Transhumanismus ist keine globale Verschwörung, sondern eine geistige Strömung, die über die Zukunft der Menschheit diskutiert. (Symbolbild)
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Wo geht die Zukunftsreise hin? Darüber wird im Transhumanismus diskutiert. Die geistige Strömung ist keine globale Verschwörung. (Symbolbild)

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#Faktenfuchs: Transhumanisten planen keine globale Verschwörung

Die Menschheit sterilisieren, Babys aus dem Labor und die totale globale Kontrolle: Das ist laut Verschwörungserzählungen angeblich das Ziel von Transhumanisten für die Zukunft. Wieso diese Bewegung verleumdet wird: ein #Faktenfuchs.

Darum geht’s:

  • Transhumanismus ist eine geistige Strömung, in der über die Zukunft der Menschheit diskutiert wird
  • Anti-demokratische Gruppen behaupten, die Transhumanisten seien eine globale Elite mit einem bösen Plan zur Kontrolle der Menschheit
  • Diese Behauptungen sind laut Experten erfunden und folgen klassischen Mustern von Verschwörungserzählungen.

Es geht um die totale Weltherrschaft - zumindest aus der Sicht bestimmter Verschwörungsgläubiger. Eine gefälschte Mondlandung oder alternative Versionen zu den Terroranschlägen vom 11. September 2001, das ist Kleinkram im Vergleich zu den Denkgebilden sogenannter "Meta-Verschwörungserzählungen". Für die Menschheit steht alles auf dem Spiel und immer läuft im Hintergrund des Weltgeschehens der vermeintlich große Plan der angeblichen Verschwörer ab. Zumindest glauben das manche Menschen.

Eine Person aus der rechten österreichischen Szene meint nun, eine dieser angeblich globalen Verschwörungen "enttarnt" zu haben. Stefan Magnet veröffentlichte ein Video auf dem österreichischen Internetportal "Auf1". Das Video wurde auf Telegram geteilt, mehr als 250.000 Menschen sahen den entsprechenden Post (Stand 16.12.2022). Darin verbreitet Magnet mehrere Behauptungen, die alle ein vermeintliches Ziel entlarven sollen: die Weltherrschaft des sogenannten Transhumanismus.

Was ist Transhumanismus?

Der Transhumanismus, den Magnet angreift, ist keine Institution mit festen Regeln oder eine zentral geführte politische Organisation. Der Begriff bezeichnet eine geistige Strömung, "eine Art des Denkens über die Zukunft", heißt es im "Transhumanist FAQ". Dieses FAQ wird von der im Transhumanismus bekannten Nichtregierungsorganisation "Humanity+" publiziert. Dieses Denken basiere auf der Prämisse, "dass die menschliche Art in ihrer derzeitigen Form nicht das Ende unserer Entwicklung repräsentiert", heißt es in diesem FAQ.

Der Transhumanismus geht davon aus, dass technologische Entwicklungen dazu genutzt werden können und sollen, um einzelne Personen, ihren Körper und die Menschheit als Ganzes zu verbessern. Das lateinische "trans" bedeutet so viel wie "über, darüber hinaus". Transhumanismus ist in diesem Denken ein Zwischenschritt auf dem Weg in ein anderes Dasein als das derzeitige Mensch-Sein.

Diese Ideen deutet die Verschwörungserzählung über den Transhumanismus um. Zusammengefasst geht die Erzählung von Stefan Magnet so: Eine international vernetzte, reiche und elitäre Gruppe von Menschen möchte die Menschheit zuerst unfruchtbar machen. Die Idee einer kleinen Gruppe, die sich gegen den Rest der Menschheit zu einem bösen Zweck verschworen habe, ist ein altbekanntes Muster von Verschwörungserzählungen, sagen Experten dem #Faktenfuchs.

Wenn die Menschheit unfruchtbar sei, so die Erzählung weiter, sei die Fortpflanzung nur noch über künstliche Reproduktion im Labor möglich. Weil die Gruppe angeblich in Zukunft auch über diese Fortpflanzung bestimme, könne sie auf diese Weise die gesamte Menschheit kontrollieren. Die Mitglieder dieser vermeintlich elitären Gruppe sollen Transhumanisten sein.

