macht einen Großteil aller in Deutschland lebenden Asylsuchenden, subsidiär Schutzbedürftigen und anerkannten Flüchtlingen aus.

Differenz zwischen Zahlen der "Bild" und dem BR

Zwischen den Zahlen der "Bild"-Zeitung (38.500 Visa) und den dem BR vorliegenden Zahlen (24.823 Visa) ergibt sich eine Differenz von 13.677 Menschen. Diese Differenz hat zwei Ursachen: Erstens bezieht sich die "Bild"-Zeitung auf eine Hochrechnung für alle vier Quartale dieses Jahres, während das Auswärtige Amt nur die ersten drei Quartale ausgewertet hat. Zweitens umfasst die "Bild"-Zahl auch Asylsuchende aus anderen Herkunftsländern (also nicht nur aus den sechs Ländern Syrien, Irak, Afghanistan, Eritrea, Iran, Yemen), wie aus Behördenkreisen zu vernehmen ist.

Deutlich höhere Zahlen eines AfD-Abgeordneten

Nach den Berichten über die Obergrenze und den Familiennachzug am Wochenende, postete der bayerische AfD-Chef und Bundestagsabgeordnete Martin Sichert auf Facebook eine Bildtafel, die die Medienberichterstattung als "Ente" bezeichnete, also als Falschmeldung. Im dazugehörigen Text schreibt der AfD-Politiker:

Fakt ist jedoch: "Im ersten bis dritten Quartal 2018 wurden insgesamt 79.180 Visa zum Familiennachzug erteilt."
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Facebook Post des Bundestagsabgeordneten Martin Sichert

Diese Zahl von Martin Sichert, dem AfD-Chef des Landesverbandes Bayern, ist doppelt so hoch, wie die von der "Bild" zitierten 38.500 Personen.

Verschiedene Arten des Familiennachzugs

Aus Papier des Auswärtigen Amtes, das dem BR vorliegt, geht hervor, dass sich Martin Sichert auf die gesamten Visaanträge zur Familienzusammenführung bezieht und nicht nur auf solche, die anerkannte Flüchtlinge in Deutschland stellen.

Sichert hatte am 3. Dezember eine schriftliche Anfrage im Bundestag gestellt. Das Auswärtige Amt schreibt in seiner Antwort an Martin Sichert ebenfalls von 79.180 Visa in den ersten drei Quartalen, fügt jedoch hinzu:

"Hierbei ist zu beachten, dass die Zahl neben dem Familiennachzug zu Schutzberechtigten auch den Familiennachzug zu Deutschen sowie zu Ausländern, die aus anderen Gründen als der Zuerkennung einer Schutzberechtigung einen Aufenthaltstitel besitzen, umfasst."

Die Zahl 79.180 bezieht sich also auf eine deutlich größere Gruppe an Personen, als nur auf Schutzsuchende. Nämlich auch auf Deutsche, die einen ausländischen Partner / Partnerin geheiratet haben, oder auf Menschen mit dauerhafter Aufenthaltsgenehmigung, die Familie oder Partner nachholen.

Famlienzusammenführung auch ohne Asyl

Ein Beispiel: Eine hier lebende Person heiratet einen Partner/ eine Partnerin aus einem nicht EU-Land, beispielsweise aus der Türkei. Damit das Paar bzw. die Familie gemeinsam in Deutschland leben kann, beantragt es eine Familienzusammenführung. Wenn dieser zugestimmt wird, kann das Paar gemeinsam in Deutschland leben. Der Aufenthaltsstatus ist dabei nicht mit Asyl verknüpft.

Diese Gruppe macht die Mehrheit der Visa für Familienzusammenführung aus: in den ersten drei Quartalen insgesamt 54.357 Menschen. Die restlichen 24.823 Visa werden im Kontext Asyl vergeben. Holt also ein Mann aus Syrien seine Familie nach Deutschland nach, so werden diese Familienmitglieder auch im Bereich Asyl gelistet.

Fazit: Martin Sichert suggeriert in seinem Facebook-Post, dass insgesamt 79.180 Personen durch den Familiennachzug einen Schutzstatus in Deutschland erhalten. Dabei vermischt er zwei Kategorien: Den Familiennachzug bei Flüchtlingen und den Familiennachzug bei allen anderen Menschen, zum Beispiel bei Deutschen. In den ersten drei Quartalen dieses Jahres wurden lediglich 24.823 Visa zum Zweck des Familiennachzugs im Bereich Asyl vergeben.