Eine neue Zielscheibe für Verschwörungserzählungen

Dass der Transhumanismus mittels Verschwörungserzählungen angegriffen wird, sei vergleichsweise neu, sagen Experten im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Das liege daran, dass Themen wie Lebenszeitverlängerung oder Körperverbesserung durch Technik mittlerweile keine reine Science-Fiction mehr seien, sagt Josef Holnburger.

Holnburger ist Geschäftsführer des gemeinnützigen Center für Monitoring, Analyse und Strategie (CeMAS). Er beschäftigt sich dort mit Verschwörungsideologien, Antisemitismus und Rechtsextremismus: "Je mehr das in der Gesellschaft diskutiert wird, desto mehr schwappt da natürlich auch in einen verschwörungsideologischen Diskurs um."

Damit die Mär von der weltumfassenden Verschwörung mit weitreichenden Zielen funktioniert, werde der Transhumanismus extra mächtiger gemacht, als er eigentlich sei, sagt Anna Puzio von der niederländischen Universität Twente. Sie hat eine Forschungsarbeit zum Menschenbild des Transhumanismus publiziert und sagt: "Da darf man den Transhumanismus auch nicht überschätzen: Er ist nicht stark politisch organisiert." Es gebe stattdessen "sehr verschiedene Visionen, Denkbewegungen", die hier zusammenkommen.

Transhumanistische Themen: Länger, gesünder und anders leben

Der Informationswissenschaftler Marcel Mayr hat 2015 die Transhumane Partei Deutschlands gegründet. Er ist dort mittlerweile aber nicht mehr aktiv. In seiner Arbeit habe er damals gemerkt, dass in ganz vielen Disziplinen in relativ kurzer Zeit viel Wissen dazugewonnen wurde, sagt er im Gespräch mit dem #Faktenfuchs.

Deswegen habe er sich der Frage stellen wollen: Was passiert mit uns in Zukunft bei so vielen umwälzenden Neuerungen? "Auf jeden Fall hat das Potenzial, unser Leben, und das heißt unser Alltagsleben, aber eben auch das biologische Leben, zu verändern", sagt Mayr im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Mayr betont, es gehe beim Transhumanismus um eine positive Zukunftsvision.

Themen des Transhumanismus sind etwa Lebenszeitverlängerung, Heilung und Prävention von Krankheiten und Handicaps, Verbesserung von körperlichen Fähigkeiten oder die Verbindung von menschlichem Geist mit Technologie.

Ein Beispiel ist Neuralink, ein Unternehmen von Elon Musk. Neuralink entwickelt einen Chip, der ins menschliche Gehirn implantiert werden soll. Damit sollen in Zukunft Stumme wieder sprechen können, Smartphones mit dem Verstand bedient oder das Gehirn mit einer KI verknüpft werden können, verspricht Musk.

Es geht aber auch eine Stufe darunter. "Eigentlich kennen wir Transhumanismus seit Jahrhunderten", sagt der Psychologe Sebastian Bartoschek, der sich mit Verschwörungserzählungen zum Transhumanismus beschäftigt. Als Beispiel nennt er im Gespräch mit dem #Faktenfuchs eine Brille: "Das heißt, wir verbessern ja das, was Sie und ich von Natur aus mitbekommen haben, durch ein Hilfsmittel."

Transhumanisten sind also Menschen, die bestimmte Ideen formulieren, diskutieren und vorantreiben. Der Transhumanismus sei international ausgerichtet, der Kern der Bewegung sitze in Amerika, sagt Anna Puzio. Man könne nicht genau sagen, wie groß die Bewegung sei, die Eigenangaben zu den Mitgliederzahlen seien "sehr, sehr weit gefasst".

Es gebe zwar einen Konsens darüber, was der Begriff "Transhumanismus" bedeutet, sagt Marcel Mayr. Aber ansonsten sei die Bewegung heterogen zusammengesetzt und realpolitisch nicht zielgerichtet organisiert. "Was es jetzt tatsächlich für politische Arbeit, was tatsächlich für die Zukunft und welchen Zeitraum bedeutet, da gibt es überhaupt keine Übereinstimmung", sagt Mayr zu den verschiedenen Positionen.

Angriffspunkte des Transhumanismus für Verschwörungserzählungen

Dass die Ideen des Transhumanismus Angriffsziel für Verschwörungstheorien sind, ist für Mayr nichts Neues: "Der Begriff des Transhumanismus wurde und wird schon sehr lange genau mit diesen Begriffen wie Verschwörung in Verbindung gebracht."

Dass der Transhumanismus zum Mittelpunkt einer Verschwörungserzählung wird, überrascht auch den Experten Josef Holnburger nicht. "In den Zeiten besonders disruptiver Neuerungen gibt es auch erst mal einen stärkeren Zugang zu Verschwörungserzählungen", sagt Holnburger. Dann würden Menschen einfache Antworten oder einen "Schuldigen" suchen. Dafür biete sich der Transhumanismus an, weil die dort diskutierten Ideen potenziell "tatsächlich weltverändernd" seien, sagt Holnburger.

Der Politikwissenschaftler Markus Linden schreibt in einem Artikel zum Transhumanismus: Mit einem Begriff, der auf den ersten Blick eine Abkehr vom Menschlichen beschreibe, könnten negative Geschichten aller Art verbunden werden.

"Also es geht ja um Fragen wie: Wie sehr kontrolliert man die DNA eines ungeborenen Kindes auf mögliche Erbgutdefekte und wie könnte man sie vor der Geburt sogar noch entfernen?", sagt Holnburger. "Das sind tiefe, persönliche, aber auch philosophische Fragen im Umgang mit dem Menschsein an sich." Die verschwörungstheoretische Kritik eines Stefan Magnet wolle aber gar nicht über solche Fragen debattieren, sondern alles von vornherein diffamieren, sagt Holnburger.

Gibt es eine transhumanistische Weltverschwörung?

Alle Experten, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, stufen die Behauptungen von Stefan Magnet als Verschwörungserzählung nach bekannten Mustern ein. Der Transhumanismus sei keine "internationale Weltverschwörung", sagt Anna Puzio, "dieses große Gefüge - das ist es nicht". "Ich habe nicht einen Transhumanisten getroffen, der gesagt hätte: Wir machen den Menschen unfruchtbar", sagt Sebastian Bartoschek.

Stefan Magnet präsentiert in seinem Video auch nicht einen glaubwürdigen Beweis für diese Behauptungen. Als einzigen angeblichen Beleg weist er auf die "bunten Farben" des Regenbogenspektrums hin: Denn die Logos von Microsoft, Google, dem World Economic Forum und der Aktion des Vatikans "Heiliges Jahr 2025" sind alle in diesen bunten Farben gehalten. Für Magnet ein Beweis: Die Farben seien abgeleitet von der farbigen Darstellung der menschlichen DNS und daran sei die globale transhumanistische Verschwörung erkennbar.

Diese vermeintliche Beweisführung sei einfach beliebig, erklärt Josef Holnburger vom CeMAS. "Zum Beispiel nutzt diese Farben auch die Partei Die Basis. Das ist eine Partei, die aus dem Querdenken-Milieu entstanden ist." Von der "Basis" würde Magnet aber wahrscheinlich nicht behaupten, dass sie Teil der Verschwörung sei. Stefan Magnet liefert zudem auch keine Erklärung für seine Logo-Auswahl.

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Vermeintliche Beweise wie ähnliche Farben folgen dem Prinzip vieler Verschwörungstheorien, bei denen mittels "Rosinenpickerei" argumentiert wird.

Die logischen Fehler der Verschwörungserzählung

Die Feinde im eigenen Weltbild sind die Verschwörer, die eigenen Leute nicht - das zeigt das logische Problem dieses Farben-"Beweises". Damit betreibt Magnet "Rosinenpickerei", eine rhetorische Argumentationstechnik, die häufig bei Verschwörungserzählungen verwendet wird. Dabei wird nur ein bestimmter Ausschnitt der Informationen präsentiert. Fälle und Daten, die der eigenen These widersprechen, werden nicht beachtet.

Der Psychologe Sebastian Bartoschek sagt zu dem Farben-"Beweis", dass Magnets eigenes Vorurteil vermeintliche Zusammenhänge konstruiere: "Menschen können gut Muster erkennen, besser als fast jede andere Spezies. Das funktioniert aber auch so: Wenn Sie Muster suchen, dann finden Sie die."

Bartoschek weist auf eine andere logische Schwachstelle dieser Verschwörungserzählung hin, die er mit dem bekannten Gedankenexperiment von "Russells Teekanne" erklärt. Dieses soll zeigen, dass zuerst der Verursacher einer Behauptung Beweise für sie erbringen und nicht ein Gegner sie widerlegen muss. Wenn jemand sage, es fliege eine Teekanne durch den Weltraum, "dann werden wir nie beweisen können, dass sie nicht da ist", sagt Bartoschek. "Und genauso ist es bei diesen oder bei vielen Verschwörungserzählungen und erst recht bei denen, die so ein globales Vertuschungs-Netzwerk nahelegen."

Gibt es eine globale Fruchtbarkeitskrise?

Das Fundament der Verschwörungserzählung von Stefan Magnet bildet die Behauptung, dass es einen Plan gebe, die Menschheit unfruchtbar zu machen. "Europa wird unfruchtbar. Unfähig, eigene Kinder zu bekommen", sagt er etwa. Außerdem verwendet er Begriffe wie "Sterilisationsprogramme" und "Anti-Baby-Impfungen" und wiederholt bereits längst entkräftete Behauptungen zur Covid-Impfung. Ab 2045 sei "Schluss" mit natürlicher Fortpflanzung, folgert Magnet "Und dann sollen die Menschen im Labor nach transhumanistischen Wunschvorstellungen produziert werden", sagt er.

Bei seinen Ausführungen bezieht sich Magnet immer wieder auf die Aussagen der in der Fachwelt anerkannten Reproduktionsmedizinerin Shanna Swan. Die US-Amerikanerin forscht zur Anzahl der vorhandenen Spermien bei Männern, was entscheidend für die Zeugungsfähigkeit ist. Bei ihren Studien ergab sich ein weltweiter Rückgang der Spermienanzahl in den vergangenen Jahrzehnten. Tatsächlich nennt Swan immer wieder die Jahreszahl 2045. Sie sagt: Falls sich der Spermienrückgang weiterhin fortsetze, sei dann theoretisch die Nulllinie erreicht.

"Ich glaube die Aussage per se ist überinterpretiert", sagt Sabine Kliesch im Gespräch mit dem #Faktenfuchs. Kliesch ist Präsidentin der Deutschen Gesellschaft für Andrologie und leitet das Centrum für Reproduktionsmedizin und Andrologie am Universitätsklinikum Münster. Die Andrologie befasst sich mit den Fortpflanzungsfunktionen des Mannes, analog zur Gynäkologie bei Frauen.

Es gebe zwar einen Abwärtstrend bei der Spermienanzahl des einzelnen Mannes, sagt Kliesch. Doch die Zahlen seien weiterhin im Normbereich.

"Sicherlich nichts, was die Menschheit mit Aussterben bedroht. Da sprechen ja auch die Zahlen der Weltbevölkerung Bände." Sabine Kliesch, Universitätsklinikum Münster

Shanna Swan macht für diesen Rückgang keine Verschwörungserzählung, sondern Chemikalien verantwortlich, die wir zu uns nehmen. Für Sabine Kliesch ist das "spekulativ". Ihrer Ansicht nach ist der ärgste Feind der männlichen Fruchtbarkeit der Mann selbst, sein Lebensstil: "Wir wissen, dass Übergewicht, Zucker-Stoffwechselerkrankungen, Nikotin-Missbrauch alles Dinge sind, die, ohne dass der Mann es mitkriegt, erheblich seine Fruchtbarkeit einschränken." Alles Störfaktoren, für die man keine Verschwörungstheorie brauche.

Korrekt ist, dass die Anzahl der Paare, die auf künstliche Befruchtung angewiesen sind, in Deutschland steigt. Im Jahr 2020 schrieben 70 deutsche Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in einem gemeinsamen Papier: "Weltweit ist eine Zunahme der Infertilität zu beobachten. In Deutschland ist derzeit jedes achte Paar ungewollt kinderlos (...)". Dafür sei aber zum Beispiel eine andere Familienplanung eine Erklärung, sagt Sabine Kliesch: Sowohl die Frauen als auch die Männer mit Kinderwunsch seien über die letzten 20 Jahre deutlich älter geworden.

Transhumanisten denken bei Reproduktion eher an das Individuum als an die Weltbevölkerung

Im Transhumanismus wird über das Thema Fortpflanzung und mögliche Eingriffe darin diskutiert. Im "Transhumanist FAQ" findet man Argumentationen für Eingriffe in die Genetik, allerdings mit Beschränkungen. Es sollten nur gesundheitliche Probleme und damit mögliches Leid vermieden werden. Ein Kind nach Wunschvorstellung mit von den Eltern ausgewähltem Körperbau, Aussehen und Größe wird im "Transhumanist FAQ" nicht befürwortet. Das könne dem Kind unfairerweise Vorteile auf Kosten anderer verschaffen, wird argumentiert.

Im Transhumanismus gebe es sowieso keine große "gesellschaftliche Vision" oder einen globalen Zukunftsplan für die Fortpflanzung der Menschheit, sagt Anna Puzio. Weil es den Transhumanisten vielmehr um den eigenen, individuellen Körper als die gesamte Menschheit gehe: "Er ist sehr individuell, also eher individualistisch ausgerichtet. Eben sehr stark auf den Einzelnen fokussiert." Und im "Transhumanist FAQ" wird klargestellt: "Es muss Eltern erlaubt sein, selbst für sich zu wählen, ob, wie und mit welchen technologischen Methoden sie sich fortpflanzen wollen."

Die Szenarien von Designerbabys aus dem Labor bezweifelt Medizinerin Sabine Kliesch schon aus wissenschaftlicher Sicht. "Also das ist ein sehr, sehr weiter Weg und ich halte das für recht unrealistisch, dass das Realität werden kann." Genetik sei schwer vorhersehbar. Derzeit seien erfolgreiche künstliche Befruchtungen nach der In-vitro-Methode noch langwierig und schwierig. Die Zukunftsbehauptungen von Stefan Magnet seien deswegen schwer vorstellbar: "Das ist so ein bisschen George Orwell."

Transhumanismus wird von der extremen Rechten angefeindet

Stefan Magnet wird von Experten als "relevanter Kopf der extremen Rechten" eingeordnet, seine Plattform "Auf1" wird von Experten als "Sprachrohr rechter Verschwörungsideologen" bezeichnet. Magnet selbst bezeichnet sich als Vertreter des "Freiheitsgedankens". Bartoschek und Holnburger ordnen die Personen und Gruppen, die die Erzählung ebenfalls verbreiten, demselben Spektrum zu.

"Die Leute, die das in Umlauf bringen, die würde ich in jedem Falle in einem rechtsradikalen Raum verorten", sagt Bartoschek. Wenn Stefan Magnet in seinem Video Begriffe wie "Globalisten" oder "Hochfinanz" nenne, dann sei das struktureller Antisemitismus, sagt Josef Holnburger. Denn das zugrundeliegende Feindbild sei dasselbe.

Rechtsextremes Gedankengut sehe man ebenso an dem konstruierten Gegensatz "natürlich vs. künstlich", der in der Verschwörungserzählung eingebaut ist, sagt Holnburger. Der Transhumanismus werde als künstlich und damit als Feind von "natürlichen" Konstrukten wie Familie oder Hierarchie gelesen. "Und das sind alles Elemente, die rechte Diskurse, rechte Ideologien ausmachen."

Transhumanismus gerät lager-übergreifend ins Visier von Demokratiefeinden

Die Verschwörungserzählung zum Transhumanismus ist aber ebenso Sammelbecken für mehrere radikale Demokratiefeinde. Der Politikwissenschaftler Markus Linden schreibt von einem negativen Abgrenzungsnarrativ, "mit deren Hilfe der gemein­same Gegner in Gestalt der libe­ra­len Demo­kra­tie, ihrer Insti­tu­tio­nen und Expo­nen­tIn­nen iden­ti­fi­ziert wird".

Linden arbeitet heraus, dass diese Verschwörungserzählung auch von christlichen Fundamentalisten, linken Portalen oder "eine[r] esoterisch ausgerichtete Szene, die oberflächlich auf Achtsamkeit, Innerlichkeit, Frieden und Verständigung" rezipiert und verbreitet wird.

Diese große Bandbreite erklärt Linden mit dem anziehenden Strickmuster der Verschwörungserzählung: "Dagegen-Erzählungen können hingegen höchst unterschiedliche ideologische Lager offensiver ansprechen und geteilte Emotionen wecken. Deshalb spielen sie gerade bei der populistischen und oft antidemokratischen Agitation eine große Rolle." Der Begriff "Transhumanismus" drohe deswegen zu einem "Kampfnarrativ" für Demokratiegegner zu verkommen.

Seriöse Kritik am Transhumanismus

Neben Verschwörungserzählungen gibt es aber seriös formulierte Kritik am Transhumanismus. In ihrer Forschung und im Gespräch mit dem #Faktenfuchs bemängelt Anna Puzio zum Beispiel: Wenn es um Verbesserung gehe, bringe das gewisse Vorstellungen einer Norm mit sich. "Wer sagt uns genau, wie unser Körper schön ist, wie wir uns verändern sollen?" Damit würden bestimmte Körper diskriminiert, wie alte Menschen, Frauen sowie Menschen mit Behinderung.

Außerdem kritisiert Puzio, dass Transhumanisten bei ihren Zukunftsvorstellungen gesellschaftliche Aspekte oft nicht mitdenken würden. Technologische Neuerungen, etwa zur Körperverbesserung, würden viel mehr verändern als nur die Möglichkeiten von einzelnen Personen. "Eine klare Unterscheidung zwischen Selbst- und Fremdbestimmung, wie der Transhumanismus sie suggeriert", lasse sich nicht treffen, schreibt Puzio. Wenn irgendwann körperliche Handicaps immer ausgeglichen werden können, dann würde so ein indirekter Druck auf die Einzelperson entstehen.

Und wie könnte man verhindern, dass neue Technologien nur den Reichen zur Verfügung stehen? Auch über diese Frage mache sich der Transhumanismus zu wenig Gedanken abseits von Schlagworten, sagt Puzio: "Es findet sich keine tiefe Reflexion dieser ethischen Gedanken."

Fazit

Beim Transhumanismus handelt es sich nicht um eine globale Verschwörung, die die Menschheit unfruchtbar machen und dann die Fortpflanzung beherrschen möchte. Diese Behauptung ist laut allen Experten, mit denen der #Faktenfuchs gesprochen hat, eine klassische Verschwörungserzählung, die keinerlei faktische Grundlage hat.

Der Anti-Transhumanismus wird als Kampfnarrativ von verschiedenen demokratiefeindlichen Gruppen benutzt. Derzeit verbreiten unter anderem Rechtsextreme diese Erzählung. Seriöse Kritik am transhumanistischen Denken wird von Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern formuliert.

Transparenzhinweis: Derzeit geht die ARD, zu der auch der Bayerische Rundfunk gehört, rechtlich gegen Auf1, das Internetportal von Stefan Magnet, vor. Sie möchte beim österreichischen Patentamt das Auf1-Logo verbieten lassen. Nach Ansicht der ARD sei dieses von der eigenen Marke kopiert. Das öffentlich-rechtliche Medienmagazin "Zapp" hat sich mit Magnet und Auf1 befasst und mit ihm über seine Verbindungen in die rechte Szene gesprochen.

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